EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat kürzlich in einem lesenswerten Interview zum Aufstand gegen den "stupiden Nationalismus" und gegen den "bornierten Populismus" aufgerufen. Mahnend fügte er hinzu: "Wenn klassische politische Parteien den Populisten nachlaufen, dann werden sie selbst zu Populisten." Was er nicht gesagt hat, war die Tatsache, dass die Mehrheit dann oft direkt zum Schmied und nicht zum Schmiedl gehen will.

Dieses Phänomen erlebt man in Bayern, wo der langjährige Vorsitzende der dominierenden CSU, Bundesinnenminister Horst Seehofer, und sein Nachfolger als bayrischer Ministerpräsident, Markus Söder, mit ihren übereilten Handlungen und einem offen gegen die Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichteten scharfen Kurs in der Migrantenfrage zur höchstwahrscheinlichen Niederlage bei den bevorstehenden Landtagswahlen maßgeblich beigetragen haben. Das Eigenschaftswort "unaufhaltbar" wird in deutschen Medien für den von allen Meinungsforschern vorausgesagten Absturz der CSU von 47,7 Prozent im Jahr 2013 auf etwa 33 Prozent verwendet.

Es geht aber auch um das fast ebenso "unaufhaltbare" Schrumpfen der Sozialdemokraten von 20 auf etwa zwölf Prozent. Viele frühere CSU-Wähler gingen offensichtlich zu der rechtsradikalen AfD und die enttäuschten, eher gemäßigt konservativen oder liberal bürgerlichen Anhänger zu den Grünen und nicht zur SPD. Ähnliche Tendenzen werden aus dem Bundesland Hessen berichtet, wo zwei Wochen später Landtagswahlen stattfinden.

Beispiel Italien

Es wäre allerdings unklug, Bayern oder Deutschland als Ausnahmefälle zu betrachten. Nehmen wir zum Beispiel Italien. Nicht nur die Finanzexperten oder die Zentralbanken, auch die EU-Kommission und die meisten EU-Regierungen sind angesichts der waghalsigen Budgetpläne und europafeindlichen Politik der Koalitionsregierung der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsextremen Lega tief beunruhigt. Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini gibt mit seinen demagogischen Provokationen gegen Brüssel und mit seinen maßlosen Ausfällen gegen Flüchtlinge den Ton an. Trotz der dramatischen weltweiten Verschlechterung des Italien-Bildes erreichen die Popularitätswerte der Regierung einen neuen Höhepunkt, und im Falle von Neuwahlen würde sich der Stimmenanteil von Salvinis Lega auf 34 Prozent verdoppeln, während die Linke stagniert.

In Frankreich verblasst der Glanz des Überraschungssiegers und Hoffnungsträgers der liberalen Demokratie, Präsident Emmanuel Macrons, in einem noch schnelleren Tempo als der seiner gescheiterten Vorgänger. Der Totengräber der transatlantischen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Zusammenarbeit, der irrlichternde US-Präsident Donald Trump, gibt sich nach der erfolgreichen Bestellung seines umstrittenen Kandidaten für das Oberste Bundesgericht siegessicher für die Kongresswahlen im November. In Brasilien steht ein rechtsradikaler Kandidat vor dem Sieg bei der Präsidentenwahl. Der geistig-moralische Kern der liberalen Demokratien wird von rechts außen nicht nur in Deutschland und Mitteleuropa erfolgreich angegriffen. (Paul Lendvai, 8.10.2018)