Zeichnet in "Ziegelbrennen" ein vielschichtiges und vielstimmiges Geschichtspanorama: der Wahlsalzburger Christian Lorenz Müller.

Foto: Johannes Amersdorfer

Alles beginnt mit einer Hochzeit über ethnische Grenzen hinweg, folglich mit einer Namensänderung. In Slawonien heiratet kurz vor dem Zweiten Weltkrieg die Kroatin Ruzmarinka den zwölf Jahre älteren Donauschwaben Raimund Quendler.

Auf dem kleinen, hart zu bearbeitenden Anwesen will die Familie sie Rosemarie nennen, "weil sie ja nun eine Deutsche sei". Bis man sich auf Rosmarinka einigt, verfolgt das halbe Dorf den "Namensstreit". Angesichts der kommenden Kämpfe wäre er eine Lappalie, wenn es nicht um Identität und Zuschreibungen ginge.

Im Alter erzählt Rosmarinka dem Geliebten ihrer Enkelin Valentina, dem Historiker Arthur, ihre wesentlichen Lebensfragmente: Partisanen aus dem Wald, faschistische Ustascha und zurückweichende Wehrmacht; Mühen der Flucht und des Neuanfangs im Nachkriegsösterreich; Schufterei in Ziegelbrennerei und Plastikfabrik; sozialer Aufstieg der Kinder Anton und Helga, das "Erlöschen" von Raimund.

Und immer die Erinnerungen an die verlorene Heimat, an Sveti Ivan, den alten Hof, die einfachen Zustände, den Beginn der Gewalttätigkeiten. Die Spur der ethnischen Auseinandersetzungen verfolgt der Historiker vom kroatischen KZ Jasenovac – in dem die katholischen Berserker fast hunderttausend Menschen, vor allem Serben, ermordeten – über die Jugoslawienkriege der 1990er-Jahre bis zum Syrienkonflikt und zur "Flüchtlingskrise" 2015.

Eindringlich

Wir sind im eindringlichen Familien- und Gesellschaftsroman Ziegelbrennen (Otto-Müller-Verlag, 25,- Euro) von Christian Lorenz Müller, 1972 in Rosenheim geboren, seit langem in Salzburg beheimatet. Für dieses, sein zweites Werk, hat er eine Mischung aus chronologischem Vorgehen und unterschiedlichen Perspektiven auf gegenwärtiges Geschehen gewählt. Arthur, der in seiner Magisterarbeit "Ethnizität ohne nationale Bindungen" in Tito-Jugoslawien analysiert hat, tritt in Ich- sowie in Er-Erzählung auf.

Sein "Schwiegerfreund" Anton, Valentinas Vater, schickt ihm Fax-Nachrichten aus zunehmender Umnachtung. Von einer polnischen Performancekünstlerin erhält der Historiker kurze Digitalberichte über ihre selbstzerstörerischen Auftritte gegen die Politik der Grenzzäune. Arthurs Entfernung und Lösung von Valentina ersteht ebenso in Dialogform wie seine Interviews mit Jugendlichen aus kroatischen und bosnischen Zuwandererfamilien. In seinem Forschungsprojekt für die Firma Heldenstahl befragt er die Jugendlichen, was sie über NS-Zeit und Holocaust denken – damit gerät er in die aktuellen Konflikte auf dem Balkan.

Keine Sozialromantik

Diese Fülle mag überzogen scheinen, aber Müller arrangiert sie klug zu einem ansprechenden Geschichtspanorama. Der Wechsel von Standpunkt und Zeit ergibt eine sukzessive gegenseitige Beleuchtung der verschiedenen Ebenen, zieht – in den Einschnitten mitunter zu offensichtlich um Effekt bemüht – die Lektüre von Spannungsbogen zu Spannungsbogen. Diese Anordnung verleiht dem Roman jedenfalls Breite wie Tiefe, da sie weitreichende Einblicke in innere und äußere Verhältnisse ermöglicht: besonders originell sowie einfühlsam Antons Abgleiten ins Manisch-Depressive.

Zudem finden sich die Unterschiede zwischen den Lebenssphären, vor allem der früheren rustikalen und der späteren intellektuellen, plastisch vor Augen geführt. Ohne Sozialromantik wird Arbeit auf dem Bauernhof und in den Fabriken präzise geschildert, ohne Betulichkeit Antons Abkehr vom Priestertum (nachdem er von der Rolle der Kirche im Ustascha-Regime erfahren hat), ohne Übertreibung die prekäre Lage eines "freien" Geisteswissenschafters.

Diese gegen jene

Derart kontert Christian Lorenz Müller jene Bipolarität "Wir gegen die anderen", die ein Hauptthema des Romans bildet: Kroaten gegen Donauschwaben, Ustascha gegen Partisanen, Katholiken gegen Orthodoxe, Serben gegen Kroaten, Ungarn gegen Flüchtlinge. Auf der Flucht sind die meisten Charaktere des Romans, ob wegen politischer oder privater Verhältnisse. Die Rückschlüsse, die Müller seinen Historiker Arthur ziehen lässt, erscheinen allerdings etwas simpel. Die Kriegs- und Flüchtlingssituation beim Zusammenbruch Jugoslawiens setzt er mit Syrien und der europäischen Überforderung 2015 gleich.

Für die paar oberflächlichen Passagen und die kurze plakative Darstellung des Kunstmarktes entschädigen die facettenreichen Charakterbilder. In vielen Klangfarben überzeugt dieser Roman der Vielstimmigkeit in realistischer Erzählweise mit Fantasieeinschüben, im Konkreten wie im Übertragenen. Der Titel Ziegelbrennen bezieht sich sowohl auf die Arbeit von Rosmarinka als auch auf die euphemistische Verharmlosung der Bestialität, man schicke Menschen zum "Ziegelbrennen" nach Jasenovac. (Klaus Zeyringer, 16.10.2018)