Mai 2017: Ein Jugendlicher versucht den Grenzzaun nach Melilla zu überwinden. Viele andere taten es ihm nun gleich.

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Der per Misstrauensvotum an die Macht gekommene spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez sieht sich wegen seiner Immigrationspolitik heftiger Kritik ausgesetzt. Seit August ließ der Sozialist in den beiden spanischen Exklaven an der nordafrikanischen Küste, Ceuta und Melilla, mehr als 300 Immigranten, die den sieben Meter hohen dreifachen Grenzzaun überwunden hatten, im Schnellverfahren abschieben. 55 davon waren es alleine am Montag, etwas mehr als 24 Stunden, nachdem 209 Menschen aus dem subsaharischen Afrika bei einem Massenansturm von mehr als 300 Personen auf das Gebiet der Garnisonsstadt Melilla gelangt waren.

"Es wurde ihnen nicht ermöglicht, rechtliche Schritte einzuleiten", heißt es in einem Protestschreiben der örtlichen Anwaltskammer. 32 Anwälte hatten die 209 Angekommenen betreut. 140 von ihnen stellten einen Asylantrag. Die Abgeschobenen hatten noch keinen Verteidiger gesehen, als sie am Montag in Polizeifahrzeuge gesetzt und an die Grenze in die etwa 16 Kilometer entfernte marokkanische Stadt Nador gefahren wurden.

Kritik von der EU

Der Innenminister der Regierung Sánchez, Fernando Grande-Marlaska, beruft sich bei den Massenabschiebungen auf ein umstrittenes Rücknahmeabkommen mit Marokko aus dem Jahre 1992. Die Europäische Union hatte Spanien immer wieder kritisiert, weil Flüchtlinge im Schnellverfahren ausgewiesen werden.

"Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden", heißt es in einem Kommentar der örtlichen Tageszeitung El Faro de Melilla. "Welche Sicherheit haben wir, dass sie in Nador eine menschenwürdige Behandlung erhalten?" fragt das Blatt.

Bei dem Massenansturm vom Sonntag wurden über 20 Immigranten zum Teil schwer verletzt. Einer verstarb nach offiziellen Angaben an "Herzversagen". Hilfsorganisationen forderten eine unabhängige Untersuchung.

Die bekannte spanische Aktivistin Helena Maleno, die in Marokko lebt und für die Rechte der Immigranten eintritt, will von einem weiteren Toten auf marokkanischer Seite wissen. "Sánchez war nicht in der Lage, den Angehörigen sein Beileid auszusprechen", beschwert sie sich. Stattdessen drückte der spanische Ministerpräsident der Grenzpolizei auf Twitter seine "Solidarität" aus.

"Politisches Spektakel"

Maleno wirft der spanischen Regierung vor, zum einen ein "politisches Spektakel" aufzuführen und zum anderen "die Politik der Kriminalisierung" zu verfolgen. In den ersten Wochen seiner Amtszeit, noch vor der Sommerpause, sorgte Sánchez europaweit für positive Schlagzeilen, als er sich bereiterklärte, das NGO-Schiff Aquarius mit Flüchtlingen an Bord im spanischen Hafen Valencia anlegen zu lassen. Nur wenige Tage später ließ er erstmals in Ceuta 116 Flüchtlinge abschieben, ohne dass sie zuvor eine Chance hatten, rechtliche Schritte einzuleiten.

Seit Jahresbeginn sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bisher 45.145 Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Spanien gelangt, das heuer Italien (21.935 Ankünfte) als Hauptankunftsland in der EU abgelöst hat. Im gesamten Jahr 2017 sind in Spanien 28.707 Flüchtlinge über den Seeweg angekommen. (Reiner Wandler aus Madrid, 24.10.2018)