Reini Scherer beweist Mal um Mal sein goldenes Händchen – sei es als Trainer der Kletterelite, als Visionär und als Griffsetzer in der größten Kletterhalle.

Foto: Norbert Freudenthaler

Die Pflicht ist erledigt, jetzt geht es nurmehr um die Kür. Wenn an diesem Wochenende die letzten Medaillenentscheidungen bei der Kletter-WM in Innsbruck fallen, wird der Trainer Reinhard "Reini" Scherer zwar mitfiebern, aber mit den zwei Goldenen im Vorstieg haben die Österreicher die Erwartungen bereits übererfüllt. "Im Bouldern könnte es eine Watschen für uns geben, aber in der Kombi ist durchaus noch eine Medaille drinnen", sagt Scherer entspannt. Sein Schützling, die frischgebackene Vorstieg-Weltmeisterin Jessica Pilz, zählt in beiden Disziplinen zum Favoritinnenkreis.

Dass Scherer überhaupt wieder als Trainer aktiv ist, sei den Überredungskünsten von Pilz' Hauptsponsor und ihrem Manager zu verdanken. Denn eigentlich wollte sich der 52-jährige nurmehr auf seine Tätigkeit als Geschäftsführer des Innsbrucker Kletterzentrums (IKZ) konzentrieren. Darum hatte er den Nationaltrainerjob vor drei Jahren an den Nagel gehängt: "Das Zentrum ist so viel Arbeit, da wäre es fahrlässig gewesen, nebenbei weiterzutrainieren." Nun tut er es doch wieder. Und wieder hat er sein goldenes Händchen unter Beweis gestellt.

Zweifler

"Dabei haben mich viele gewarnt. 'Reini, lass das lieber, du kannst dabei nur verlieren'", erzählt er von Zweiflern. Und tatsächlich war die Gefahr des Scheiterns groß. Wer mit einem David Lama, einer Angi Eiter oder einer Anna Stöhr mit die größten Namen des Klettersports hervorgebracht hat, legt sich die Latte für ein erfolgreiches Comeback selbst sehr hoch. Doch Zweifeln ist nichts für den Osttiroler, er sucht die Herausforderung.

Er fand sie in der Person von Jessica Pilz. Als Scherer ihr Trainer wurde, steckte das Nachwuchstalent, das so ziemlich alle Jugend- und Juniorentitel gewonnen hatte, die es zu gewinnen gibt, in einem ersten Karrieretief. Verletzungspech nagte an ihrem Selbstvertrauen und an dem gegenüber ihren Trainern. Scherer vermochte Pilz den Glauben an sich selbst zurückzugeben. Im Alter von nur 21 Jahren kletterte sie vor einer Woche souverän zu Gold.

Mehr als 2000 Seillängen

"Ich hacke nicht auf meinen Athleten herum", erklärt Scherer sein Erfolgsrezept als Trainer. Wenn es sportlich nicht laufe, suche er den Fehler immer zuerst bei sich selbst und seiner Arbeit. So sei es ihm auch gelungen, mit Pilz binnen kurzem eine Vertrauensbasis für den großen WM-Erfolg zu schaffen.

Nicht nur in seiner Arbeit, auch in der Freizeit sucht Scherer die Herausforderung. Am liebsten am Berg. Sei es beim Erschließen neuer Routen im alpinen Fels – Scherer hat in seinem Leben mehr als 2000 Seillängen eingebohrt – oder beim Steilwandskifahren, wo der gebürtige Lienzer ebenfalls zu den Szenegrößen zählt.

Seit sich Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre der Rotpunkt-Gedanke im Klettersport durchzusetzen begann, ist Scherer mit von der Partie. Rotpunkt bedeutet, dass man eine Route ohne technische Hilfsmittel, allein durch Kletterkönnen, bezwingt. Die ersten Wände erklomm er als Internatsschüler zusammen mit Kommilitonen im Halltal nahe Innsbruck.

Beginn mit den Kindern

Zwar brachte Österreich mit Gerhard Hörhager – der Zillertaler belegte 1987 den zweiten Platz bei der noch inoffiziellen Kletter-WM – und Stefan Fürst schon in den frühen Jahren des Sportkletterns große Talente hervor. Doch die goldene Ära des Kraxelns läutete Scherer vor 20 Jahren mit einer Gruppe Halbwüchsiger ein.

"Das war 1998, als wir von Innsbruck aus mit einer Schar von Kindern zu einem Schülerwettkampf nach Grenoble fuhren", erinnert sich der damalige Jugendtrainer und Student der Sportwissenschaften Scherer. An diesem Wochenende habe die Kletterwelt erstmals Notiz von den Tirolern genommen. Denn unter den Knirpsen, die dem versammelten internationalen Kletternachwuchs um die Ohren kraxelten, waren der kleine David Lama und die kleine Katharina Saurwein, die bei der WM in Innsbruck dieses Wochenende ihren letzten Wettkampf bestreiten wird.

Mit den Erfolgen wuchsen die Träume. Und wieder bewies Scherer Macherqualitäten. Er galt schon im Jahr 2000 als treibende Kraft hinter der Kletterhalle am Innsbrucker Tivoli, die zusammen mit dem Zentrum in Imst ein wichtiger Grundstein für die goldene Ära des heimischen Sportkletterns war. Doch Scherer wollte mehr, viel mehr. Und so beheimatet Tirols Landeshauptstadt seit 2017 mit dem IKZ die weltweit größte Kletterhalle.

Als Geschäftsführer ist Scherer dort Chef von 40 Angestellten. Mit 170.000 Eintritten im ersten Jahr hat das IKZ die kühnsten Erwartungen von bis zu 100.000 Besuchern übererfüllt – wohl Scherers Markenzeichen. Delegationen aus aller Welt kommen nach Innsbruck, um sich inspirieren zu lassen, sagt er: "In New York, in Dubai, überall wollen sie jetzt auch so etwas bauen."

Dass er sich, wie eigentlich angekündigt, nach der Heim-WM wieder in die Trainerpension zurückziehen wird, um das IKZ zu leiten, darf bezweifelt werden. Denn, sagt Scherer: "Der Verband will mit mir reden." Worüber, das wisse er allerdings nicht.

Doch auch er ahnt, dass man ihn als Trainer für die 2020 anstehende Olympiapremiere des Kletterns gewinnen will. In Tokio wird im umstrittenen Kombination-Format um Medaillen geklettert, dem auch Scherer wenig abgewinnen kann. Für ihn ist Olympia einerseits Chance, andererseits aber auch ein Risiko: "Es besteht die Gefahr, dass wir uns für Olympia zum Hampelmann machen und aus unserer Sportart etwas wird, das eigentlich nicht mehr das wahre Klettern ist."

Schlechtes Vorbild Snowboarden

Er warnt vor Formaten, die sich allein am Plaisir des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) orientieren: "Angenommen, wir fangen jetzt auch noch an, auf Speed zu bouldern, nur weil es dem Verband gefällt. Dann machen wir uns zum Kasperl und haben verloren." Es sei wichtig, den Geist des Kletterns auch im Wettkampfsport hochzuhalten.

Eine Entwicklung wie beim Snowboarden, wo sich Verband und Szene entfremdeten, hält Scherer auch beim Klettern für möglich. Der Air-&-Style-Contest habe gezeigt, dass nur Verbandsstrukturen die nötige Stabilität garantieren, um den Sport nachhaltig weiterzuentwickeln.

Nach dem WM-Finale am Sonntag will Scherer erst einmal Pause machen. Zumindest bis zum Jahresende: "Dann schau ma weiter." (Steffen Arora, 15.9.2018)