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In den Lehrerzimmern mag – noch – keine Zensur herrschen. Aber man will sich Scherereien ersparen. Welcher Direktor möchte schon einen Anruf von der FPÖ erhalten?

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Ludwig Laher: Was es wiegt, das hat es? Oder doch nicht?

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Zu den Stabilitätsankern diktatorischer Regime zählt stets ein breites Denunziationsangebot. Missliebige werden beschuldigt, haben keine Möglichkeit, sich juristisch zu wehren, weil die Justiz ihre Unabhängigkeit verloren hat, und müssen für nichts und wieder nichts büßen – durch Jobverlust, im Gefängnis, im Lager. Im schlimmsten Fall kann Denunziation Leben kosten.

Denunziation greift allenthalben Platz

Die wirkliche Stärke des Denunziantenwesens aber liegt in seiner Umwegrentabilität, in seinem Bedrohungspotenzial. Indem es jeden dauernd treffen kann, verhalten sich selbst jene oft vorauseilend gehorsam, die an sich nicht bereit wären, mit den Wölfen zu heulen. Wenn etwa die AfD diesen Herbst kurz nach Schulbeginn Meldestellen in etlichen deutschen Bundesländern einrichtete, in denen Schüler und Eltern vertraulich vermeintliche Lehrerverstöße gegen das politische Neutralitätsgebot anzeigen könnten, dann stünden den oppositionellen Rechtsaußen in einer demokratischen Gesellschaft vorläufig noch keine direkten Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung.

Aber man wird es sich nun womöglich zweimal überlegen, im Unterricht z. B. Sprachbilder zu thematisieren, die an unselige Zeiten gemahnen. Oder, in Österreich, wo ihre Gesinnungsfreunde bereits an den Schalthebeln der Macht sitzen, ministerielle Versuche, die unabhängige Presse zu mehr Wohlverhalten zu bewegen.

Rassismus überwinden

"Politische Bildung", heißt es im Erlass des Bildungsministeriums in Wien, "befähigt dazu, gesellschaftliche Strukturen, Machtverhältnisse und mögliche Weiterentwicklungspotenziale zu erkennen und die dahinter stehenden Interessen und Wertvorstellungen zu prüfen". Es gelte u. a., Vorurteile, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zu überwinden. Eine besondere Rolle komme dabei der Begegnung mit Interessenvertretungen, NGOs, Bürgerinitiativen usw. zu. Die Lehrperson habe es zwar zu unterlassen, für ihre persönlichen politischen Auffassungen Werbung zu betreiben, es sei aber zulässig, situationsbedingt ein politisches Urteil abzugeben.

Über telefonische Intervention seines Vaters beim Schuldirektor ließ vor zwei Jahren in Linz ein Gymnasiast und Sohn eines FP-Abgeordneten den Gastvortrag eines Extremismusexperten abbrechen, der anhand von Fakten und ohne Pauschalverurteilung am Rande auch auf schlagende Burschenschaften und ihre Verbindung zur FPÖ zu sprechen kam. Der zuständige Landesschulratspräsident verteidigte in einer ersten Reaktion dieses Vorgehen mit den bemerkenswerten Worten, politische Bildung habe ausgewogen zu erfolgen, es sei nicht zulässig, eine demokratisch legitimierte Partei mit Extremismus in Verbindung zu bringen.

Rütteln am demokratischen Zusammenleben

Das ist eine unzulässige Interpretation dessen, worum es politischer Bildung zu gehen hat. Es ist überdies, mit Verlaub, auch hanebüchen und zeugt von zeithistorischem Unverstand. Die NSDAP war fraglos eine durch demokratische Wahlen legitimierte Partei, und politische Bildung besteht eben genau darin zu vermitteln, dass das Wahlvolk jedes Recht hat, unterschiedlichste Parteien ins Parlament zu hieven, auch solche, die an den Grundfesten demokratischen Zusammenlebens rütteln wollen. Ihnen, sollen die jungen Leute wissen, muss möglichst lange und laut mit den besseren Argumenten entgegengetreten werden. Erst in letzter Konsequenz darf die Demokratie auf Verbote setzen.

Auch der bedenkliche Begriff Ausgewogenheit kommt in dem Erlass nirgends vor. Was es wiegt, das hat es, heißt es zu Recht in einem alten Spruch. Ausgewogenheit würde bedeuten, bei einem konkreten Anlassfall die Waagschalen durch ausgleichende Zusatzgewichte in einer falschen Balance zu halten. Das ist nicht die Aufgabe der österreichischen Schule.

Meldestelle für parteipolitische Beeinflussung an Schulen

Während man beim Landesschulrat bald darauf zurückruderte und den Abbruch des Vortrags schließlich doch als unzulässig qualifizierte, verschärfte die FPÖ ihre Gangart und richtete in Oberösterreich, lange bevor die AfD Gleiches unternahm, eine "Meldestelle für parteipolitische Beeinflussung an Schulen" ein. Heftiges Medienecho war die Folge. Derzeit ist die zugehörige Website "wegen Wartungsarbeiten vorübergehend außer Betrieb". Aber wenigstens zum Teil zeigt diese massive Drohgebärde sehr wohl die erwünschte Wirkung. So manche Schulleitung ist seither wesentlich restriktiver, wenn es darum geht, Vorträge von Fachreferenten oder etwa Dialogveranstaltungen mit Schriftstellern zu gestatten. Man will sich Scherereien ersparen.

Prompt Skandal!

Zur Taktik der Freiheitlichen und ihrer publizistischen Organe gehört es, Verweise auf klare strukturelle Parallelen als simple Gleichsetzung zu deuten und prompt Skandal! zu schreien. Ein Vortrag über extremistische Herausforderungen, in welchem solche Haltungen bei den Grauen Wölfen, den Salafisten, den Staatsverweigerern oder gewissen Burschenschaften erörtert werden, setzt die einzelnen Akteure aber nicht automatisch gleich. Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits Kampfpostings zu diesem Kommentar, die ihm unterstellen, er würde FPÖ und NSDAP auf eine Stufe stellen, nur weil ich nachweise, dass die Behördenargumentation, demokratisch legitimierte Parteien seien des Extremismus grundsätzlich unverdächtig, nicht haltbar ist.

Denunziation aus niedrigen Beweggründen schrammt bestenfalls knappest am Extremismus vorbei, wenn man sich dessen Definition als aktive Gefährdung der Grundwerte zu eigen macht. Eine Partei, die nichts dabei findet, dass ihr Klubobmann im Parlament aus politischem Kalkül mit fadenscheinigen falschen Belegen einen harmlosen jugendlichen Asylwerber und Lehrling als Terrorsympathisant anzeigt und öffentlich vorverurteilt, darf sich nicht wundern, wenn Lehrpersonen diesen alarmierenden Vorgang zum Anlass für eine Lehrstunde nehmen, wie solches zu anderen Zeiten auszugehen pflegte, als die Justiz gleichgeschaltet war. Und dass jedes Kind kompetenzorientiert die Zeichen an der Wand lesen können sollte. (Ludwig Laher, 21.10.2018)