Marion Hackl ist Präsidentin von Ergotherapie Austria. Sie ist überzeugt: "Am wichtigsten ist die Zusammenarbeit innerhalb der Gesundheitsberufe. Davon profitieren die Patienten am meisten."

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Die Situation evaluieren, sämtliche Optionen kennen und alles zusammenfügen: So verstehen viele Ergotherapeuten ihre Aufgabe. Sie betreuen Menschen mit ganz unterschiedlichen Erkrankungen.

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STANDARD: Wer braucht Ergotherapie?

Marion Hackl: All jene, die durch einen Unfall oder eine Erkrankung plötzlich mit Einschränkungen konfrontiert sind und ihr Leben, so wie sie es gewohnt waren zu leben, nicht mehr meistern können.

STANDARD: Können Sie Beispiele geben?

Hackl: Es können motorische Beeinträchtigungen sein, ein Unfall zum Beispiel. Unlängst habe ich eine Frau betreut, die von der Leiter gefallen ist und sich den Arm sehr schwer verletzt hat. Sie hatte Kinder zu versorgen, musste einen Haushalt schupfen. Wir haben gemeinsam gute Lösungen erarbeitet. Wir betreuen aber auch viele Schlaganfallpatienten, die mit den Einschränkungen leben lernen. Oder Kinder mit Entwicklungsverzögerungen, aber auch Burnout-Patienten. Der Alltag hat so viele Aspekte, wir wollen deshalb auch irgendwie weg von Diagnosen.

STANDARD: Wie meinen Sie: Weg von Diagnosen?

Hackl: Ergotherapie an Diagnosen koppeln macht wenig Sinn, das ist unsere Erfahrung. Es gibt viele Erkrankungen, die den Alltag beeinträchtigen. Wir bringen das Know-how über Hilfsmittel und Unterstützungen mit und sind der Link zwischen Patienten und ihrem Lebensumfeld sozusagen. Es geht ja nicht immer nur darum, dass sich die Beeinträchtigten dem Umfeld anpassen, wir können auch das Umfeld an die Beeinträchtigung anpassen.

STANDARD: Wo kommen die Patienten mit Ergotherapie in Kontakt?

Hackl: Meist im Krankenhaus oder im Rehazentrum. Theoretisch kann es aber auch der Allgemeinmediziner oder ein Internist sein. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, unseren Berufsstand und seine Leistungen auch bei Ärzten zu promoten. Denn sie müssen die Patienten zuweisen.

STANDARD: Braucht man eine ärztliche Verordnung?

Hackl: Ja, die ist notwendig. Aber wenn Patienten wissen, was wir tun, sollten sie nachfragen, weil es immer öfter auch Situationen gibt, wo wir zu den Patienten nach Hause kommen, aufsuchende Hilfe ist der Fachbegriff. In den eigenen vier Wänden sind die Bedingungen immer anders als in einer medizinischen Einrichtungen.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Hackl: Es kann sein, dass der Rollstuhl, den jemand bekommen hat, einfach zu breit für die Tür daheim ist. Dann muss man einen anderen finden. Auch das Badezimmer ist immer wieder ein Thema: Wie können Hürden beim Waschen abgebaut werden.

STANDARD: Wie lange dauern Ergotherapien durchschnittlich?

Hackl: Total unterschiedlich. Manchmal sind zwei, drei Stunden ausreichend, dann, wenn es um Verletzungen mit vorübergehenden Mobilitätseinschränkungen geht, manchmal begleiten wir Patienten über lange Zeit, etwa bei Schädel-Hirn-Traumata. Wenn es um dauerhafte Behinderungen geht, ist unsere Arbeit quasi lebenslänglich unterstützend. Bei der Betreuung von Kindern schulen wir manchmal auch einfach nur die Eltern.

STANDARD: Viele verwechseln immer noch Physiotherapie und Ergotherapie?

Hackl: Ich habe unlängst eine ganz plastische Erklärung gelesen: "Physio hilft beim Gehen, Ergo schaut, dass man dabei auch eine Hose anhat." Das bringt es auf den Punkt. Gehen ist eines, doch abgesehen davon gibt es noch so vieles andere in einem intakten Alltag zu bedenken. Das machen wir Ergotherapeuten, wir fügen die Puzzlesteine aneinander.

STANDARD: Gibt es Ergotherapie auf Krankenschein?

Hackl: In den letzten Jahren hat sich die Situation der Ergotherapie massiv verbessert. Es gibt aber immer noch Bundesländer, in denen es kein flächendeckendes Angebot gibt, etwa in Vorarlberg oder der Steiermark. Gut ist die Situation in Ober- und Niederösterreich.

STANDARD: Woran liegt das?

Hackl: Vielleicht daran, dass dort die Verantwortlichen denken, Alltag bewältigen sei ein Luxusproblem, dabei ist es die Basis. Wenn Patienten in ihrer Wohnung selbstständig leben können, spart das dem Gesundheitssystem sicherlich Kosten. (Karin Pollack, 27.10.2018)