Der mit Strasssteinchen über und über beklebte Container heißt "sensorischer Raum". Hinein darf man nur mit Schutzüberziehern auf den Schuhen. Drinnen zieht Nebel von den weißen Wänden, das Licht wechselt zwischen Pink und Blau, dazu erklingen Tierstimmen und es riecht penetrant nach Zitrus. Die seltsame Wunderkammer, die sich wie ein futuristisches Spa gebärdet, soll ein "optimales Schönheitserlebnis" für alle Sinne bieten und steht im Keller des Wiener Museums für angewandte Kunst (Mak).
Die Box ist Teil von Stefan Sagmeisters Ausstellung Beauty. Besonders angenehm fühlt sich die verordnete Gemütlichkeit in dem Container aber nicht an. Die in kleinen Gruppen eingelassenen Besucher verlassen ihn eher rasch wieder. Was zu der Frage führt: Kann das Ding ernst gemeint sein? Oder ist es doch kritisch?
Für die Schönheit eintreten
Denn dass Stefan Sagmeister es besser weiß, möchte man annehmen. Der Vorarlberger Grafikdesigner betreibt seit den 1990ern sein Büro in New York und ist ein Star seiner Zunft. Drei Jahre nach der musealen Glückssuche Happy Show kehrt er mit der Ausstellung zur Schönheit ins Mak zurück.
Beauty tritt an, um die Schönheit zu rehabilitieren. Im 20. Jahrhundert sei sie bei Architekten, Designern und Künstlern nämlich in Verruf geraten, klagt Sagmeister. In Büchern komme der Begriff zu jener Zeit nurmehr halb so oft vor wie zuvor. "Ornament und Verbrechen" von Adolf Loos laute einer der irrigen Leitsprüche.
Trotz der Fülle der Objekte ist der Eindruck, den die Ausstellung hinterlässt, aber durchwachsen.
Es fliegt und atmet
Man kann zwar zum Beispiel mit Joysticks einen digitalen Vogelschwarm auf einem riesigen Bildschirm in der Eingangshalle steuern. Und gleich daneben hängen 270 Plastiksackerln von der Decke, die rhythmisch aufgeblasen werden und wieder zusammenfallen. Ein eigens komponierter Song bedient alle Klischees von sehnenden Gitarrenriffs und schmelzender Stimme. Hach.
Doch vieles wirkt beliebig und manches sogar gezwungen. Die Idee, an das Ende einer Reihe von gläsernen Trinkkelchen aus 500 Jahren einen Plastikeinwegbecher zu stellen, ist zum Beispiel weder fair noch sachdienlich. Nicht nur, weil aus solchen Gläsern einst bloß Adelige und Reiche tranken.
Der Gag wird auch sonst oft der Diskussion vorgezogen. An einer Wand aufgereihte Plattencover sollen schlicht vor Augen führen, dass die Qualität der Albumgestaltung in den letzten Jahren zugenommen hat. Dass Passagiere den bekannten gezeichneten Flugsicherheitsinstruktionen weniger Aufmerksamkeit schenken als einer von der Airline Virgin America gedrehten Musicalversion, ist kaum überraschend. Sie ist interessanter. Aber ist das Schönheit? Die Begriffe verschwimmen.
Dass das Schöne seit Platon mit dem moralisch Guten gleichgesetzt wurde, erzählen Sagmeister und seine Büropartnerin Jessica Walsh kurz im Treppenabgang. Auch die Schau will Schönheit nicht nur als hübsche Oberfläche zeigen, sondern als tieferen Wert: weil Kranke in freundlicher Umgebung schneller genesen und gute Bauten länger bewohnt werden. Es geht also eigentlich auch um Psychologie und Soziologie.
Effekte statt Hintergründe
Doch dominieren Effekte. Man hat etwa eine verschnörkelte Saalschrift entworfen. Auch dass Besucher mit Buntstiften große Vorlagen von berühmten Gemälden ausmalen dürfen, ist nett gemeint. Wozu das gut ist, wird aber nicht verraten. Erklärungen fehlen ebenso bei Fotos von einander zum Verwechseln ähnelnden Flughäfen. Man kann sie wohl als Schreckensbeispiele stehenlassen, könnte aber auch die Ursachen für die Monotonie in den Blick nehmen. Warum bedeutet Funktion oft Tristesse? Damit wäre mehr Erkenntnis gewonnen.
Interessant sind einige Schautafeln zu Stadtinterventionen. Mit einem Verbot von Werbeplakaten in São Paulo und bunten Fassaden in Tirana stieg dort die Lebensqualität und sank die Kriminalität, erfährt man. Doch lässt Sagmeister, anstatt nun weiter in die Tiefe zu gehen, die Besucher gleich daneben vor einem Greenscreen virtuell hübsche Kleider anprobieren.
Eine echte Auseinandersetzung mit Themen fehlt. Stattdessen gibt es schnell konsumierbare, flapsige Reize. Bei fünf Stationen kann man Pappjetons einwerfen und so unter anderem abstimmen, welche Farbe einem am besten gefällt. Allgemein ist es Blau, im Mak führt Gelb haushoch. Was sagt das aus? Möglicherweise, dass die Sache mit der Schönheit noch schwieriger ist, als von Sagmeister und Walsh angenommen. (Michael Wurmitzer, 29.10.2018)