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Wo beginnt Arbeit und wo hört sie auf? Britische Forscher sehen Pendler bereits auf dem Weg in den Job ein erhebliches Arbeitspensum bewältigen.

Foto: Reuters/TORU HANAI

Der offizielle Start in die Arbeit ist um neun Uhr. Der Weg dorthin dauert täglich 90 Minuten. Zurückgelegt wird er im Zug. An Schlaf oder ein Buch ist nicht zu denken – Mobiltelefon und Laptop sind im Dauereinsatz. Macht dies Pendeln zur Arbeitszeit, die finanziell abgegolten gehört? Ja, meinen Forscher der University of the West of England in Bristol. Sie nahmen die Daten von 5.000 Bahnreisenden unter die Lupe – und stellten fest, dass ein großer Teil von ihnen bereits die tägliche Fahrt zur Arbeitsstelle in den Dienst des Jobs stellt.

Der Vorschlag der Forscher, das künftig entsprechend zu honorieren, findet auch in Österreich ein offenes Ohr. Vor allem in den Reihen der Gewerkschaft. Die Digitalisierung und Technik machten es möglich: Immer mehr Arbeit lasse sich zu Hause oder auf dem Weg in den Job erledigen, sagt der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz. "Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmt zusehends, doch der Gesetzgeber hat darauf nicht reagiert."

Wachsende Selbstausbeutung

Achitz spricht von wachsender Selbstausbeutung, die auch beim Pendeln zum Ausdruck komme. Er fordert nicht per se ein Gesetz, das jedes Pendeln gleich zur Arbeitszeit mache. Es brauche aber "ein bisserl mehr Kreativität", wie man flexiblen Arbeitnehmern entgegenkommen könnte. "Ein paar Pflöcke würden helfen." Natürlich: Wann jemand produktiv tätig sei, ob auf dem Weg in die Arbeit oder daheim, ließe sich individuell regeln. "Tatsächlich tun es jedoch nur die wenigsten."

Mehr als die Hälfte der Österreicher arbeitet außerhalb der eigenen Gemeinde. Zwei Drittel von ihnen kostet der tägliche Weg zum Job und zurück bis zu eineinhalb Stunden. 14 Prozent brauchen dafür noch länger, erhob die Arbeiterkammer Oberösterreich.

Spielregeln des Teleworkings

Wer den Anfahrtsweg dazu nutze, Arbeit außerhalb der regulären Dienstzeiten zu erledigen, könne dies mit den Spielregeln des Teleworkings tun, denn nichts anderes sei es, sagt Helmut Hofer, Experte des Instituts für Höhere Studien. "Das gehört auf Betriebsebene über Sozialpartner gelöst."

Auch für den Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Mazal lassen sich im Rahmen des beweglichen Home-Office etwa jederzeit individuelle Vereinbarungen treffen. "Pendeln generell als Arbeitszeit zu bewerten, führt jedoch an der Realität vorbei." Mazal erinnert daran, dass Arbeitnehmer ihren Wohnsitz frei wählen können. Und es wäre doch absurd, gibt er zu bedenken, wenn einer, der von Wien nach Bregenz ziehe, daraus sein Recht ableite, die Zugfahrt zurück zum Job in die Hauptstadt als Arbeitsstunden zu verrechnen.

"Ein Balanceakt"

Sehr wohl als Arbeitszeit gelten An- und Abreise im Außendienst. Voraussetzung dafür aber ist, dass der Weg zum Kunden länger ist als zum Firmensitz des Arbeitgebers. Ebenso geregelt sind Dienstreisen.

Die Arbeiterkammer rät Pendlern dazu, Buch über das Arbeitspensum zu führen, das sie etwa im Zug bewältigen. Der Eingrenzung von Arbeit außerhalb des regulären Dienstplans komme man aber nicht mit Gesetzen bei, glaubt Silvia Hruska-Frank, Expertin für Sozialpolitik. "Es geht um Arbeitskultur, Mitbestimmung und den Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung."

Definitiv keinen Bedarf an neuen Regelungen sieht Rolf Gleißner, Experte der Wirtschaftskammer. Das Ganze sei rechtlich kaum zu fassen, vielmehr ein Balanceakt des "Gebens und Nehmens."

Gleißner zieht eine Umfrage der Wirtschaftskammer unter Arbeitnehmern heran. Demnach würden diese im Schnitt täglich allein zehn Minuten der Freizeit beruflichen Projekten opfern. Umgekehrt würden 21 Minuten der Arbeitszeit für private Belange verwendet. Gleißner: Beginne die Arbeitszeit bereits beim Pendeln, "müsste künftig auch schärfer darauf geachtet werden, was Mitarbeiter in ihrer Arbeitszeit machen." (Verena Kainrath, 18.9.2018)