Wenn man, wie Netflix-Boss Reed Hastings, Erfolg am Radau in sozialen Medien misst, so war Making a Murderer definitiv ein Hit. Die Frage, ob der US-Bürger Steven Avery unschuldig im Gefängnis saß und bis heute im Waupun Correctional Gefängnis im Bundesstaat Wisconsin sitzt, wurde in diversen Netzwerken leidenschaftlich diskutiert, be- und entlastende Details wurden gewälzt und abgewogen, Urteile zuhauf gefällt.. Unschlagbar – in der Währung von Streamingplattformen, die die Bekanntgabe von Zuschauerzahlen beharrlich verweigern.

Netflix

Und so beginnt auch die zweite Staffel der Dokutainment-Serie mit stakkatoartigem Kanon aus der Medienblase. 33 Jahre nach der Vergewaltigung an Penny Beernstein, 13 Jahre nach dem Mord an Teresa Halbach und drei Jahre nach der ersten Staffel von "Making a Murderer" setzt Netflix die Geschichte um den verurteilten, frei gelassenen und wieder verurteilten US-Amerikaner Steven Avery und dessen Neffen Brendan Dassey fort. Die Dokumentaristinnen Moira Demos und Laura Ricciardi haben weiter recherchiert und Fakten zusammengetragen, damit der Fall und Netflix im Gespräch bleiben.

Medienaufmerksamkeit ohne Ende

Was bisher geschah: Medienaufmerksamkeit ohne Ende, hunderttausende Unterstützer fordern die Freilassung Averys, auf der anderen Seite wütende Proteste dagegen, Hasspostings, Todesdrohungen gegen Richter, die Anträge zur Neuaufnahme von Verfahren ablehnten.

Die Dokumentaristinnen, die zuvor zehn Jahre die Geschicke Steven Averys begleiteten, kehrten 2016 zum Schauplatz des Geschehens zurück. Am Autoschrottplatz packt Mutter Avery wie schon in der ersten Staffel von ihr in Kisten gesammelte Dokumente aus. Viele Briefe, gute Briefe habe sie bekommen, erzählt sie. Eine Frau habe sogar ein Fotoalbum geschickt. Bilder von Steven, Briefe an ihn mit Durchhalteparolen: "Stay strong".

Mit "Making a Murderer" gab Netflix dem Fach True Crime"maßgebliche Anstöße. Wie "The Jinx" bei HBO und dem Podcast "Serial" (mittlerweile in der dritten Staffel) widmete sich die Streamingplattform der beliebten Mördersuche – mit dem zusätzlichen Kitzel, dass es sich hierbei um einen "echten" Fall mit "echten" Menschen handelt, bei dem möglicherweise großes Unrecht im Spiel war.

Netflix verstand schnell, dieses Publikum zu bedienen. Folgeprojekte wie "Wild Wild Country" und "The Keepers" funktionierten ebenso in sozialen Medien.

Foto: Mark Lennihan

Zehn Folgen sind seit Freitag abrufbar, und wieder schlagen die Geigerzähler in sozialen Medien aus. In den Maßstäben der Streamingplattform gemessen ist das wieder ein Erfolg. In den Hype mischt sich allerdings mehr Kritik. Ging es in der ersten Staffel noch um das Aufzeigen sozialer Ungerechtigkeit, geht es jetzt darum Recht zu haben. Demos und Ricciardi machten sich der Manipulation verdächtig, lautet ein Vorwurf seit der ersten Staffel. In der Fortsetzung wird dieser kaum zu entkräften sein.

Wesentliche Details seien ausgespart worden. Indizien, die für Averys Schuld sprächen, seien dem Publikum bewusst vorenthalten worden.Neue Figuren werden eingeführt, etwa die Anwältin Kathleen T. Zellner, die mit wehenden Fahnen und wachem Interesse an ihrer Selbstinszenierung für Avery eintritt.

Foto: Netflix

In teils ermüdender Länge werden Beweise hinterfragt, Situationen nachgestellt, die Unschuld belegen sollen, etwa wie Blutspuren an Halbachs Auto gekommen sein könnten. Dass Avery unter Stress andere Handgriffe gemacht haben könnte als unter Laborbedingungen, wird nicht eingeräumt. Für Zellner sind alle Blutbeweise "komplette Lügen".

Opferschutz spielt ebenso keine Rolle. Was es für die Angehörigen Halbachs bedeuten muss, wenn an einer Puppe demonstriert wird, ob Avery die Leiche so und nicht anders gehoben hat, bleibt unaufgearbeitet. Im Mittelpunkt steht vorerst die Mission der Anwältin: Es werde ihr eine Freude sein, den Staatsanwalt zu "demaskieren", sagt sie kämpferisch. Fortsetzung folgt? Ziemlich sicher. (Doris Priesching, 24.10.2018)