Masern und Röteln könnten bereits ausgerottet sein. Die zunehmende Impfskepsis verhindert aber den Herdenschutz.

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"Gesundes Leben für alle" – so lautet eines der 17 Nachhaltigkeitsziele, die sich die Vereinten Nationen bis zum Jahr 2030 gesetzt haben. "Es ist schön zu sehen, dass es in Europa bereits erste sichtbare Erfolge gibt: Die Lebenserwartung ist um ein Jahr gestiegen und die Gesamtsterblichkeit hat sich um 25 Prozent reduziert", verkündete Zsuzsanna Jakab, Direktorin des europäischen Regionalbüros der Weltgesundheitsorganisation der WHO bei der Eröffnung des Europäischen Gesundheitsforums, das alljährlich Anfang Oktober in Gastein stattfindet.

Doch die Herausforderungen sind nach wie vor groß: Europa hat ein Alkohol- und Tabakproblem und eine hohe Rate an Übergewichtigen. Auch die zunehmende Resistenz gegenüber Antibiotika sehen die Experten mit Sorge. Dadurch könnten in Zukunft Operationen oder Chemotherapien hochriskant werden.

In der Kritik stehen auch die niedrigen Impfraten, die für zunehmende Röteln- und Masernerkrankungen verantwortlich sind. Krankheiten, die anderen Regionen bereits ausgerottet sind. "Diese Entwicklung ist peinlich für die EU", betonte Martin Seychell, der in der Europäischen Kommission für den Gesundheitsbereich zuständige Generaldirektor.

Menschen gegen Industrie verteidigen

Auch wenn Europa im Großen und Ganzen über gute Gesundheitssysteme verfügt, sind die Unterschiede zum Teil sehr groß. Etwa acht Prozent der europäischen Bevölkerung verschulden sich durch private Gesundausgaben so stark, dass ihnen kein Geld mehr zum Leben bleibt.

"Wir müssen die Interessen der Menschen stärker gegenüber den Interessen der Wirtschaft verteidigen", betonte der Präsident des Europäischen Gesundheitsforums, Clemens Martin Auer in seiner Eröffnung. Der soziale Zusammenhalt sei im Augenblick an vielen Orten durch eine populistische Politik gefährdet, deren Hauptinteresse dem Sichern von Grenzen und Verhindern von Migration gelte.

Ganz besonders müsse man auf die benachteiligten Gruppen schauen. Nicht jeder habe eine faire Chance. "Die Politik muss hier flexibel sein und gemeinsame Ziele verfolgen", fordert Martin Seychell. Als Beispiel nennt er die erfolgreiche Zusammenarbeit bei "Seltenen Erkrankungen" innerhalb der EU durch den Aufbau von Referenzzentren. Für die Gesundheitsministerin aus Estland, Riina Sikkut, sind E-Health und Digitalisierung die zentralen Faktoren. Seit 2008 gibt es in Estland eine elektronische Gesundheitsakte. Gleichzeitig arbeitet man daran, die Genome der rund 1,3 Millionen Estländer zu sequenzieren. "Für eine bessere und gerechtere Gesundheitsversorgung brauchen wir bessere Daten", zeigt sich Sikkut überzeugt.

Medikamente müssen leistbar sein

Ein heiß diskutiertes Thema der Gasteiner Gesundheitsgespräche waren auch in diesem Jahr die hohen Kosten für Medikamente. Konsumentenschützer, Finanziers und Public Health-Experten kritisieren die Intransparenz in diesem Bereich. "Die Preise hängen weder von den Entwicklungs- noch von den Herstellungskosten ab, sondern lediglich davon, welcher Preis auf dem Markt erzielt werden kann", betonte der Krebsspezialist und Leiter der deutschen Arzneimittelkommission, Wolf-Dieter Ludwig.

"Forschung im Pharmabereich ist hochriskant. Ohne Anreize würde es keine Innovation geben", konterte der Präsident des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreich, Martin Munte. Dennoch: Gesundheit sei ein besonderes Gut und nicht vergleichbar mit Konsumgütern wie TV-Geräten oder Smartphones.

Medikamentenpreise müssten leistbar sein, auch für Menschen in Ländern mit niedrigen Einkommen. "Es braucht neue Geschäftsmodelle und neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Hand", so der versöhnliche gemeinsame Nenner in der Diskussion. Gesundheit für alle – ganz im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele. (Andrea Fried, 5.10.2018)