Sigrid Maurer mit Anwältin Maria Windhager bei Gericht.

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Dieses Urteil wird wohl viele in ihrem Gerechtigkeitsempfinden irritieren. Die frühere Grünen-Abgeordnete Sigi Maurer bekommt via Facebook Nachrichten, die vor sexualisierter Gewalt nur so strotzen. Es sind keine anonymen Nachrichten, sondern sie stammen von dem Account eines Lokals, an dem Maurer oft vorbeimusste – was alles andere als ein Spaziergang war. Männer, die es sich vor dem Lokal gemütlich machten, sollen dort auch offline in Sachen verbaler Übergriffigkeit geübt und Passantinnen hinterhergepöbelt haben, wie Maurer über die sozialen Medien erzählte.

Dort nannte sie nicht nur den genauen Wortlaut der frauenverachtenden, hasserfüllten Facebook-Nachricht, sondern auch den Namen des Lokalbetreibers, den Maurer für den Verfasser der Nachricht hält, sowie den Namen des Lokals.

Deshalb stand sie am Dienstag vor Gericht – nicht aber der mutmaßliche Verfasser der Nachricht. Und genau dieser Punkt ist so irritierend. Denn solange verbale sexuelle Übergriffe "unter vier Augen", wie etwa über eine Direktnachricht via Facebook, geschehen, können sie nicht als "Ehrbeleidigung" geahndet werden. Der von Maurer genannte Lokalbetreiber hingegen konnte sich juristisch wehren – und bekam recht. Maurer wurde – nicht rechtskräftig – wegen übler Nachrede verurteilt, muss 3000 Euro Strafe und 4000 Euro an den Kläger zahlen, weil sie die Behauptung, die Nachricht stamme von ihm, nicht beweisen kann. Der Lokalbetreiber bestritt stets, die Nachricht selbst in seinen Computer getippt zu haben.

Hass im Netz

Das, was Maurer angetan wurde, stehe auf einem anderen Blatt, räumt der Richter in seiner Urteilsbegründung ein. Und dieses andere Blatt ist rechtlich derzeit noch völlig unbeschrieben. Die Judikatur hinkt somit der gesellschaftlichen Realität gewaltig hinterher, obwohl Hass im Netz bekanntlich kein neues Phänomen ist. Viele Frauen, praktisch alle prominenten Frauen, aber auch zahllose andere Frauen, die im Netz ihre Meinung sagen, mitreden oder in irgendeiner Weise aktiv sind, kennen sexistische Reaktionen bis hin zu Vergewaltigungsandrohungen nur zu gut. Selbst bei Letzteren greift der gesetzliche Schutz vor "gefährlicher Drohung" meist nicht, weil viele Hassnachrichten im Netz dafür zu vage sind. Dabei sind sie nicht minder furchterregend und schränken Frauen in ihrem Handlungsspielraum gewaltig sein. Auch dass eine "Ehrbeleidigung" Publikum erfordert, mutet höchst altmodisch an. Beleidigung, Herabwürdigung und verbale sexuelle Übergriffe wirken auch dann belastend auf die Psyche, wenn man sich allein damit konfrontiert sieht. In manchen Fällen kann das noch schmerzhafter sein.

Es gibt dringenden Handlungsbedarf, dass Opfer von Hass im Netz und verbalen Übergriffen nicht mehr auf Mittel zurückgreifen müssen, die sie selbst vor Gericht bringen. Sich dagegen zu wehren darf nicht so schwer gemacht werden.

Doch die Erwartungshaltung, dass Frauen sich wegducken und ausweichen sollen, brach auch im Prozess durch: Der Anwalt des Klägers fragte Maurer, warum sie wegen der pöbelnden Herrenrunde vor dem Lokal nicht einfach die Straßenseite gewechselt habe. Doch Maurer ist nicht ausgewichen, sie hat sich nicht weggeduckt. Das war mutig und – wie sich zeigte – noch immer mit großem Risiko verbunden. Das muss sich ändern. (Beate Hausbichler, 9.10.2018)