Wegbereiter für eine klima- und umweltschonende Zukunft?

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Die Wiener Linien, behaupten, sie machten die Welt ein Stückchen besser, sie seien Wegbereiter für eine klima- und umweltschonende Zukunft. So auf Weltebene legitimiert, belehren sie ewig-gleich wie penetrant, wer vom eigenen Pkw in die "Öffis" umsteige, mache den ersten und vielleicht wichtigsten Schritt für Umwelt- und Klimaschutz und in eine emissionsfreie E-Mobilität. Gegen das Auto zu sein, ist ihre zentrale Rechtfertigung.

Ich bin der eben apostrophierte "Umsteiger" – und noch täglicher Radfahrer. Wissend, dass die Attitüde gar nicht so beliebt ist in Wien, polemisiere ich dennoch gegen die Wiener Linien. Dass sie meine Informationswünsche als Kunde nicht einmal ignorieren; dass sie alternative Fakten behaupten; dass sie ein kollektivistisches Geschäftsmodell praktizieren.

Verdichten, bewegen, auswerfen

Die Wiener Linien organisieren den Massentransport, den Begriff Individuen und Masse kennen sie nicht. Er zieht rund um die Uhr fast eine riesige Zahl von an sich unverbundenen Individuen an, die er aufnimmt, zur Masse verdichtet, bewegt, auswirft, nach seinen Regeln. Die operativ beteiligten Marketingleute sprechen entschärfend nur mehr von Kunden, die für die Beförderung einen Preis bezahlen.

Die Kundenmasse der Wiener Linien wächst progressiv. Nach aktuell (2017) 962 Millionen Fahrgästen werde 2020 die Fahrgastmilliarde erreicht, was Beweis sei für die stetig weiterwachsende Beliebtheit der Wiener Öffis. Die genaue Methode der Ermittlung der Fahrgastzahlen geben die Wiener Linien auf Anfrage nicht bekannt (sie würden knapp zehn Prozent der Erdbevölkerung durchschleusen). Tatsächlich gibt es natürlich viel weniger Kunden-Fahrgäste als Fahrten, was eine wichtige Unterscheidung wäre. Weiterhin fällt der größte Teil der Fahrten/Fahrgäste in die Kategorie Zwangsverkehr, und eben nicht in die Kategorie der ökobewussten Umsteiger mit Alternativen – so gesehen liegt hier wegen der riesigen Investitionen ein massives Politikversagen vor und die Lebenslüge der "Öffis" begraben.

Mitten in der sozialen Apokalypse

Überfüllung – Menschen gepresst wie Sardinen oder Hühner in Massentierhaltung; Fahrradmitnahme, Kofferbeförderung im Angebot, bitte besser unterlassen; Fremdsein – ein arabischer Mann okkupiert zwei Sitze, lümmelt, seine deutlich jüngere Frau steht seitlich und hält eine schwere Einkaufstüte. Im Abgang zur U6 lärmt eine Gruppe junger Männer, vermutlich aus Eritrea, billig, aber trendy gekleidet. Ein junger Mann folgt am Handy mit störender Lautstärke einem Fußballspiel, häufig dieses laute Telefonieren. Ich fühle mich immer wieder unwohl, verwundbar, irgendwie auch mal bedroht, nichts wie raus!

Wohl als Marketinggag behaupten die Wiener Linien einen progressiven Kundenzufriedenheitszuwachs, kulminierend im schieren Spitzenwert von 1,8 auf einer Sechserskala. Aber seit 2015 fehlen selbst grobe Angaben (Google schweigt sich jedenfalls aus). Im Vergleich ist der MVV München ein "schlechter" Dienstleister, mit global 2,8 Kundenzufriedenheit auf einer Fünferskala. Eine E-Mail-Anfrage nach Studien und Presseaussendungen zu Kundenbefragungen von 2013 bis 2018 beantworten die Wiener Linien nicht.

Liberale Alternative Radfahren

Warum sind politische Gruppen, Linke und Grüne, die meisten Konservativen in Wien so notorisch für den öffentlichen Massentransport, den sie einem Quasimonopolisten überantworten. Auch weil sie Anhänger des kollektivistischen Wohlfahrtsstaates sind (traut vereint auch im pro für den kommunalen Wohnbau).

Nun ist "drive or die" nicht die Alternative. Die fahrradbasierte Mobilität erlaubt im Alltag mehr individuelle Adäquanz. Weil ein Fahrrad mit körperlicher Energie des Fahrers betrieben wird, erfordert sie gute körperliche Kontrolle. Risikobereitschaft. Jederzeit kann man losfahren, stoppen, absteigen. Geringster Flächenbedarf, kein Umweltschuldgefühl, keine von außen oktroyierte soziale Nähe. Die Wiener Linien erzählen uns den Mythos vom Sieben-Prozent-Radanteil an allen Wegen. Mit Augenzwinkern, weil der Wert die reklamierte Zentralität im Verkehrsgeschehen belichtet (mit behaupteten 38 Prozent). Der Wert ist ein alternatives Faktum. Die Daten von 13 hochfrequentierten Messstellen bilden eben nicht den Radverkehr in Wien ab, die Vielfalt der urbanen Räume und Routen bleibt außen vor.

Radfahren ist eine liberale Subversion, bringt Freiheit und Mobilität zusammen, ist der Antipode des kollektivistischen Massenverkehrs. In der urbanen Wirklichkeit der Stadt sind Radfahrer seltene und wohl auch starke Individuen! (Werner Pleschberger, 22.10.2018)