Sportredakteure werden in Zeitungen weltweit als Dodeln abgestempelt. Das mag eine zulässige Verallgemeinerung sein, sie stimmt aber nicht. Es war 1976, ich war gerade 16 Jahre alt. Ein Rebell, ein kitschig schlechter Schüler, die Schande von Wien-Ottakring. Ein Bildungsproblemfall ohne Migrationshintergrund. Meine Eltern waren der Pubertät ihres mittleren Sohnes kaum gewachsen, in höchster Not schickten sie den Aberwitzigen zu einem Psychologen. Der machte einen Intelligenztest, und siehe da: ein IQ von 132, ein wahrlich sensationelles Ergebnis. Natürlich ist die Methodik bis heute umstritten. Ob die Zahl mittlerweile gesunken ist, will ich nicht wissen, vermutlich ja.

Es war also Anfang Oktober 1988, als sich mein Freund und Kollege Michael Völker gemeldet hat. Jener Michael Völker schreibt: "Damals schon kam regelmäßig Christian 'Gigi' Hackl, weltbester Sportreporter, vorbei und erzählte dreimal hintereinander voller Inbrunst den gleichen schlechten Witz. Das tut er heute noch, manche Dinge ändern sich eben nie." Selten so einen Unsinn gelesen, Presse- und Meinungsfreiheit gehen manchmal zu weit. Über "weltbester Sportreporter", kann man wenigstens diskutieren.

Ex-Teamchef Josef Hickersberger fachsimpelt (scherzt) mit Ist-Redakteur Christian Hackl, es muss 2007 gewesen sein.
Foto: Matthias Cremer

Völker sagte im Auftrag von Oscar Bronner, man brauche dringend irgendwen, der kurze Sportmeldungen verfasst. Ich, mitten in der Sinnkrise, zog meinen schönsten Trainingsanzug an und stellte mich vor, Bronner und Chefredakteur Gerfried Sperl waren aus dem Häuschen. Bronner hatte ja nichts gegen Sport, er war ihm nur wurscht. Jedenfalls stimmt es nicht, dass der STANDARD überhaupt keinen Sport hatte. Damals wurde Müll nicht getrennt, es gab eine Seite, die mit "Magazin" paginiert war. Intern hieß sie "Vermischtes", sie war ein journalistischer Mistkübel.

Beginn einer großen Karriere

Am 19. Oktober 1988 habe ich, Christian Hackl, geschrieben (ohne Autorenzeile und eigentlich am Tag davor): "CA-Trophy in Wien: Thomas Muster schlug in der ersten Runde den Kanadier Martin Laurendeau in drei Sätzen 6:4, 1:6, 6:3." Es war der Beginn einer großen Karriere. Muster gewann 1995 die French Open. Die Meldung war nicht schlecht formuliert, "in drei Sätzen" hätte ich weglassen können. Mittlerweile wurde Johann Skocek als Leiter des Ressorts "Vermischtes" verpflichtet, im März 1989 war es so weit: Sport und Chronik wurden eigene Stabstellen, die ultimative Mülltrennung, Skocek war der Chef vom Hackl. Der Auftrag lautete: Macht was Gescheites. Sportredakteure genießen gewisse Freiheiten: Ihre Expertise wird selten angezweifelt, die Einmischung der Bosse ist überschaubar (Danke, Gerfried Sperl! Danke, Alexandra Föderl-Schmid! Martin Kotynek kann noch nicht endgültig beurteilt werden, aber vorauseilend: Danke!). Sie sind in Politik, Wirtschaft und Kultur blitzgescheit, Sport ist jedoch zu speziell. Obwohl Sperl in seiner Jugend ein begnadeter Läufer war.

Hier der ultimative Beweis: Es hat schon immer eine Sportberichterstattung im STANDARD gegeben.
Foto: Matthias Cremer
Trotzdem war es zunächst ein erbitterter Kampf. Aber das ist halt das Wesen des Sports.
Foto: Matthias Cremer

Intern war es ein erbitterter Kampf. Bei den morgendlichen Konferenzen wurde gefragt: "Was macht die Außenpolitik?" "Was die Innenpolitik?" "Was die Kultur?" "Was die Wirtschaft?" Auf den Sport wurde vergessen. Jessas, haha und Entschuldigung. Der Durchbruch gelang mit der Einführung der Sportweihnachtsfeier. Die fand nach der offiziellen, durch Reden sinnlos verlängerten statt. Selbst Herr Bronner liebte dieses enthemmte Beisammensein. Es gab einen eigenen Christbaum, den hässlichsten, der im ersten Bezirk erhältlich war. Geschmückt war er super. Brigitte Kautschitsch, unsere Sekretärin, die sich den Kaffee immer bringen ließ, putzte ihn niemals unredlich auf. Getanzt wurde "Griechischer Wein", gesoffen österreichischer Veltliner. Das Fest ist längst Geschichte, aus 60 Mitarbeitern sind knapp 600 geworden, die kann man nicht auf eigene Kosten anfüllen. In der Welt draußen wurde man mit der Frage konfrontiert: "Was, der STANDARD hat einen Sport?"

Kein Hurra-Patriotismus

Er hatte einen. Es wurde Wert auf Formulierungen gelegt, kein Hurra-Patriotismus, keine Verhaberung, dafür Hintergründe, Gespräche über Gott und die Welt. Serien wie "Das wurde aus" wurden ein Markenzeichen, der "Kick-Talk" war ein Hit. Mit Prominenten abseits des Sports wurden Fußballspiele besucht, der selige Schauspieler Karlheinz Hackl hat unsere Namensgleichheit lustig gefunden. Oder der Soziologe Roland Girtler, der mit seiner Enkelin im Stadion erschienen ist und "so ein Schas" gesagt hat. Worauf die Enkelin ihn zurechtwies. "'Schas' sagt man nicht, Opa."

Apropos Schas: Das 0:1 gegen die Färöer war ein Höhepunkt meiner Laufbahn, für Josef Hickersberger ein Tiefpunkt. 30 Jahre sind circa 1200 Bundesligapartien, viele mit Rapid-Beteiligung, Hochachtung vor mir selbst. Fehler wurden gemacht: Bei einem Weltrekord über 100 Meter standen drei verschiedene Zeiten im Artikel, die richtige war nicht dabei. Mittlerweile sind es recht viele Dodeln im Sportressort, 2013 wurden Print und Online fusioniert, die Zeit des Vergessenwerdens war einmal.

Ist man 58, hat man die große Zukunft hinter sich. Die Sehnsucht nach Entschleunigung wächst. Der letzte Satz naht. Der letzte Witz droht. (Christian Hackl, 19.10.2018)