In der Aula rennen die Kids hin und her. Manche hocken mit der Jause auf den Treppen. Andere flanieren auf den Galerien, als würden sie über einen Catwalk schreiten, und blicken in die Tiefe des schulischen Pausengeschehens. Eine der gläsernen Türen steht sperrangelweit offen. "Eigentlich immer", meint Schuldirektorin Silvia Böck am Schreibtisch sitzend, lächelt wie ein Sonnenschein, verkörpert die Atmosphäre dieses Hauses mit allen ihr zur Verfügung stehenden Gesichtsmuskeln. "Wenn man einmal hier ist, will man nie wieder weg. Das ist die schönste Schule Wiens. Sie hat etwas Skandinavisches. Kommen Sie! Ich beweise es Ihnen."

Lernen wie auf der Universität: Im Schulcampus Aspern "wohnen" die Oberstufenschüler in einer eigenen Homebase und spazieren im Unterricht zwischen einzelnen Fachbereichen hin und her. Für dieses außergewöhnliche pädagogische Konzept wurde die BIG nun mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet.
Foto: Paul Ott

Der Bildungscampus in der Seestadt Aspern ist Resultat eines offenen Wettbewerbs, der Anfang 2013 entschieden wurde. Das pädagogische Raumkonzept, das umgesetzt wurde, war Teil der bewusst offen und experimentell gestalteten Ausschreibung und sollte die teilnehmenden Architekten dazu anspornen, einen noch nie dagewesenen Schultypus zu entwickeln. Im Sommer letzten Jahres wurde die Schule, die im Endausbau 1100 Kinder aufnehmen wird können, fertiggestellt und in Betrieb genommen.

"Wir haben ganz schön große Augen gemacht, als wir die Ausschreibung gelesen haben", sagt Hemma Fasch. Sie leitet mit ihren beiden Partnern Jakob Fuchs und Fred Hofbauer das Wiener Architekturbüro Fasch & Fuchs und konnte sich im Wettbewerb gegen ihre Mitstreiter durchsetzen. "Das hat nach einem richtig großen Schritt in der pädagogischen Entwicklung geklungen. Das hat uns natürlich angespornt. Im Rückblick, denke ich, haben wir gute Arbeit geleistet, denn das Projekt wurde ohne große Abstriche genauso umgesetzt, wie wir es geplant hatten."

Riesen-WG in der Oberstufe

Die Klassen der Unterstufe sind in sogenannte Cluster unterteilt. Jeder Cluster besteht aus vier über Schiebetüren erweiterbaren Schulklassen und einem zentralen Pausenraum, dem sogenannten Marktplatz. Der Vorteil an diesem Konzept ist, dass die Kinder nicht nur in den Pausen, sondern auch im Unterricht leichter in Kontakt treten und miteinander projektbezogen arbeiten können.

Ein absolutes Novum ist die Organisation der Oberstufe: Jede Schulstufe verfügt im zweiten Obergeschoß über eine Homebase, eine Art Riesen-WG für 70, 80 Kinder gleichen Alters – mit Tischen, Stühlen, Regalen, Schränken, gemütlichen Sofas und Leselampen an der Wand. Der Unterricht findet in sogenannten Departments statt. Ähnlich wie an einer Universität ist jeder Fachgruppe (Sprachen, Naturwissenschaften, Wirtschaft und Informatik) ein eigener Lernbereich, ein eigener Studiensaal zugeordnet.

Die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe haben somit keine Stammklassen mehr, sondern wandern je nach Unterrichtsfach von einem Teil des Gebäudes zum anderen. Damit zwingt das System jene zur Bewegung, die in der Vergangenheit oft einen halben Tag lang auf 63 Quadratmetern zusammengepfercht wurden. Zugleich ist es wirtschaftlich und effizient und bietet den Lehrkräften, die an Bücher, Computer und allerlei Unterrichtsmittel gebunden sind, den Komfort, stationär arbeiten zu können.

