Die schwedischen Polizisten waren ja geradezu kumpelhafte Freigeister gegen ihre norwegischen No-Bullshit-Kollegen. Wir lernen also die Anwendung von 600 PS und der Schubkraft eines Elchrudels für überschaubaren Nutzungsbereich.

Åre ist ein guter Startort, wir werden im Februar viel davon sehen und hören, weil dort die Ski-WM stattfindet. Eh: Alpin (schon zum dritten Mal seit Andi Molterer), mit Abfahrtslauf und allem, was steil und hoch ist. Unsere milde Anerkennung, was man aus kräftigen Hügeln alles machen kann, mag scheinheilig sein, aber wahrscheinlich brauchen sie weniger Kunstschnee, außerdem gewinnt eh der Hirscher.

Norwegische Küste

Von Åre im mittelschwedischen Jämtland bis Trondheim an der norwegischen Küste sind es bloß 160 Kilometer. Mit der Liebe zum nordischen Wesen, im Bentley noch dazu, lassen sich locker tausend draus machen, welch ein Vergnügen.

Zur Historie gehören ja nicht nur die schlimmen Bentley Boys der Twenties, dazu gehörte auch die Lässigkeit-plus-Kohle, den jungen englischen Menschen auf die Grand Tour zu schicken, also auf den Kontinent zu den lebenden und toten Kunstwerken. Als Bentley frisch erfunden wurde, unter Anleitung des Technik-Freaks Ferdinand Piëch, konnte das erste Modell einfach nur als Grand Tourer namens Continental auf die Welt kommen, und nach einem kleinen Facelift gibt es nun das neue Modell.

Der Grill wie ein Wappenschild, hier kommt Bentley, aber doch recht verträglich. Auch die Nasenlöcher sind freundlich, mit diamantener Tiefenwirkung.
Foto: Bentley

Man kann zwar 320 km/h fahren, schlägt sich aber nicht mit Ferraris, Lambos, Astons oder GT3s herum, sondern führt das Übermaß an Leistung als stille Reserve mit. Wie die Queen, die auch nicht Ferrari fahren würde, aber andererseits wieder ins Beuteschema von Rolls-Royce passt. Als Freundin der leisen Art fährt sie Bentley, wenn auch nicht gerade den GT, und sie mag nicht das teure Leder, sondern Stoffsitze. Deren Farbe heißt mit zarter Ironie West England Grey, weil es in der Gegend von Bristol ja immer wieder aufhellt.

Elche brauchen keine Sympathiewerbung, sie sind so possierlich wie majestätisch, und auf Youtube kann man stundenlang lauschen, wie bezaubernd ihre Sprache ist, wenn sie sich untereinander was zu sagen haben.

Prächtige Elchenkacke

Was wir nicht wussten: wie prächtig Elche kacken, fast geruchlos und quasi steril, weil sie großteils Zweige und Rinde fressen und daraus Zellulose produzieren (okay, das ist eine Kurzfassung). Zur hochwertigen Papiergewinnung ist es nur ein kurzer Schritt, ohne Chemie. Es bedarf einiger Noblesse, aus dem Bauernladen nicht gleich ein Glas Elch-Pralinen für gute Freunde mitzunehmen, wer kann schon ein schwedisches Etikett lesen.

Die berühmten Elch-Hinweistafeln, und es gibt Tausende an den Straßen, sehen wir nun mit kumpelhafter Freude.

Wir erfahren Neues über unser Lieblingstier, und wie wir Freunde daheim mit einem Glas Elchpralinen überraschen können.
Foto: Bentley

Der wichtigste Satz über das gefällige Tier stammt aber unverändert von dem deutschen Philosophen F. W. Bernstein: Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.

Es ist immer interessant, wie Elitemarken mit dem digitalen Wahnsinn umgehen. Zuvor müssen wir einen weiteren Code schlucken, um uns ins Gedankenbild einzuloggen: Digital Detox, klingt immerhin nicht so klinikmäßig wie Entgiftung. Es funktioniert wie die Pfeife von Magritte. Wir sehen einen echten Tacho (Drehzahlmesser usw.) und erfreuen uns des Zeigers, wissen aber, dass er nicht echt ist, sondern Schmäh-Analog. Magritte weitergedacht, können wir das Bild verkehrt an die Wand hängen, dann haben wir keine Pfeife, die eine Pfeife ist, oder kein Bild, das keine Pfeife ist, oder doch.

