Günter und Anna Brus unterhalten eine intensive Beziehung zum STANDARD – und das seit Gründung der Zeitung: Von der mitunter kritisch raumfüllenden Präsenz beim Frühstückstisch bis zum Gleichklang in der weltoffenen politischen Haltung.

Foto: Alexander Danner

Anna Brus: "Irgendwo hängt der STANDARD immer drin. Ihr seid so präsent bei mir beim Frühstückstisch, wie man nur präsent sein kann."

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Er überlegt ausgiebig, zündet sich eine weitere Zigarette an, gießt einen Schluck Bier nach und resümiert schließlich das in den letzten Minuten Durchdachte: "Nein, es fällt mir eigentlich nix ein. Passt so."

Günter Brus, Österreichs Säulenheiliger des Wiener Aktionismus, war einer der Ersten, die sofort nach der Gründung des STANDARD ein Abo geordert hatten. "Der Grund war die politische Haltung. Ich hab eine Zeitung gebraucht, die wirklich unabhängig und weltpolitisch orientiert ist."

Seit Brus mit seinem Lebensmenschen Anna weitab von den urbanen Reibungsflächen am grünen Stadtrand von Graz lebt, fallen ihm zunehmend geografische Disparitäten auf. "DER STANDARD ist halt schon auch etwas Wien-lastig. Jeder Furz, der in Wien gelassen wird, wird kommentiert, während wichtige Ereignisse in der Provinz zum Teil übersehen werden. Na ja, die Hauptsache, ihr bleibt politisch so souverän."

Leserhythmus

In all den Jahren habe er sich jedenfalls einen gewissen Leserhythmus angeeignet. "Zunächst lese ich vorne den Rauscher, mit dem bin ich befreundet. Für mein Gefühl schreibt er sehr grantig, vor allem über die FPÖ, da muss ich immer schmunzeln. Dann den Traxler. Das Kreuzworträtsel versuche ich auch zu meistern, was mir selten gelingt. Diese Umschreibungen im Dialekt ... das ist ja eine Zumutung. Aber sonst wüsste ich wirklich nicht, was mir abginge."

Anna Brus kommt in den großzügig offenen, mit Brus-Exponaten drapierten Küchen-Wohnraum. Sie hat den letzten Halbsatz noch mitgehört und widerspricht heftig: "Also ich hab schon was auszusetzen." Da sei etwa die Geschichte mit der ehemaligen Kulturchefin des STANDARD, einer alten Freundin, gewesen, die trotz heiligen Versprechens nicht zur großen, wichtigen Brus-Ausstellung gekommen sei. "Sie hat mich einfach hängenlassen. Seither bin ich sauer auf den STANDARD."

Anna Brus zwinkert. Alles vorbei und (fast) vergessen. Aber es gebe tatsächlich eine negative Seite des STANDARD. Günter Brus winkt lachend ab: "Ja ja, ich weiß, weil ich ihr immer in der Früh die Teller mit der Zeitung zudecke."

Präsenz am Frühstückstisch

Anna Brus: "Ja, das ist die nächste Kritik. Dass die Zeitung so groß ist – nicht ganz so groß wie die deutschen großen Zeitungen, aber immerhin. Und er deckt mir immer den Kaffee zu. Die Zeitungszipfel hängen entweder in meinem Honigbrot oder sonst wo hinein. Irgendwo hängt der STANDARD immer drin. Ihr seid so präsent bei mir beim Frühstückstisch, wie man nur präsent sein kann."

Aber im Ernst: "Politisch seid ihr eh gut beinand. Das ist wichtig wie schon lange nicht mehr. Diese ganzen Kickl-Sachen, da muss man jetzt hellhörig sein, weil: Da nähert sich das Land wirklich langsam dem Orbán an."

"Na ja, weil auch der Kurz nie reagiert", grummelt Günter Brus, "nur manchmal, wenn er weit weg ist, in Amerika, dann macht er eine kleine Meldung." Und irgendwie will Brus nicht ganz verstehen, warum heute nicht – so wie damals 1968 – mehr passiert. "Wehret den Anfängen", sagt Anna und entlässt ihren "Brus" – sie nennt ihn meist beim Familiennamen – auf seinen täglichen Weg zum Vorstadtcafé Romana.

Dort sitzt Brus an einem kleinen Tischerl mit Bier und Aschenbecher und schreibt ein Buch. (Walter Müller, 20.10.2018)