Die deutsche Filmemacherin Helena Wittmann.


Foto: Viennale

Lass uns das Meer ins Kino bringen wie eine Riesenprojektionsfläche." Das war die Ausgangsidee von Helena Wittmann, als sie sich an Drift herantastete. Mitten in ihrem Film steht nun ein Bild, das den Gedanken modellhaft formuliert. Man sieht einen Swimmingpool im Dunkel einer tropischen Nacht. Das Licht scheint aus dem fluiden Medium selbst zu kommen. Es ist ein glitzernder Screen auf der Leinwand, eine Projektion, in der Theresa schwimmt, Wittmanns Co-Autorin und Hauptdarstellerin. Sie taucht ein und steht kopf.

In "Drift" wird nicht nur der Blick aufs Meer gerichtet, irgendwann versucht der Film sogar den Erfahrungsraum "Meer" in Bilder zu übersetzen – was er mit dem Denken und Körper macht.
Foto: Viennale

Drift ist vieles: Ein Film über das Meer, verknüpft mit der Geschichte zweier Freundinnen, die bald ein Ozean voneinander trennt. Ein Essayfilm, in dem jedes Bild zum Modell für die nächste Einstellung werden kann, in einer unaufhörlichen Kaskade von Bezügen, die sich vervielfältigen, brechen, ineinander spiegeln. So wie die Wellen des Atlantiks in den Schaumkrönchen, die sich irgendwann in der Duschtasse in Theresas Schiffskabine so behutsam gegeneinanderdrehen.

Wittmanns Film wandert von der deutschen Nordsee nach Antigua, sieht Theresa beim Denken zu und beim Verarbeiten des Abschieds von ihrer Freundin Josephina, die zurück nach Argentinien gegangen ist.

Bis sich Drift nach rund 40 Minuten noch ein Stück mehr Freiheit (oder Verlorenheit) sucht, in einer Passage über den Atlantik. Die dreißigminütige Sequenz, von einem Segelschiff aus gefilmt, reißt buchstäblich einen neuen Erfahrungsraum auf, ist Bewegungsstudie und Soundscape (Musik: Nika Breithaupt, die dritte Frau hinter Drift), schwindelerregend und hypnotisierend, bis man meint, die Wellen des Ozeans selbst zu spüren, in denen Theresa über den Atlantik schaukelt.

Die Diffusion von Ethnografie und Cultural Studies, von praktischer Feldforschung und ihrer philosophischen Durchdringung hat dem experimentellen Dokumentarfilm in den letzten Jahren aufregende neue Felder eröffnet. Das Sensory Ethnography Lab der Harvard University ist die prominenteste Denkfabrik dieser Bewegung, die mit Filmen wie Sweetgrass (2009) oder Leviathan (2012) die Interaktion von Menschen mit Schafen, Hunden, Fischen, Möwen untersucht hat.

Trailer zu "Drift".
International Film Festival Rotterdam

Wittmann, Jahrgang 1982, die an der Hamburger Hochschule für bildende Künste Film studiert hat, geht in Drift von der Welle als basale Einheit aus. Wittmann, George und Breithaupt haben die Arbeiten an ihrem Film unter anderem mit einem Symposion begleitet, zu dem sie den Anthropologen Stefan Helmreich eingeladen hatten, einen der Protagonisten der Wave-Science. Er denkt am MIT über die Potenziale der Wellenmetapher nach. Das von der Übertragung solcher Modelle Soziologen, Anthropologen und Künstler gleichermaßen angezogen werden, kann man nach Wittmanns Film besser verstehen.

Er ist eine wunderbar freie Anwendung der anthropologischen Methode im Kino, ein Film zwischen den Genres, eine weitere Hybrid Documentary im Programm der diesjährigen Viennale: "Es gibt diese Bewegung im Rahmen der sozialen Geisteswissenschaften seit einigen Jahren, sich nichtmenschlicher Akteure anzunehmen und Methoden, die man bislang nur auf menschliche Akteure angewendet hat, nun auch auf nichtmenschliche Akteure umzumünzen", sagt Theresa George. "Es ist da im Zuge des Poststrukturalismus eine Leerstelle entstanden, sich den Dingen zuzuwenden, um zu verstehen, was in der Welt passiert."

Drift unternimmt diese Betrachtung stets mit Bezug zur Kultur, zum Menschen – aber dafür eine Sprache zu finden wurde zur größten Herausforderung des Films: "Es geht um die Wahrnehmung des Raums", kommentiert Wittmann. "Im Film und in der Literatur ist das Meer gewöhnlich entweder eine Metapher, oder es wird soziologisch betrachtet, als Arbeit auf dem Schiff. Aber die Frage, was macht das mit mir – mit dem Denken, dem Gefühl, dem Körper -, ist offen. Die Seeleute, die wir für das Projekt am Anfang interviewt haben, konnten mit unseren Fragen nichts anfangen. Als wir auf dem Meer waren, wurde uns viel klarer, wie schwer das ist. Worte sind dafür begrenzt. Es wurde deutlich: Da kann Kino etwas machen." (Robert Weixlbaumer, 25.10.2018)