Wien erlebt einen Bauboom – die Stadt sieht sich allerdings schweren Vorwürfen ausgesetzt. Im September fand deswegen ein Sondergemeinderat statt.

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Wien – Seit Jahren erlebt die Stadt Wien einen wahren Bauboom, dazu steigen Grundstücks- und Mietpreise steil an. Die Entwicklung ist bemerkenswert: So zogen die durchschnittlichen Wohnungspreise in Wien allein seit 2010 um rund 80 Prozent an. Laut Statistik Austria kostete eine Eigentumswohnung im Vorjahr 3598 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche – um knapp sechs Prozent mehr als 2016. Baufirmen haben volle Auftragsbücher, Immobilienkonzerne jubeln. In der Stadt ist viel Geld unterwegs.

Aushängeschild Semmelweis

Und just in diesem Umfeld schafft es die Stadt Wien, mit einzelnen dubiosen Immobiliendeals ins Kreuzfeuer der Kritik zu geraten, weil sie für Grundstücke und Objekte viel zu geringe Erlöse einstreift.

Als diesbezügliches "Aushängeschild" gelten für die Opposition in Wien die Vorgänge auf dem sogenannten Semmelweis-Areal. So kaufte 2012 die gewerkschaftsnahe und mit der SPÖ eng verbandelte At-home Immobilien GmbH um 4,66 Millionen Euro ein städtisches Grundstück auf dem Gelände der Frauenklinik. Errichtet wurden keine geförderten, sondern freifinanzierte Wohnungen. Bieterverfahren gab es keines. Der Verkaufspreis basierte auf einem Schriftstück eines Gutachters. Dieser hatte davor selbst ein Zinshaus auf dem Areal von der Stadt um 500.000 Euro erworben – ohne Ausschreibung. FPÖ, ÖVP und Neos kritisieren, dass die Stadt Grundstück und Zinshaus unter Wert verkauft habe. In beiden Causen ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen des Verdachts auf Untreue gegen unbekannte Täter. Dem nicht genug, wurden auch drei Semmelweis-Pavillons um 14,2 Millionen Euro verkauft – erneut ohne Bieterverfahren. Auch hier wurde der gleiche Gutachter von der Stadt beauftragt.

Keine Ausschreibung, viel Aufregung

Es ist kein Zufall, dass gerade jene Grundstücksdeals der Stadt für Aufregung sorgen, bei denen keine Ausschreibung erfolgt ist. Auch bei der Veräußerung von Flächen in der Krieau war das der Fall, im Zuge deren zuletzt auch die Trabrennbahn den Besitzer wechselte. Sie ist nun in den Händen derselben Immobilienfirma, die den Stadtteil "Viertel Zwei" rund um die Bahn entwickelt. Auch bei diesen Transaktionen wurde von der Opposition empört darauf verwiesen, dass Flächen zu billig verkauft worden seien. "Es gibt null Transparenz, und am Ende wird weit unter Wert verscherbelt", sagte der nicht amtsführende Stadtrat Markus Wölbitsch (ÖVP).

Den Großteil der Verkäufe wickle die Stadt aber ordnungsgemäß ab, meint Margret Funk, Immobilientreuhänderin und Expertin für Immobilienbewertung. "Sie gehen an und für sich ja richtig vor – mit Bieterverfahren und alles, alles sehr korrekt." Nur würden eben hie und da auch politische Entscheidungen fallen, wo dann alles recht intransparent wird. "Ein Privater würde anders handeln." Auch weitere Immobilienprofis, die nicht genannt werden wollen, sind der Meinung, dass die immer häufiger durchgeführten Bieterverfahren der richtige Weg wären. Nur dort, wo Vergaben durch die Stadt "unter der Hand" erfolgen, der Marktpreis nur über ein Gutachten festgestellt und keine professionellen Makler involviert sind, liege einiges im Argen.

