Alyssa Milano rief vor einem Jahr zum globalen Erfahrungsaustausch via #MeToo auf.

Foto: Alyssa Milano

Kein Uterus, keine Meinung. Wenn es um Belästigung und Übergriffe geht, um sexuelle Gewalt und Vergewaltigung werden wir Männer von provokanten Aktivistinnen aufgefordert, etwas zu tun, das viele nicht gewohnt sind: einfach einmal den Mund halten.

Da bleibt uns schon einmal die Luft weg. Diese große Debatte, die da seit einem Jahr unter dem Stichwort #MeToo stattfindet, soll ohne uns vonstattengehen? Das passt nicht in das Bild, das wir von der Welt haben.

Denn von klein auf waren wir diejenigen, die laut sein dürfen: Wir sind selbstbewusst genug, allen anderen die Welt zu erklären. So haben Männer die wesentlichen gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahrhunderte dominiert. Nun werden die Geschlechterverhältnisse auf den Kopf gestellt – und ausgerechnet dazu sollen wir schweigen?

Genau das wird gefordert – und mit gutem Grund. Denn das Ungleichgewicht zu unseren Gunsten hat uns blind gemacht gegenüber den täglichen Ungerechtigkeiten. #MeToo ist ein Aufbegehren, dessen Kraft im Sichtbarmachen des Problems besteht, dass Frauen nach wie vor systematisch diskriminiert und erniedrigt werden. Unbeteiligte Männer bekommen davon meist nichts mit, weil es bewusst in der Abwesenheit von Zeugen stattfindet oder weil man als Nichtbetroffener schlicht kein Gespür für die alltäglichen #MeToo-Momente hat.

Deshalb ist die Dokumentation von Fakten und Erlebnissen unter diesem Hashtag so bahnbrechend. Und sie braucht kein überkritisches Hinterfragen inklusive angedeuteter Täter-Opfer-Umkehr, kein provokantes Kontrageben, und keine vermeintlich rationale Grenzziehung zwischen dem, was ein ächtenswerter Übergriff, und dem, was ein Kompliment, ein Flirt, ganz normal sei. Nein, Männer: Hört einfach einmal zu.

Dieser Appell ist radikal und auch notwendig.

Schweigeaufruf mit Tücken

Doch nach einem Jahr #MeToo werden auch seine Tücken sichtbar. Denn – Überraschung – nicht alle Männer sind empfänglich für den Aufruf, still zu sein und zuzuhören, weil es einmal ausnahmsweise nicht um sie geht. Und wer sich leider am wenigsten daran hält, sind jene Männer, denen die Fähigkeit zur Reflexion ihrer eigenen Rolle im Verhältnis der Geschlechter fehlt.

Das sind erstens die aktiven Gegner des Feminismus; aber zweitens auch jene, die sich um einen scheinbar moderaten Zugang bemühen und alle Welt an ihrer Einschätzung teilhaben lassen wollen: Vergewaltigungen sind schon schlimm – aber bald muss man vor dem Akt eine schriftliche Einverständniserklärung einholen! Sexuelle Belästigung ist inakzeptabel – aber heute steht man ja schon beim Flirten mit einem Fuß im Kriminal!

Diese zweite Gruppe arbeitet subtiler gegen die Ziele von #MeToo. Aber auch sie kämpft dafür, die Grenzziehung zwischen dem, was in Ordnung ist, und dem, was es nicht ist, in männlicher Hand zu behalten.

Und die dritte Gruppe – wir Feministen? Wir lassen Frauen reden, geben ihnen Raum und hören zu. Wir überlassen damit aber auch auf männlicher Seite den Antifeministen das Feld. Das ist ein Problem.

Nicht nur, weil es angesichts chauvinistischer Provokationen der Gegenrede bedarf. Nicht nur, weil Frauen dabei im (anstrengenden!) Kampf für Gleichberechtigung alleingelassen werden. Sondern auch, weil damit der Anschein einer Polarisierung entsteht, der #MeToo nicht guttut: Männer gegen Frauen.

Harte Bandagen

Die Asymmetrie bestimmt die Debatte: Frauen kämpfen sich von unten herauf und versuchen, die immer noch stattfindende Unterdrückung beenden – sofern sie nicht selbst privilegiert sind. Sie sind dafür laut, sie legen harte Bandagen an, bedienen sich dafür mitunter eines Untergriffs. Manche von ihnen sind nicht immer fair, schon gar nicht angepasst oder nett – das waren sie lange genug. Sie kämpfen, wie es etliche Männer auch tun. Mit dem Unterschied, dass eine Seite die Ungleichheit beenden, die andere sie beibehalten will.

Diese scheinbare Polarisierung muss auch uns Männer auf die Barrikaden rufen: Das sollen unsere Vertreter in der wichtigsten gesellschaftlichen Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit seit Jahren sein? Diese Machos, die lauten Frauen zuerst einmal die Welt erklären, ihnen Kompetenz und Ratio absprechen?

Schließlich profitieren auch wir von #MeToo. Männer haben zu Recht einen furchtbaren Ruf. Dafür sind nicht einzelne "schwarze Schafe" verantwortlich, sondern eine viel zu große Masse an Geschlechtsgenossen, die Machtpositionen missbrauchen. Es ist in unserem Interesse, laut gegen sie aufzutreten.

Also doch nicht die Klappe halten? Doch wieder laut sein, wieder eine Männerdiskussion über Frauen führen? Der radikale Schweigeappell war eine notwendige Gegenwehr gegen die Indoktrination, die Buben schon als Kind prägt. Aber wir müssen ihn differenziert hören. Geben wir Frauen, die sich zu #MeToo äußern, unsere Bühne, wenn wir eine haben. Fragen wir sie nach ihrer Meinung, ermutigen wir sie, stärken wir sie – denn der Kampf gegen die Ungleichheit ist mühsam. Und wir Feministen haben uns zu lange herausgehalten. Das war gut gemeint, aber deswegen noch lange nicht gut.

Männer müssen eine Gratwanderung wagen: sich einzumischen, ohne Feministinnen den Raum in der Diskussion zu nehmen. Uns zu verbünden, ohne zu vereinnahmen. Das ist schwieriger, als zu schweigen, und schwieriger, als zu rufen, dass nicht alle Männer böse sind. Aber es ist notwendig. Und wir schulden es #MeToo. (Sebastian Fellner, 6.10.2018)