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Mehr als sechs Millionen Räder sind in Österreich im Umlauf. Beim Anteil der Radler am Verkehrsaufkommen gibt es viel Luft nach oben.

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"Radfahren ist wie eine Sucht, ausleben kann sie fast jeder, von klein an bis ins hohe Alter." Tritt Wolfgang Leitner in die Pedale, ist er schwer zu bremsen. In seinem Verein IG Fahrrad sammelt er gleichgesinnte Enthusiasten um sich, die die Welt der Radler verbessern wollen. Als Unternehmer bringt er Radflotten von Großkunden wie Banken und Botschaften quer durch Österreich in Schwung. Als sein Dreh- und Angelpunkt dient ein Geschäftslokal in der Wiener Westbahnstraße.

Seit durchgehend mehr als 140 Jahren wird hier nahezu alles verkauft und repariert, was Räder hat. Einst überwogen Pferdekutschen – nun sind es schnittige Drahtesel. "Dieser Ort hier hat eine lange Geschichte, die wir erhalten wollen", sagt der gelernte Raum- und Stadtplaner. Leitner hat in den vergangenen Jahren viele kleine Händler kommen und gehen gesehen: passionierte Radfahrer, die aber nicht zwangsläufig wüssten, wie damit auch Geld zu verdienen sei und an fehlendem Know-how wie Bergen von Bürokratie scheiterten. "Räder machen viel Freud, aber reich wird man damit nicht."

Der Anteil an Radfahrern am Wiener Verkehrsaufkommen soll auf 15 Prozent steigen, lautet das Ziel der Stadtpolitik.
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Als die IG Fahrrad lanciert wurde, lag der Anteil der Radfahrer am Wiener Verkehrsaufkommen bei 3,5 Prozent. Heute sind es 7,5 Prozent. Ein Ziel von 15 Prozent hatte sich die Politik gesteckt, erinnert sich Leitner, der viel Luft nach oben sieht. Denn im Vergleich zu anderen Städten Europas hinke Wien in der Verkehrsplanung um Jahre hinterher. "Zu wenige und schmale Radwege führen zu Reibereien." Auch beim Einsatz von Elektrorädern halte die ländliche Bevölkerung die Wiener auf Abstand.

Kosten darf es nichts

Alle finden Radfahren wunderbar, nur kosten darf es nichts, sinniert auch Klaus Ziegler mit Blick auf die Politik. Der Chef des Start-ups Sycube entwickelt für Städte, Gemeinden und Bauträger Systeme für den Verleih von E-Bikes. Seine Radstationen finden sich etwa in Weiz, auf dem Wiener Zentralfriedhof und in der Seestadt.

Jubel hält Ziegler dennoch für vermessen. Denn obwohl viele Österreicher vom Auto aufs Rad umsatteln, blieben Kommunen sparsam. Auch eine Finanzierung über Crowdfunding klappte nicht. Statt wie erhofft eine halbe Million Euro brachten private Investoren Sycube allein 160.000 Euro ein. Geld, das in die Weiterentwicklung der Software floss, aber keine großen Sprünge erlaubt.

Das Radl boomt. Ab Samstag holt die WM in Innsbruck für eine Woche die besten Straßenradfahrer nach Tirol und rückt den Sport zusätzlich ins Blickfeld.

Erfolgreichstes Jahr seit 2010

Die Österreicher legten sich im Vorjahr 414.000 neue Fahrräder zu. Es war für Handel und Industrie, gemessen am Umsatz, das erfolgreichste Jahr seit 2010. Getragen wurde der flotte Zuwachs ausschließlich von E-Bikes. Sie sorgen bereits für ein gutes Drittel des Geschäfts. Ihr Anteil wird sich im Fachhandel noch auf 50 bis 70 Prozent erhöhen, schätzt Michael Nendwich, der Vorsitzende des Sportartikelhandels in der Wirtschaftskammer. Eigentlich hätte dieser Hype 2017 abflachen sollen – "passiert ist das Gegenteil". Eine bunte Schar junger Händler verspricht sich davon Rückenwind. Zumal sich ihnen durch den Zerfall des Marktriesen Intersport Eybl zusätzliche Chancen darboten. Bis zu 400 unabhängige Spezialisten teilen sich derzeit österreichweit 17 Prozent des Radmarkts auf, sagt Nendwich. Vor acht Jahren lag ihr Anteil noch bei weniger als zehn Prozent.

