Jair Bolsonaro wuchs zwar katholisch auf, ließ sich 2016 aber im Jordan-Fluss von einem evangelikalen Pastor taufen und hat seither die Unterstützung der evangelikalen Führer.

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Brasilandia ganz im Norden von São Paulo gehört zu den grauen Vororten der Industriemetropole. Schmale schmucklose Häuser reihen sich entlang der engen Hauptstraße. Anderson Esteves steht vor einer ehemaligen Lagerhalle und verteilt Flyer. Er unterstützt die hier neu eingezogene Igreja Renascer em Cristo (Kirche der Wiedergeburt von Christus). Sie buhlt mit fünf anderen evangelikalen Kirchen in unmittelbarer Nachbarschaft um die Gunst der Bewohner.

Brasilien gilt zwar als das größte katholische Land weltweit, doch knapp ein Drittel der Bevölkerung bekennt sich zum evangelikalen Glauben. Vor allem in den ärmeren Vierteln haben die Pfingstkirchen großen Zulauf. Ihr Votum ist wahlentscheidend. Laut Umfragen wollen 70 Prozent der Evangelikalen für den Rechtsextremisten Jair Bolsonaro stimmen. Sein Slogan: "Brasilien über alles und Gott über allem."

"Gott hat mich zu einem besseren Menschen gemacht. Familie, Moral und Anstand sind für mich jetzt die wichtigsten Werte", sagt Esteves. Bei der Stichwahl am Sonntag will auch der 35-Jährige seine Stimme Bolsonaro geben. Der Grund ist auf seinem Handy zu finden. "Wenn Ihr eure Kinder beschützen wollt, wählt nicht Haddad", steht in einer Nachricht.

Fake-News-Kampagnen

Denn der Präsidentschaftskandidat der linken Arbeiterpartei PT, Fernando Haddad, wolle Pädophilie und Sex mit Kindern ab zwölf Jahren erlauben. Dazu gibt es ein Foto mit der angeblichen Gesetzesinitiative des Kandidaten. Dass es sich dabei um eine Diffamierungskampagne handelt, weist Esteves empört zurück.

In weiteren Fake-News wird Haddad vorgeworfen, unter Schulkindern Homosexualität fördern zu wollen, in Schulen Trinkflaschen in Form eines Penis zu verteilen und die elektronischen Wahlurnen zu seinen Gunsten manipuliert zu haben. In Trollfabriken werden diese Lügen zu Dutzenden produziert und millionenfach über die sozialen Medien verbreitet. Egal wie absurd die Meldungen sind, viele Brasilianer glauben ihnen dennoch. Finanziert wird diese Lügenmaschinerie von 156 Unternehmern, die Bolsonaro unterstützen, wie die Zeitung Folha de São Paulo berichtet. Inzwischen ermitteln Bundespolizei und Staatsanwaltschaft. Bolsonaro selbst gibt sich unschuldig und sagt, er wisse nichts von der Kampagne – wirft Haddad aber im gleichen Atemzug vor, Kinder zu "sexualisieren".

Homophobie und Hetze gegen Andersgläubige

Die größten evangelikalen Kirchen in Brasilien sind inzwischen milliardenschwere Unternehmen, die schon lange Politik machen. Der wohl einflussreichste Pastor ist Edir Macedo, Gründer der "Universalkirche" und Eigentümer des Senders Rekord. Er steuert ein Imperium aus tausenden Gotteshäusern und ruft dort offen zur Wahl Bolsonaros auf.

Das gesellschaftliche Klima hat sich verhärtet. Mit ihren aggressiven Predigten und Hetze gegen Andersgläubige und Homosexuelle haben viele evangelikale Führer dazu beigetragen. Dennoch sind die Gottesdienste voll. Viele evangelikale Kirchen versprechen Wohlstand auf Erden, wenn strenge Regeln befolgt werden. Vor allem in der aktuellen Wirtschaftskrise klammern sich viele Brasilianer an diesen vermeintlichen Hoffnungsschimmer.

Medienwirksame Taufe

Bolsonaro, der zwar katholisch erzogen wurde, ließ sich vor zwei Jahren von einem evangelikalen Pastor im Jordan-Fluss in Israel taufen. Spätestens seitdem hat er die Mehrheit der Führer der Pfingstkirchen hinter sich.

Der Katholik Haddad hat spät, erst vor wenigen Tagen, den Schulterschluss mit den evangelikalen Wählern gesucht. Auch innerhalb der PT erntet er Kritik dafür, sich nicht schon früher mit den Forderungen dieser wichtigen Wählerschicht auseinandergesetzt zu haben. Auf einer Veranstaltung in São Paulo versammelte er rund 200 religiöse Führer hinter sich. "Bolsonaro vertritt keine christlichen Werte. Er propagiert Gewalt, Folter und Hass. Damit entzweit er die Gesellschaft", sagt Henrique Vieira von einer baptistischen Kirche. Er unterstützt Haddad. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 28.10.2018)