Im Bentley können wir das Bild des Tachometers (und fast aller Instrumente) zur Seite schieben, kleiner machen, umdrehen, wegwischen, dass am Ende nur noch das gesetzliche Minimum bedient wird, eine schlanke Schriftzeile.

Ob uns das gefällt?

Zur Abwechslung ja. Diese Ruhe an allen Bildflächen des Cockpits. Dann holen wir uns mit ein paar digitalen Manövern das Fake der Analogie zurück, obwohl der Zeiger praktisch eh nicht zucken darf in Norwegen. Die g'wisse Sehnsucht nach der Urscheibe des Cockpits, die wird dem autofahrenden Menschen doch noch eine Weile bleiben.

Bloß die Borduhr ist nicht verhandelbar in dieser Firma, sie ist ein Juwel seit ewigen Zeiten und tickt, ganz leise, aber doch.

Die Uniqueness eines Bentley wird sehr durch das Kunsthandwerk in Leder, Holz, Stoff bestimmt, und ja, das Lenkrad ist wirklich handvernäht, im Doppelstich, und der Künstler darf sich noch immer fünfzehn Stunden Zeit dafür nehmen. Für eine Maschine sei der Vorgang zu kompliziert, wenn das bloß nicht die Chinesen hören.

Wenn das die Chinesen spitzkriegen: Es gibt noch keine Maschine für diese Art genähter Lenkräder. Der Künstler sitzt fünfzehn Stunden an seiner Arbeit.
Foto: Bentley

Die Küchenchefs im Norden sind neuerdings geneigt, uns die Welt zu erklären. Das soll nicht keck klingen, nur weil wir in frühen Jahren zähes Fleisch mit matschigen Erdäpfeln in finsteren Saucen gegessen haben, bloß die Beeren mittendrin waren schon damals toll. Die hatten Namen, die keiner übersetzen konnte, daraufhin hat man gelacht und eben noch etwas getrunken. Das war die frühe nordische Küche.

Jetzt trinkt man eher weniger, auch abends, wenn alle Zwölfzylinder ruhen, und hört dem Koch zu, wenn er uns von Blumen, Pilzen, Beeren, Gräsern und gegrillten Rosenblättern erzählt.

Es ist ein entspanntes Fest, sich dieser neuen Märchenhaftigkeit auszuliefern, sie funktioniert ja tatsächlich auf dem Teller. Nur die Beeren mit siebenerlei Namen gibt's immer noch, bloß wird jetzt bei Tisch gleich die Übersetzung gegoogelt. Meistens kommt Preiselbeeren heraus, aber es sind natürlich keine Preiselbeeren.

Zur neuen nordischen Küche gehört die Freude an einer Märchenhaftigkeit vom Hier-und-Jetzt, und wie aus einer kleinen Karotte eine Prinzessin wird.
Foto: Bentley

Wir haben noch nicht über die Schönheit des Wagens gesprochen, er läuft ja so selbstverständlich im Wind. Der erste GT von 2003 schien für die Ewigkeit gemeißelt zu sein, wie sollte man daran rühren?

Das frische Modell ist behutsam nach dem Strich gebürstet worden, mit schärferen Muskelkonturen. An der Front gab's natürlich nicht viel zum Herumdoktern, das feine Geflecht des Wappenschilds lässt den schlanksten Royce-Kühler grob geschnitzt ausschauen. Im Lichtgehäuse ist die diamantene Tiefenwirkung jetzt noch diamantener, sagt der Designer, und ja, wir merken die zusätzliche Noblesse im Tageslicht, wenn wir nur fest genug hinschauen.

Das Heck hingegen – größte Vorsicht bei den Wortmeldungen. Die Bentley-Community ist da quasi over the cross. Da war eine gibraltarmäßige Kante, und jetzt ist da eine kleine modische Falte im Fels. Die Leuchteinheiten nähern sich Ellipsen, auch das ist neu und lässt sich trefflich bereden.

Steaming hot news from the backside – da schaut der Bentley-Fan zweimal hin. Das Motiv der Ellipse, okay, but oh my god, diese modische Rille.
Foto: Bentley

Dieses Heck übrigens schiebt bei Bedarf einen sehr dezenten Spoiler heraus. Man möge das jenseits von 200 als nützlich empfinden. Aber wir sind ja in Norwegen, Tempo 80. Fantastisch. (Herbert Völker, 11.11.2018)