Sie bedienen vor allem markenaffine Kunden, denen ihre Bikes viel wert sind. Für einzelne Modelle werden bis zu 15.000 Euro hingeblättert, ohne Motor wohlgemerkt. Rennräder nach Maß kosten 3000 bis 5000 Euro, bei E-Bikes ist man ab 2500 Euro mit dabei. Online wird dabei nur bedingt eingekauft: Kaum einer baut sich sein Rad selbst zusammen.

Viel Umsatz, magere Erträge

Eine Goldgrube ist die wachsende Motorisierung dennoch nicht. Sie geht nämlich zulasten traditioneller Räder und Mountainbikes, für die zuvor tausend Euro und mehr ausgegeben wurden.

Dazu kommt, dass Gewinnspannen bei E-Bikes viel geringer sind als bei herkömmlichen Rädern: Die Industrie, die ihre Produktion auf Hochtouren fährt, um die Nachfrage zu befriedigen, kürzte dem Handel die Prozente. Unterm Strich bleibt nicht mehr in der Kassa als vorher, resümiert ein großer Händler. "Umsatz ist eben nicht Ertrag."

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E-Bikes sind keine Goldesel.
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Wie er rechnen auch Geschäftskollegen damit, dass der Markt für Elektroräder in spätestens zwei bis drei Jahren kippt. Dann werde er zum Fressen für Diskonter und branchenfremde Anbieter. Und unter den Starts-ups, die vom Aufschwung profitierten, werde sich die Spreu vom Weizen trennen. Gerade in der Industrie ist die Luft für Newcomer dünn.

Noch herrscht freilich Euphorie, vor allem unter den Großen der Branche. KTM aus Mattighofen, Österreichs größter Fahrradhersteller, der außer dem Namen nichts mit der Motorradschmiede gemein hat, verdoppelte den Umsatz dank Pedelecs, so der Fachausdruck für elektrisch unterstützte Fahrräder, in den vergangenen acht Jahren auf 250 Millionen Euro. Verkauften die Oberösterreicher 2010 noch tausend E-Bikes, so musste die Planung für 2019 von 111.000 auf 130.000 nach oben korrigiert werden. Zubauten, die als Lager gedacht waren, wurden zu Produktionshallen umfunktioniert. Mit 450 Angestellten gibt es so viele Mitarbeiter wie noch nie. 60 Prozent der von KTM verkauften Räder sind E-Bikes, Tendenz steigend. Noch ist der Konzern stolz, Vollsortimentsanbieter zu sein. Doch KTM-Sprecher Martin Tutschek glaubt, dass das nicht ewig so bleibt. "Manche Bereiche kannibalisieren sich."

Mountainbikes ohne E-Motor sterben aus

Gerade im Mountainbikesegment sind nicht elektrisch unterstützte Modelle rückläufig. Unmotorisierte Modelle könnten hier in absehbarer Zeit sogar zu Exoten werden, glauben Insider.

Auch die kleinere Radmanufaktur Simplon aus Vorarlberg erfreut sich dank Elektromobilität eines historisch hohen Mitarbeiterstands von 101 Beschäftigten, die 20 Millionen Euro umsetzen. Ein Treiber dafür ist die aufwendigere Montage von E-Bikes. Wie auch KTM montiert Simplon die Fahrräder in Österreich. Die Rahmen werden in Fernost, überwiegend in Taiwan, gefertigt. Der Absatz von Rennrädern jedoch stagniert, auch wenn sich Simplon wie KTM im Fahrtwind der WM langfristig positive Effekte erhoffen. Beide haben als Hersteller der schnittigen Straßenflitzer eine lange Tradition.

Ein Rad als Maßanzug

Abseits stark befahrener Wege auf dem Holzweg radelt Christoph Fraundorfer. Nachdem Bikes von der Stange dem großgewachsenen Architekten die Knie malträtierten, beschloss er 2013, eigene zu bauen: aus Holz. 220 Stück fertigt und vermarktet er mit seinem Betrieb My Esel mittlerweile im Jahr. Fraundorfer vergleicht sie mit einem Maßanzug und seine Arbeit mit der eines Schneiders.

Hölzer wie Esche, Kirsche, Buche und Birke macht der Oberösterreicher mit Partnern aus der Industrie zum Rad. Produziert wird der Rahmen in Österreich. Investoren und Förderstellen stellten My Esel auf finanziell sichere Beine. In zwei bis drei Jahren soll der Turnaround gelingen. Klar, er falle auf, wenn er auf die Pedale steige, sagt Fraundorfer. Aber viele Kunden wollten etwas Nachhaltiges, schätzten Holz als Material – und stellten sich ein Rad auch als Skulptur gern ins Wohnzimmer. (Steffen Arora, Verena Kainrath, 21.9.2018)