Über das Gehirn werden Impulse in den Körper geschickt, die Muskeln und Nerven funktionieren auch dann noch, wenn Körperteile fehlen. Die Impulse können auch Prothesen steuern.

Foto: Michelangelo Animation (c) Ottobock

Patienten mit schweren Rückenmarksverletzungen stehen von einer Sekunde auf die andere vor einem Problem: Sie können ihre Hände und Arme nicht mehr bewegen. Ein europäisches Forscherteam unter der Leitung der TU Graz entwickelt nun eine gedankengesteuerte Greif-Neuroprothese weiter. Sie soll das Öffnen und Schließen der Hände über die Biosignale aus dem Gehirn des Patienten ermöglichen.

"Wenn die Hand nicht mehr macht, was man will, braucht man für alle alltäglichen Tätigkeiten einen Helfer, selbst beim Waschen, Zähneputzen oder auf der Toilette", schildert Gernot Müller-Putz vom Institut für Neurotechnologie der TU Graz die bittere Realität einer Querschnittslähmung. Wieder greifen zu können, blieb bisher ein nahezu unerfüllbarer Wunsch.

Zupacken lernen

Im Fokus der Forschungen von Müller-Putz steht das Bemühen, mithilfe von Gehirn-Computer-Schnittstellen (BCI) den Betroffenen wieder mehr Handlungsfähigkeit zu geben. Ein europäisches Konsortium, dem unter der Leitung des Grazer Biomedizintechnikers auch die Universität Heidelberg, die University Glasgow sowie das Unternehmen Medel Elektronik und das Grazer Know-Center angehören, hat im Rahmen des EU-geförderten Forschungsprojektes "MoreGrasp" die entsprechende Technologie weiterentwickelt.

Bei einer Querschnittslähmung sind alle Schaltzentren im Gehirn und die Muskeln im betreffenden Körperteil zwar noch vorhanden, aber die Leitung zwischen Gehirn und Extremität ist unterbrochen. "Das umgehen wir, indem wir das Gehirn mit einem Computer kommunizieren lassen, der wiederum den Befehl an die Muskeln weiterleitet", so der Experte.

Das Prinzip der Technologie dahinter basiert auf Änderungen der Gehirnstrommuster, wenn man bewusst an bestimmte Bewegungen denkt. Diese Änderungen der elektrischen Spannungen können mittels Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen und weiterverwendet werden. Ein Kontrollsystem muss die zielgenaue Bewegungsabsicht erkennen, decodieren, Fehler identifizieren und sensorisches Feedback berücksichtigen.

Die Elektroden in der Neuroprothese, die auf den Arm geschnallt wird, nutzen die abgeleiteten Signale und steuern damit wiederum gezielt die Muskeln, die etwa das Öffnen und Schließen der Finger auslösen. "Wir verwenden also das Denken an die Bewegung zur zumindest teilweisen Wiederherstellung der Handfunktion", erklärt Müller-Putz.

Keine Operation nötig

Wichtig ist den Grazer Forschern, dass die Steuerung der Greifneuroprothese ohne Operation am Gehirn möglich wird: "Wir messen die Gehirnströme mit einem Bündel an Elektroden an der Kopfhaut und nicht direkt am Gehirn", betont Müller-Putz. Das ist allerdings eine große Herausforderung: "Die Signale sind sehr schwach und das Rauschen hoch", schildert der Forscher die Hürden, die überwunden werden müssen, damit die Impulse des Gehirns klassifiziert und am geschädigten Rückenmark vorbei zu den Muskeln geleitet werden können.

So habe man bisher mit gedanklichen Konzepten gearbeitet, die ausreichend gut erkennbare Hirnsignale zur Steuerung der Neuroprothese sicherstellen sollten: Gut funktionierte es, wenn die Probanden u.a. an das Heben und Senken des Fußes dachten, um ein Signal zu erhalten, das beispielsweise zum Öffnen der rechten Hand verwendet wird. Das Signal, das beim Denken an eine linke Handbewegung entstand, konnte dann für eine weitere Bewegung herangezogen werden.

Wie Menschen greifen

"Wir sind dabei, die Methoden immer weiter zu verfeinern. Wir können jetzt das sogenannte 'attempted movement' nutzen – also den Versuch des Querschnittgelähmten, eine bestimmte Bewegung auszuführen", schildert Müller-Putz den erzielten Fortschritt. "Wir können mit Signalen arbeiten, die sich nur ganz geringfügig voneinander unterscheiden, und dennoch gelingt es uns, die Neuroprothese damit erfolgreich anzusteuern", freut sich der Projektleiter. Im Projekt wurden verschiedene Griffvarianten – etwa nach einem Glas greifen oder einen Löffel in die Hand nehmen, das Öffnen und Drehen der Hand nach innen und außen – untersucht.

"Jetzt wollen wir zeigen, dass die entwickelte Technik alltagstauglich ist", sagt der Experte. Die Forscher suchen auf einer Online-Plattform Betroffene und interessierte Endnutzer für eine Machbarkeitsstudie. Nach einer aufwendigen Testung bekommen die Probanden ein maßgeschneidertes BCI-Training zur Verfügung gestellt, um in ihrer eigenen Lebensumgebung Tests- und Trainingseinheiten durchzuführen und zu absolvieren. (APA, 30.9.2018)