De luxe: Annemarie Kremer als Isolde und Dshamilja Kaiser.

Foto: Reinhard Winkler

Linz – Die Stimmung hat sich gedreht, retro ist wieder chic, politisch und auch sonst so. Intendant Hermann Schneider hat seiner zweiten Spielzeit am Landestheater Linz das Motto "Welt aus den Fugen" vorangestellt und sucht nach den Ursachen für den "Paradigmenwechsel".

Aber im Operngeschäft lautet die Parole sowieso seit Ewigkeiten: vorwärts in die Vergangenheit. Ein Trend wurde in der musealen Branche zuletzt zusätzlich en vogue: die Wiedererweckung verblichener Inszenierungen zu neuem Bühnenleben. Hierzulande geschah dies 2017 bei den Salzburger Osterfestspielen (Die Walküre), nun zieht Linz nach mit Heiner Müllers Interpretation von Wagners Tristan und Isolde.

Zusammen mit Bühnenbildner Erich Wonder und Kleidermacher Yohji Yamamoto hat der deutsche Regisseur und Dramatiker 1993 in Bayreuth eine Regiearbeit abgeliefert, die nicht nur die Interpretin der Isolde, eine gewisse Waltraud Meier, auf die Palme bringen sollte, sondern auch die Deutsche Richard-Wagner-Gesellschaft und die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth. Kritikern seiner kühl-stilisierten Liebesdarstellung erklärte Müller, dass der sexuelle Höhepunkt bei diesem Werk "ans Publikum delegiert" sei, und ließ ausrichten: "Ich wünsche allen Zuschauern einen guten Orgasmus." In Linz war Stephan Suschke für das historisch informierte Inszenieren zuständig, der Linzer Schauspieldirektor war seinerzeit in Bayreuth als künstlerischer Mitarbeiter Müllers vor Ort. Man sieht in der Stahlstadt nun also, was man bisher nur auf dem Grünen Hügel sah: im ersten Aufzug etliche Quadrate und etwas Orange, im zweiten viel Blau und noch mehr Kürasse, am Ende Gestein, Geröll und Staub.

Eine All-Star-Inszenierung: Erich Wonder (Bühne) meets Yohji Yamamoto (Kostüme) meets Heiner Müller (Inszenierung). Heiko Börner und Annemarie Kremer geben Tristan und Isolde.
Foto: Reinhard Winkler

In diesen abstrakten Welten legt Annemarie Kremer eine Isolde hin, die eine Wucht ist: heroisch, leidenschaftlich und stimmstark. Die Niederländerin füllt die langen Forte-Kantilenen mit sattem, rundem Ton, hat aber auch Dezenz und Innigkeit im Angebot: eine große Liebende. Eine Nummer kleiner agiert Heiko Börner: Sein blasser Tristan ist in den ersten beiden Aufzügen eine Enttäuschung, im dritten findet er endlich zu Stimmstärke und Herz.

Dshamilja Kaiser ist eine Dienerin de luxe: Hell, stark, mit Glanz und Geschmeidigkeit singt sie die Brangäne (die Folgevorstellungen übernimmt Katherine Lerner). Martin Achrainer ist im dritten Aufzug ein seelenvoller Kurwenal, mit warmem, noblem Bariton sorgt er sich um seinen siechen Herrn. Stimmstark auch Matthäus Schmidlechner als Melot; Dominik Nekel nimmt man den König Marke trotz starken Bemühens nicht wirklich ab.

Nach der Frau ohne Schatten im letzten Jahr hat sich Musikchef Markus Poschner zu Beginn der Saison wieder an einen dicken Brocken gewagt und auf ganzer Linie gewonnen. Sei es die dynamische Feinarbeit, die vielen blitzschnellen Stimmungs- und Tempowechsel, die virtuose Mischung der verschiedenen Stimmfarben: Poschner und das Bruckner Orchester Linz fesseln und bezaubern und bilden ein erfrischendes Antidot der Agilität und Sinnlichkeit zum statisch-steifen Bühnengeschehen.

Jubel für alle, stehenden für Poschner und das Orchester. Draußen im Volksgarten wurde auch applaudiert: Da konnte man die fünfeinhalbstündige Aufführung auf einer Großleinwand mitverfolgen. (Stefan Ender, 16.9.2018)