Das Wiener Volkstheater wurde als Pendant zum k. k. Hofburgtheater gegründet, mit moderaten Kartenpreisen und "niederschwelligeren" Stücken. Inzwischen sind fast 130 Jahre vergangen, und nicht nur die Gesellschaft, auch die Theaterlandschaft hat sich gravierend geändert. Welches Profil soll sich das Volkstheater, dessen Intendanten und Intendantinnen seit Jahrzehnten mit einer im Vergleich sehr schwachen finanziellen Ausstattung hadern, nach Anna Badoras Abgang 2020 geben? Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) erforscht in offenen Kaffeehausmeetings (täglich im Café Eiles, acht Uhr) das Begehr.

Fest steht, dass der Helmer-&-Fellner-Bau am belebten Eck zum Museumsquartier attraktiv ist. Ein Riesentanker mit Repräsentationscharakter, aber auch mit fehlendem Stauraum und ohne funktionierendes Abosystem. Die Silhouette? Ein Traum. Die Sanierung ist am Laufen und nach der späten Zusage vonseiten des Bundes finanziell abgesichert.

Die Ausschreibung für die Spielzeit ab 2020/21 erfolgt zu Jahresbeginn. Soll das Haus strukturell so weitermachen wie bisher, oder braucht es andere Modelle?

Gleicht einem Eckzahn im Stadtbild – und ist doch dasjenige Großtheater, das für die Umsetzung zahlreicher Modelle geeignet scheint.
Foto: Lupi Spuma

ENSEMBLEGLANZ

Das Ensembletheater ist das Herzstück des deutschen Sprechtheaters. Hier werden nicht zuletzt dank kontinuierlich gewährleisteter Kollaborationen Glanzleistungen produziert. Eine solcherart gewachsene Struktur gibt man nicht leichtfertig auf, zumal dies in etwa der Zerschlagung eines Uhrwerks gleichkäme. Die Frage ist also, welche Art "Volkstheater", sofern man den Namen beibehalten möchte, es in einer Stadt mit drei ähnlich waltenden Theaterhäusern geben soll. Das geht über die Intendantenhandschrift hinaus. Eine klare Abgrenzung zu Theater in der Josefstadt, Akademie- und Burgtheater wäre notwendig.

DER KOPRO-COUP

Wie Frank Castorfs Berliner Volksbühne vor die Hunde ging, das möchte man, bitte, nicht auch in Wien erleben. Hier gibt es genug eigene Probleme. Aber es muss nicht heißen, dass ein als Ensemble- und Repertoiretheater geführtes Haus sich nicht auch andere Produktionsabläufe und eine grundlegende Öffnung überlegen könnte. Mit einem Wechsel in einen Betrieb mit Kuratorenspitze und wechselnden Koproduktionen wären das Ensemblebiotop und der persönliche Charakter des Hauses verloren. Dafür wäre das Programm internationaler, vielschichtiger und kostengünstiger. Das Publikum könnte den Festivalcharme dieses Modells schätzen.

DAS GLÜCKSPAKET

In keinem Theateralmanach steht geschrieben: Das Wiener Volkstheater muss als Ensemblebühne unterhalten werden! In einem ersten Schritt könnte man dem Riesenmaul der Guckkastenbühne die Giftzähne ziehen. Mit der Installation einer kleinen "Black Box" würde das Haus für zeitgenössische Theaterformen im Handumdrehen aufnahmebereit. Erst dann könnte – auf Basis künstlerischer Verabredungen – eine Off-Theater-erfahrene Neo-Intendantin für Durchzug sorgen. Neben "schnellen" Eigenproduktionen im Abspielmodus wäre ein Etat für Gastspiele vonnöten. Die Zahl an jährlichen Spieltagen gehört abgesenkt (auf unter 200).

FREIE-SZENE-HIT

Zu den Fetischen der Wiener Theaterreform zählt seit der letzten Jahrtausendwende die Idee selbstverantwortlicher Theaterarbeit. Als Modell mit implementiertem Steuerungsmechanismus gilt das "Koproduktionshaus": Mehrere Gruppen aus dem In- und vielleicht auch dem Ausland verwalten gemeinsam auf Zeit ihren künstlerischen Output. Entsprechende Nutzungsabsichten stünden dem Volkstheater umso besser zu Gesicht, als auch Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler den Wunsch geäußert hat, die freien Theatermacher aus ihren Schlupflöchern herauszulocken. Ein Modell mit demokratiepolitischem Charme. (Margarete Affenzeller, Ronald Pohl, 17.10.2018)