US-Neonazis demonstrieren auf einem Video, dass sie Milch trinken und Laktose verdauen können.

Youtube / Cabrini Greenz

San Diego – Viel dümmer geht es kaum, obwohl die Aktion eigentlich das genaue Gegenteil demonstrieren sollte: US-Neonazis feiern ihre "rassische Besonderheit", indem sie kollektiv literweise Milch in sich hineinkippen. Die Fähigkeit, Laktose zu verdauen, sei – so die Behauptung der Nazi-Milchbubis – ein identitätsstiftendes Merkmal der "weißen Rasse", was zudem deren Überlegenheit zeige.

Zu dieser Eingebung kamen die Rechtsextremisten vermutlich durch einen wissenschaftlichen Artikel, der die evolutionäre Geschichte der Laktoseverträglichkeit nachzeichnet – jedenfalls legt das eine Nachricht in den sozialem Medien nahe, die aus diesen Kreisen stammt. Zudem fordert dieser Eintrag dazu auf, dass Menschen afrikanischen Ursprungs wegen ihrer Laktoseunverträglichkeit die USA verlassen sollten.

An Blödheit schwer zu überbieten: Rassistische Milchbubis mit einschlägigen Nazi-Tattoos wie der "Schwarzen Sonne".
Wyatt Pahr

Blöd nur, dass etwa auch Ostafrikaner keine Milchverarbeitungsprobleme haben, was den jungen Männern beim geistigen Verdauen der Erkenntnisse in ihrer intellektuellen "White Supremacy" anscheinend entgangen ist.

Man könnte über solche auf Youtube dokumentierten Selbstentlarvungen rassistischer Milchtrolle lachen, wenn sie nicht das lächerliche Symptom einer etwas ernsteren Angelegenheit wären: Spätestens seit Amtsantritt von Donald Trump hat die rassistische Rechte nicht nur in den USA wieder Oberwasser bekommen. Und die etwas schlaueren Vertreter von Alt-Right oder White Supremacy versuchen, ihren Rassismus mit neuen, Erkenntnissen der Humangenetik zu belegen.

Eine unübliche Erklärung

Wie groß das Problem mittlerweile ist, zeigt eine ungewöhnliche Erklärung, die am Freitag bei der Jahrestagung der US-Fachgesellschaft der Humangenetiker in San Diego verabschiedet wurde, wie die "New York Times" berichtet. Die Humangenetiker verurteilen darin alle Versuche, "Genetik mit rassischer Überlegenheit in Verbindung zu bringen". Zudem heißt es in der Stellungnahme, die im Novemberheft des "American Journal of Human Genetics" publiziert werden wird, dass "Rasse ein soziales Konstrukt" sei.

Zwar würden die genetischen Merkmale einer Person ihr Aussehen beeinflussen. Dennoch sei etwa "schwarz" ein sozial definierter Begriff, da sich viele US-Amerikaner so bezeichnen würden, deren Vorfahren mehrheitlich Europäer sind. Zudem sei der von den Rassisten verwendete Begriff der "Rassenreinheit" wissenschaftlich unsinnig, da es in der Geschichte ständig Migration und Vermischung gegeben habe.

Fehldeutung von Unterschieden

Wie viel Vorsicht geboten ist, über diese Dinge öffentlich zu sprechen, zeigte sich im März, als Harvard-Genetiker David Reich, einer der einflussreichsten Fachvertreter, einen nicht unumstrittenen Kommentar in der "New York Times" publizierte. Reich warnte darin davor zu behaupten, dass keine substanziellen Unterschiede zwischen menschlichen Populationen möglich seien, da dies "nur zum rassistischen Missbrauch von Genetik einladen würde, den wir vermeiden wollen".

Prompt berief sich Jared Taylor, Gründer der nationalistischen Gruppe American Renaissance, in einem Video positiv auf Reich und sein neues Buch "Who We Are and How We Got There": "Die Wissenschaft ist auf unserer Seite", so Taylor.

Für Melissa Wilson Sayres (Arizona State University) ist angesichts solcher Missbräuche klar, dass sich Fachvertreter nicht mehr nur auf Forschung konzentrieren können: "Wir können nicht so tun, als ob unsere Forschung nicht missbraucht würde", schrieb sie in einer ganzen Serie von Kurznachrichten zur Humangenetiker-Konferenz auf Twitter. Denn wer das tue, mache sich zum Komplizen der White Supremacy und des Nationalismus.

DNA-Marker für Homosexualität

Etwas entspannter scheint mittlerweile der Umgang mit dem Thema Genetik und Homosexualität, wie einer der meistbeachteten Vorträge der Tagung in San Diego zeigte: Andrea Ganna (Broad Institute) berichtete von der bisher größten Studie, die DNA-Unterschiede von Hetero- und Homosexuellen untersuchte. Dass dieses Thema weniger aufregte, lag womöglich auch daran, dass sich Gannas Team vor der Präsentation lange mit LGBT-Vertretern (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) beraten hatte, wie das Fachblatt "Science" berichtet.

Die sogenannte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) verglich die gesamte DNA von 450.939 heterosexuellen Personen und 26.890 Personen, die mindestens einmal in ihrem Leben homosexuelle Kontakte hatten. Die Vergleiche zeigten bei Letzteren relativ auffällige DNA-Varianten auf den Chromosomen 7, 11, 12 und 15, zwei von diesen freilich nur bei schwulen Männern. Und eine DNA-Variante hatte man zuvor mit früh einsetzender Glatzenbildung in Verbindung gebracht.

"Es gibt kein Schwulen-Gen"

Unter dem Strich würden die Ergebnisse zeigen, dass menschliches Sexualverhalten sehr komplex sei und nicht mit einer bestimmte DNA-Konstellation in Verbindung gebracht werden könne, sagte Ganna. Er sei außerdem erfreut, ankündigen zu können, dass es kein "Schwulen-Gen" gibt.

Genau das hatte der Genetiker Dean Hamer vor 25 Jahren behauptet und damit erhebliches Aufsehen erregt. Hamer hatte einen bestimmten Abschnitt des X-Chromosoms mit Homosexualität in Verbindung gebracht. In der neuen Studie fand man dagegen auf diesen DNA-Abschnitten überhaupt keine Zusammenhänge mit einer Neigung zu Homosexualität. Hamer lobte die neue Studie dennoch: "Genau so etwas hätten wir 1993 machen wollen." (Klaus Taschwer, 23.10.2018)