"Allein wenn man sich anschaut, was das für ein Riesenaufwand ist, weiß man: Das muss man mit Herz machen", sagt Rita Katzmaier auf die Frage, ob es ihr letztendlich nicht doch vor allem ums Geld gehe.

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"Auf den ersten Blick sieht man einer Wohnung nicht an, ob darin ein Blinder wohnt. Blinde Menschen wohnen wie jeder andere. Auch wenn das komisch klingt: Sie haben denselben Anspruch an Licht, an Farbe, immerhin haben sie sehende Angehörige. Das Schwierige ist: Wie erkläre ich ihnen, wie ein Zimmer am Ende aussehen soll? Wie erkläre ich jemandem, der noch nie etwas gesehen hat, eine Farbe? Wie erkläre ich ihm Nussholz oder Ahornholz? Oder satiniertes Glas? Ich kann nicht sagen: Das ist wie Nebel, denn er kennt keinen Nebel. Vieles lässt sich über Geschmäcker erklären: dunkelrot wie ein guter Rotwein. Auch über Früchte lassen sich Farben begreifbar machen.

Bis ich das verstanden habe, hat es allerdings gedauert. Ich habe die Tischlerei in sechster Generation von meinen Eltern übernommen. Vor 15 Jahren hat mein Vater aufgehört und mich gefragt, ob ich ihm nachfolgen will. Eigentlich habe ich ja etwas ganz anderes gemacht, die HTL für Möbel- und Innenausbau, und dann bei einem Architekten gearbeitet. Aber ich habe Ja gesagt und weiß heute: Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich kann meinen gelernten Beruf optimal mit der Tischlerei kombinieren: Alles, was ich aufzeichne, können wir selbst herstellen.

Bald angestanden

Wir übernehmen von A bis Z alles für unsere Kunden. Wir liefern die Idee, machen die ganze Planung, das Design. Dafür arbeiten wir mit Elektrikern, Fliesenlegern, Malern und einem Reinigungsteam zusammen. 'Urlaubsservice' nennen wir das liebevoll, weil die Kunden meist auf Urlaub fahren, während wir ihre Wohnung einrichten.

Auf einmal ist ein blinder Kunde vor der Tür gestanden. Gerade für blinde Menschen ist es wichtig, dass sie nicht wegen eines Vorhangs oder eines Lampenschirms durch die Gegend rennen müssen, sondern dass alles aus einer Hand kommt. Es hat sich schnell herumgesprochen, und die Nachfrage ist so rasant gestiegen, dass wir wussten: Wir müssen unser Angebot ausbauen.

Ziemlich bald sind wir allerdings angestanden. Seit Jahrzehnten zeichnen wir Pläne – aber blinde Kunden können die natürlich nicht lesen. Zunächst wollten wir den Plan in einen dicken Karton eingravieren, sodass sie ihn, wie bei der Brailleschrift, erfühlen können. Was wir aber nicht wussten: Blinde Menschen tun sich im Umdenken von zwei- auf dreidimensional schwer. Sie konnten also die Pläne fühlen, aber nicht herauslesen, dass etwas beispielsweise der Grundriss von einem Kasten ist. Also haben wir begonnen, einzelne Räume als 1:10-Modelle nachzubauen. Ähnlich wie Puppenhäuser. Es gibt Türen und Fenster mit Vorhängen, ein Bett, einen Kleiderkasten, einen Schreibtisch, Kommoden und so weiter. Die Möbel und Stoffe stellen wir aus den Originalmaterialien her. Das Modell dürfen sich die Kunden einige Zeit behalten, etwa um es Verwandten zu zeigen. Wenn es nicht mehr benötigt wird, bekommt es ein Kindergarten.

Wert auf Haptik

Bei den ersten Treffen geht es gar noch nicht so viel um die Möbel, sondern eher darum, wie jemand wohnt. Gerade das Thema Kleiderkasten braucht viel Gespür. Da muss ich viel wissen, um Kunden zufriedenstellen zu können. Meine Strategie ist, mir ihre Gewohnheiten anzusehen. Wie sortieren sie Socken, wie trennen sie Wäsche? Da hat jeder sein eigenes System. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gut Sehbeeinträchtigte im Alltag zurechtkommen. Ich habe einmal eine Frau getroffen, die in Windeseile einen Riesenberg Schmutzwäsche sortiert hat. Wie sie wusste, was schwarz und was weiß ist? Sie hat es gefühlt, sich schon beim Kauf Haptik und Form eingeprägt. Auf die Haptik legen wir dementsprechend besonderes Augenmerk. Wir verwenden Hölzer mit besonderer Maserung, Vorhänge mit spezieller Struktur. Ich habe auch eine Künstlerin, die dreidimensionale Bilder gestaltet. Das Meer und die Sonne sind darin plastisch. Das Bild hängt dann nicht hinter der Couch, sondern daneben, wo man hinkommt.

Wo ich jedoch oft anstehe, ist bei den Elektrogeräten. Es gibt beispielsweise kaum mehr Ceranfelder, die nicht per Touch zu bedienen sind. Und das ist für meine Blinden gar nichts. Aber nicht nur sie, auch meine Oma, deren Motorik nicht mehr so gut ist, würde sich über einen Herd freuen, bei dem die einzelnen Erhitzungsstufen noch ,klack' machen. Der Bedarf ist da, aber die Industrie nimmt das nicht ernst.

Es geht mir um mehr

Natürlich mache ich mit meiner Idee Geschäft. Aber es geht mir um mehr. Allein wenn man sich anschaut, was das für ein Riesenaufwand ist, weiß man: Das muss man mit Herz machen. Es bringt jedoch nichts, wenn nur ich mich mit dem Thema identifiziere – meine Mitarbeiter spielen ebenfalls eine große Rolle. Sie müssen sich auf den Kunden und die Situation einstellen können. Stellen Sie sich vor, Sie sind blind, und da ist ein Monteur im Raum, und sie wissen nicht: Wo genau ist er überhaupt? Was tut er? Wichtig ist, dass man viel erklärt, zwischendurch auch einmal summt oder singt. Aber auch kleinere Dinge wie Kabel wegräumt und Werkzeugkisten nicht im Weg stehen lässt.

Da haben wir in den letzten Jahren viel dazugelernt. Ich sehe es als unsere Verpflichtung, Menschen mit Behinderungen das Leben ein wenig leichter zu machen. Gerade weil ich so viel darüber gehört habe, wie sie oft behandelt werden. In Möbelhäusern zum Beispiel dürften sich die Verkäufer hinter den Regalen verstecken, wenn Blinde auf sie zukommen, oder sie reden nur über ihre Begleitung mit ihnen. Das ist Unsinn, man kann ganz offen auf sie zugehen. Mit einfachem Fragen kommt man am weitesten: Wie hätten Sie gerne, dass ich Ihnen etwas erkläre?

Als ich bei meiner ersten blinden Kundschaft war, habe ich mich im ersten Moment geschreckt – er hatte keine Augen. Ich wusste nicht, wie tun. Soll ich meine Hand ausstrecken, er sieht sie ja eh nicht? Dann war ich einfach ehrlich: 'Ich weiß momentan nicht, ob ich das richtig mache, da müssen Sie mir jetzt helfen.' Das ist extrem gut angekommen." (Protokoll: Lisa Breit, 21.9.2018)