Laut einem im Vorjahr veröffentlichten Bericht des Rechnungshofs (RH) sind zwischen 2005 und 2014 nur 67 von 3400 Liegenschaftsverkäufen der Stadt Wien im öffentlichen Bieterverfahren durchgeführt worden. Teilweise seien Gründe viel zu billig veräußert worden. Aus dem Büro des damaligen Wohnbaustadtrats und heutigen Bürgermeisters Michael Ludwig (SPÖ) hieß es nach Erscheinen des Berichts, dass es bei Verkäufen das übergeordnete Interesse gebe, kostengünstigen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. "Nur in den seltensten Fällen" sei Gewinnmaximierung das Ziel.

Stadt falle nicht um Geld um

In der Krieau entstehen zwar keine kostengünstigen Sozialwohnungen, die Stadt spricht aber trotzdem von einer "erfolgreichen Entwicklung", wie eine Sprecherin von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal (SPÖ) sagte. Der Endpreis des Verkaufs der Trabrennbahn stehe zudem noch gar nicht fest. "Die Stadt fällt sicher nicht um Geld um." Die Krieau sei zum Zeitpunkt des Verkaufs der ersten Grundstücke ein unattraktives Gebiet gewesen, sagte ein Sprecher.

Dem widerspricht Stadtsoziologin Mara Verlič: Dass die Krieau eine gute Lage ist, hätte man auch schon vor 15 Jahren gewusst. "Es ist nicht so, dass man einem Investor dankbar dafür sein muss, dass er diese begehrte Fläche gekauft hat." Verlič verweist auf durch die Decke gehende Bodenpreise, die den geförderten Wohnbau – mit Obergrenzen für Grundstückspreise – immer schwieriger machen würden. Laut Verlič dürfe es daher "keine Privatisierungen von öffentlichen Flächen mehr geben" – außer eben für sozialen Wohnbau.

Der grüne Koalitionspartner hat nach dem umstrittenen Teilverkauf des Semmelweis-Areals Lehren gezogen. "Größere Grundstücke der Stadt Wien werden unsere Zustimmung zu einem Verkauf nicht mehr bekommen", schrieben im Jahr 2016 gemeinsam Planungssprecher Christoph Chorherr, der mit Jahresende abtritt, und Klubchef David Ellensohn, der die Nachfolge von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou antreten will. Stattdessen soll nur noch im Baurecht vergeben werden: Bauträger erhalten ein Baurecht für bis zu 99 Jahre (mit Möglichkeit auf Verlängerung) und müssen einen Bauzins abliefern, das Grundstück verbleibt im Eigentum der Stadt.

2,8 Millionen Quadratmeter Flächenreserven

Die Flächenreserven der Stadt betragen aktuell 2,8 Millionen Quadratmeter. Zum Vergleich: Das ist mehr als die Größe der Seestadt Aspern: Ein Teil der Reserven ist aber laut Wohnbauressort noch nicht entsprechend, etwa für Wohnbau, gewidmet. Von 2015 bis 2017 wurden 715.000 Quadratmeter von der Stadt angekauft, 230.000 Quadratmeter Boden wurden verkauft. In den vergangenen drei Jahren wurden acht Baurechtsverträge im Gesamtausmaß von 131.500 Quadratmeter Boden abgeschlossen.

"Auch für die nächsten Jahre wird eine verstärkte Vergabe der Grundstücke im Baurecht angestrebt", hieß es aus dem Büro von Stadträtin Gaal. Die mit der geplanten Novelle der Wiener Bauordnung neu eingeführte Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau", die mit März 2019 in Kraft treten dürfte, soll zudem Grundstücksspekulationen eindämmen.Mit der Eröffnung des Krankenhaus Nord übersiedeln die Semmelweis-Klinik, das Orthopädische Krankenhaus Gersthof oder das Krankenhaus Floridsdorf komplett. "An Verkäufe wird derzeit bei keinem der Gebäude gedacht", sagt ein Sprecher von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) auf STANDARD-Anfrage. Die übrigen Semmelweis-Pavillons sollen also ebenfalls im Stadteigentum verbleiben. "Nicht ausgeschlossen" ist eine Vergabe im Baurecht. (David Krutzler, Vanessa Gaigg, Lara Hagen, Martin Putschögl, 18.10.2018)