Die Working Poor teilen ähnliche Ängste: dass die Waschmaschine kaputtgeht, dass das Auto beim Service kein Pickerl mehr bekommt oder dass beim Arztbesuch zu hohe Rechnungen anfallen.

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Manche Menschen wären froh, wenn sie einen Job hätten. Pia Moos (Name von der Redaktion geändert) hat gleich drei. Doch so richtig glücklich wird sie damit auch nicht.

Die Frau hat sich auf den Sessel neben dem Küchentisch fallen gelassen, hinter ihr der kleine Gasherd, davor eine Couch, auf dem Gewand liegt. "Ich schlafe im Wohnzimmer, seit ich das zweite Schlafzimmer für die Kinder brauche", sagt Pia Moos. Für eine größere Wohnung reiche das Geld nicht, sie sei froh, überhaupt Arbeit gefunden zu haben.

Pia Moos geht gleich drei Tätigkeiten nach: Sie reinigt eine Arztpraxis bei ihr im Ort in Niederösterreich, sie kümmert sich um die Parkanlage und das Stiegenhaus ihres Wohnhauses und mäht zudem auf dem Friedhof das Gras. Fünfzehn bis zwanzig Stunden pro Woche ist sie insgesamt im Einsatz, rund 500 Euro schauen am Ende des Monats für sie heraus. Auch mit Alimenten und Kinderbeihilfe bleibt ihr nicht viel mehr, als sie durch die Mindestsicherung bekommen hätte, meint sie.

Rund 300.000 Menschen gehören in Österreich der Gruppe der sogenannten Working Poor an.
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Arbeiten und arm bleiben

Moos fällt damit in die Gruppe der sogenannten Working Poor in Österreich. Darunter versteht man jene Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit kaum über die Runden kommen und als armutsbetroffen oder armutsgefährdet gelten. Rund acht Prozent der österreichischen Erwerbstätigen, etwa 300.000 Personen, sind laut EU armutsgefährdet – sie haben weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens.

Das Niveau sei seit Jahren stabil, meint Bettina Csoka von der Arbeiterkammer Oberösterreich, und befinde sich im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld. Ursachen seien meist geringe Wochenarbeitszeit, eine gering entlohnte Tätigkeit oder eine familiäre Situation, bei der mehrere Personen mit einem Einkommen auskommen müssen. Am häufigsten betroffen seien Menschen mit niedriger Bildung, Migranten und prekär Beschäftigte.

Es wurde langsam schwieriger

Bei Pia Moos ist es erst langsam immer schwieriger geworden. Die 49-Jährige machte damals eine Gastronomieausbildung und arbeitete als Köchin in einer Fachschule. Mit 21 bekam sie ihr erstes Kind, in den darauffolgenden Jahren kamen sechs weitere hinzu. Als sie sich vor zwei Jahren scheiden ließ, hatte sie weder Arbeit noch Geld noch Wohnung, erzählt sie. Vor Gericht habe sie sich die Alimente erkämpfen müssen, mithilfe ihrer Tochter konnte sie sich schließlich die Anzahlung für die Wohnung in Mistelbach leisten.

Zwei ihrer Kinder wohnen nach wie vor in der Wohnung, weshalb sie keine geregelte Vollzeitstelle annehmen kann, meint Moos. "Es ist verrückt, umso mehr ich arbeiten gehe, desto mehr Leistungen werden mir gestrichen." Die Mindestsicherung sei mit dem dritten Job weggefallen. Was bleibt, sei die Angst: dass die Waschmaschine kaputtgeht, dass das Auto beim Service kein Pickerl mehr bekommt oder dass beim Arztbesuch zu hohe Rechnungen anfallen.

Niedrige Bezahlung

Wie vielschichtig die Gruppe an Working Poor ist, zeigte eine Studie des Instituts für höhere Studien (IHS) aus dem vergangenen Jahr: Demnach seien in Österreich auch Personen von Armut betroffen, die sehr viele Stunden pro Woche arbeiten. Fast ein Drittel aller Working Poor falle in diese Gruppe, was laut IHS auf die Problematik niedriger Bezahlung hindeute. Zwar sind niedrige Gehälter nicht automatisch mit Erwerbsarmut gleichzusetzen, trotzdem seien einige Branchen besonders betroffen: In der Gastronomie, im Handel und im Gesundheits- und Sozialwesen gebe es einen vergleichsweise hohen Anteil von Working Poor. Neben einer niedrigen Bezahlung verstärke eine unregelmäßige Beschäftigung wie in der Gastronomie laut Studienautoren die Erwerbsarmut.

Sozialleistungen seien für die Reduktion von Working Poor dabei essenziell, der Arbeitsmarkt allein würde demnach eine weitaus größere Zahl von Working Poor "produzieren". Demnach wären 37 Prozent aller Frauen in Österreich trotz Erwerbstätigkeit arm, wenn die Sozialtransfers und der Haushaltskontext nicht beachtet würden.

Mehr netto vom Brutto

"Working Poor entsteht zu großen Teilen durch unfreiwillige Teilzeitarbeit", meint der Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Christoph Badelt. In Österreich arbeitet rund die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen Teilzeit – so viel wie in kaum einem anderen Land in der EU. Grund seien meist Kinder, weshalb die Frage der Erwerbsarmut auch eine Frage nach dem Angebot an Kinderbetreuung sei, so Badelt. Die sinnvollste Maßnahme, der Gruppe an Working Poor zu helfen, sieht er jedoch in einer vollständigen Befreiung der Niedrigverdiener von Sozialversicherungsbeiträgen. "Ist der Verdienst über der Geringfügigkeitsgrenze, fallen plötzlich hohe Beiträge an. Netto bleibt den Erwerbstätigen oft weniger als davor."

Pia Moos möchte jedenfalls wieder Vollzeit arbeiten, sobald ihre Kinder groß genug sind. Die Hoffnung stirbt zuletzt. (Jakob Pallinger, 12.10.2018)