Sensual Fake: Mit Besteck aus Nudelteig wurde so mancher Kaffeehausbesucher aufs Glatteis geführt.

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Es ist eine Krankheitsform, die Furcht auslöst, weil man den eigenen Wahrnehmungen und Erinnerungen nicht mehr trauen kann. Im eigenen Familien- oder Bekanntenkreis findet sich häufig mindestens eine Person, die von Demenz betroffen ist, zu sechzig bis achtzig Prozent in Form der Alzheimererkrankung.

Der Kontakt mit dementen Menschen kann auf beiden Seiten für Frustration und Erschöpfung sorgen. Gleichzeitig wird das Krankheitsbild in einer zunehmend alternden Gesellschaft verbreiteter: Aktuell leben etwa zehn Millionen Menschen in Europa mit Demenz, eine Zahl, die sich bis 2050 voraussichtlich verdoppelt.

Ewige Jugend vs. Überalterung

Dabei kann eine große Kluft entstehen – viele Betroffene ziehen sich zurück, weil sie sich offenbar eigenartig verhalten und ihnen das peinlich ist. "Außerdem leben wir in einer Gesellschaft, in der es nur um schöne und perfekte Körper, um die ewige Jugend geht. Da ist eine Überalterung das absolute Feindbild, weil sie an die eigene Anfälligkeit und Fragilität erinnert", sagt Ruth Mateus-Berr, Professorin an der Universität für angewandte Kunst Wien. Um zu ergründen, wie sich diese Kluft schließen lässt, hat sie das Projekt Dementia Arts Society (DAS) ins Leben gerufen.

Im siebenköpfigen Team versuchen Künstlerinnen und Designerinnen einerseits, für Demenz zu sensibilisieren, und entwerfen andererseits Werkzeuge, mit denen Erkrankte stärker in Dialog mit Betreuenden treten können. Das Projekt künstlerischer Forschung wird im Rahmen eines Programms zur Entwicklung und Erschließung der Künste (Peek) vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert.

Die Titel der Aktionen und Instrumente weisen bereits sprachlich darauf hin, mit welcher Art verwirrender Symptome man konfrontiert sein kann: Für das Symposium "Dnemez Weltne" wurden vergangenes Jahr Experten, etwa aus Forschung, Pflege und Museumsvermittlung, eingeladen. Eines der entworfenen Objekte nennt sich "Fokung Wirkus".

Der von der künstlerischen Forscherin Cornelia Bast geschaffene, annähernd kugelförmige Gegenstand wird über den Kopf gestülpt, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie beschränkend die Krankheit sein kann. Die Umwelt ist durch die eingebauten Linsen nur noch verdreht und auf dem Kopf stehend erkennbar, eine Orientierung kaum möglich.

Irritationen im Kaffeehaus

Derartige Erfahrungen hat das Team bei Workshops an Schulen eingebunden und die Reaktionen darauf gesammelt – sowohl in verbaler als auch in gezeichneter Form. Daraus ergab sich das "Archiv der Verwirrungen", eine Visualisierung des irritierten Zustands.

Eine solche Beteiligung ist wichtig, um verstärkt Empathie für Betroffene aufkeimen zu lassen: "Wenn wir nur einen Vortrag über Demenz gehalten und erzählt hätten, wie man sich dabei fühlt, wären die Jugendlichen wahrscheinlich eingeschlafen", sagt Mateus-Berr. Auf diese Weise aber müssen sie sich mit der eigenen eingeschränkten Wahrnehmung auseinandersetzen.

Eine weitere Aktion, die zeigen soll, wie sehr man auf andere angewiesen sein kann, ist "Sensual Fake". In einem Wiener Kaffeehaus bekamen uneingeweihte Gäste etwa Toilettenpapier statt Servietten, Apfelstrudel in Form eines Getränks anstelle der Mehlspeise oder Besteck aus Nudelteig, das beim Benutzen zerbrach oder weich wurde: Man gerät in Zweifel ob der unerwarteten Version des Bestellten und zieht die Möglichkeit einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung in Betracht.

Sinnliche Wahrnehmung

"Da stellt sich die Frage: Was tue ich? Esse ich mit der Hand? Fange ich an, mit dem Kellner zu streiten, der so tut, als wäre das normal? Einige haben – ähnlich wie viele Menschen mit Demenz – so getan, als sei alles in Ordnung, um möglichst nicht unangenehm aufzufallen", erzählt Pia Scharler, die an der Angewandten Industrie- und Grafikdesign studierte.

Gleichermaßen bemüht sich das Team darum, dementen Personen Mut zu machen und zu zeigen, dass sie mit ihrer Verwirrung nicht allein sind. Dafür werden Workshops organisiert, die auch sinnliche Wahrnehmung in den Vordergrund rücken: "Die Teilnehmenden befüllen eine eigene Box mit verschiedenen Materialien, die für sie angenehm sind oder sie beispielsweise an ihre Kindheit erinnern", sagt Scharler.

Diese Boxen können zu Hause Anhaltspunkte für Betreuende – ob professionell oder auch Lebenspartner – sein, um neue Gesprächsthemen aufzuwerfen und sich über Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen. (Julia Sica, 28.10.2018)