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Haidar al-Abadis Chancen fielen den Protesten in Basra zum Opfer.

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Bagdad – Bei seiner Sitzung am Samstag in Bagdad hat das irakische Parlament trotz der schon üblichen Streitereien und Boykottmaßnahmen einzelner Parteien doch noch Handlungsfähigkeit gezeigt und einen Parlamentspräsidenten gewählt. Der erst 37-jährige sunnitische Politiker heißt Mohammed al-Habulsi und stammt aus der Provinz Anbar, wo er kurze Zeit Gouverneur war. Seine Partei al-Hal ist als gemäßigt-islamisch einzuordnen. Er wurde von jenem Schiitenblock im Parlament unterstützt, der als Iran-freundlich gilt. Der Posten des Parlamentspräsidenten geht seit 2005 traditionell an die Sunniten, in der Verfassung festgeschrieben ist das jedoch nicht.

Habulsi setzte sich gegen den früheren irakischen Verteidigungsminister (2014-2016) Khaled al-Obaidi, der von Premier Haidar al-Abadi unterstützt wurde, und gegen Vizepräsident Osama al-Nujaifi, der früher schon einmal Parlamentspräsident war, durch. Die drei waren von einer Anzahl von Kandidaten übrig geblieben: Vor der Sitzung gab es Gerüchte, dass einige für die Zurücknahme ihrer Kandidatur Geld genommen hatten. Obaidi behauptete nach der Wahl, der Posten des Parlamentspräsidenten sei um 30 Millionen US-Dollar verkauft worden.

Gerüchte über Korruption

Das Gerücht, dass Stimmen gekauft werden, gab es auch den aktuellen Streit betreffend, wer denn in der Lage sei, den größten Parlamentsblock zu bilden. Auch hier soll Parlamentariern Geld angeboten worden sein. Verifizierbar waren diese Geschichten am Samstag nicht.

Zum ersten Stellvertreter Habulsis als Sprecher wurde Hassan Karim Kaabi gewählt. Er gehört zu den "Sairun" (Wir marschieren) des Wahlsiegers Muqtada al-Sadr. Es gab auch schon eine Wahl des zweiten Stellvertreters, Bashir al-Haddad, ein Kurde der KDP (Demokratischen Partei Kurdistans). Aber sie wird wiederholt werden müssen, es fehlte das nötige Quorum, zu viele Abgeordnete hatten das Haus bereits verlassen.

Langes politisches Vakuum

Die Wahlen hatten ja bereits Mitte Mai stattgefunden. Wegen Betrugsvorwürfen verzögerte sich die Zertifizierung des Endergebnisses, und dann scheiterte Anfang September das neue Parlament in der konstitutionellen Sitzung an seinen Aufgaben. Die bestehen eben darin, einen Sprecher und dessen Stellvertreter und dann den Staatspräsidenten zu wählen, der dann den Kandidaten des größten Parlamentsblocks mit der Regierungsbildung beauftragt.

Als aussichtsreichster Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten galt in den vergangenen Tagen der Kurdenpolitiker Barham Salih, der seine angestammte Partei, die PUK (Patriotische Union Kurdistans) verlassen hatte und mit einer eigenen Liste bei den Parlamentswahlen angetreten war. Zuletzt gab es Berichte, er könnte zur PUK zurückkehren, die seit 2005 den irakischen Staatspräsident gestellt hat, zuerst mit dem inzwischen verstorbenen Jalal Talabani und jetzt mit Fuad Masum. Auch die größte kurdische Partei, die KDP (Kurdische Demokratische Partei), würde Salih wahrscheinlich unterstützen, umso mehr, als der Posten eines stellvertretenden Parlamentspräsidenten an sie ging.

Ajatollah Sistani äußert einen Wunsch

Bewegung scheint auch in die Frage zu kommen, wer Premier werden könnte – oder besser, wer nicht. Der mächtigste schiitische Ajatollah des Irak – und er ist auch einer der wichtigsten weltweit – hat sich zu Wort gemeldet. Ali Sistani (88) tritt nicht selbst auf, sondern lässt seine Botschaften übermitteln: Und er hat sich in einer Botschaft auf die Seite der Demonstranten in Basra gestellt, die gegen ihre katastrophalen Lebensverhältnisse auf die Straße gehen, und eine rasche Regierungsbildung gefordert – und zwar unter einem Premier, der nicht zu jener Gruppe von Politikern gehört, die in den vergangenen Jahren das Sagen gehabt haben. Das inkludiert so ziemlich alle, die sich für das Amt in Position gebracht haben.

Zumindest Premier Haidar al-Abadi, der die Regierungsgeschäfte in der schwierigen Zeit 2014, als der "Islamische Staat" (IS) Teile des Irak eroberte, übernommen hat, scheint sich zu fügen. Vor der entscheidenden Parlamentssitzung am Samstag gab er in einer Pressekonferenz bekannt, den Weg frei machen zu wollen. Er kündigte auch rasche Maßnahmen für Basra an.

Proteste in Basra

Abadi hat durch die Proteste in Basra seine zweite Chance eingebüßt. Er war zwar bei den Wahlen im Mai nur Dritter geworden, die Unterstützung von Wahlsieger Muqtada al-Sadr schien ihm jedoch fast sicher. Der lässt nun wieder offen, wen er – und ob er überhaupt jemanden – unterstützt.

Wenngleich das Wort Sistanis Gewicht hat, so hat der schiitische Klerus nicht wie im Iran eine verfassungsmäßige Rolle. Auch der Einfluss ist nicht garantiert: Der Vorgänger Abadis, Nuri al-Maliki, etwa gewann 2014 die Wahlen, obwohl ihm Sistani offen die Unterstützung entzogen hatte. (Gudrun Harrer, 15.9.2018)