Räumliches Experiment

So gut die Architektur ist, so noch viel wunderbarer ist das räumliche Experiment, das die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) mit diesem Bau gewagt hat. Kein Wunder also, dass der Bildungscampus in der Seestadt Aspern vor einer Woche mit dem Österreichischen Bauherrenpreis 2018 ausgezeichnet wurde. Er ist eines von insgesamt sechs Projekten, die heuer vor den Vorhang geholt wurden, um nicht wie sonst üblich die Architektinnen und Gestalter zu prämieren, sondern die hinter den Kulissen agierenden Bauherren und Auftraggeberinnen – für ihren Mut, für ihre Bestellqualität, für ihre Wahrnehmung einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung.

"Der Bauherrenpreis hat es sich zum Ziel gemacht, diejenigen zu würdigen, die Architektur und Baukultur überhaupt erst ermöglichen, indem sie die Initiative ergreifen und die Gestaltung unserer gebauten Umwelt finanzieren", sagt Maria Auböck, Präsidentin der Zentralvereinigung der ArchitektInnen Österreichs (ZV), die den Bauherrenpreis seit 1967 jährlich vergibt. "Unter den 106 Einreichungen aus allen Bundesländern hat sich gezeigt, dass die beiden gesellschaftlichen Kernthemen Schulbau und Wohnbau dominieren und dass in diesen beiden Kategorien besonders überraschende, innovative Konzepte zu finden waren."

Der Österreichische Bauherrenpreis, der auf eine Initiative von Hans Hollein zurückgeht, ist in seiner Art ein weltweites Unikum. In Deutschland, Schweiz und Slowenien wird derzeit an ähnlichen Formaten gearbeitet. "Aber wir", so Auböck, "sind bereits seit 51 Jahren auf Flughöhe." Am 10. Dezember 2018 ist der Landeanflug geplant. Dann werden die siegreichen Projekte im Wiener Ringturm zu sehen sein. (Wojciech Czaja, 28.10.2018)

Die fünf weiteren Sieger-Projekte

In Sibratsgfäll in Vorarlberg kam 1999 ein Berghang mit Häusern nach Regenfällen ins Rutschen. Das vom Exbürgermeister Konrad Stadelmann beauftragte Projekt (Innauer-Matt Architekten) soll das traumatische Ereignis in Erinnerung rufen und sinnlich erlebbar machen.
Foto: Adolf Bereuter
Das oberösterreichische Unternehmen Backaldrin verfügt über eine Sammlung von 15.000 Kunst- und Kulturobjekten rund um das Thema Brot und beschloss, diese in einem Brotmuseum zugänglich zu machen. Coop Himmelb(l)au kreierte dafür das Paneum.
Foto: Markus Pillhofer
Die Blockhäuser Luki, Toni und Franzi auf der Turracher Höhe auf 1700 Metern gehen auf die Initiative von Lago Immobilien und des Hoteliers Robert Hollmann zurück und sind ein Beitrag zum nachhaltigen Tourismus von den Klagenfurter Architekten Winkler + Ruck.
Foto: Winkler+Ruck-Architekten
Auf dem Grundstück einer ehemaligen Tischlerei im Grazer Lendviertel gab Jakob Jeschek von Prolend Projektentwicklung dieses sechsstöckige Wohn- und Geschäftshaus in Auftrag. Herzstück der von Pentaplan entworfenen "Prinzessin Veranda" ist ein Atrium mit Laubengängen.
Foto: Paul Ott
Was tun mit einem 80 Jahre alten Schulbestand? Die Vorarlberger Gemeinde Lauterach entschied sich, diesen zu revitalisieren – und startete die Formulierung eines innovativen pädagogischen Konzepts und einen EU-weiten Wettbewerb, den das Grazer Büro Feyferlik/Fritzer gewann.
Foto: Paul Ott