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Aktuell besuchen 26,1 Prozent der unter Dreijährigen und 93,7 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen eine Kinderkrippe oder einen Kindergarten.

Foto: Picturedesk / Tass / Sergei Bobylev

Früher war alles irgendwie einfacher. Da hießen die Pädagoginnen noch "Tanten", da standen die Muttis spätestens nach dem Mittagessen vor der Tür – und überhaupt sollte im Kindergarten vor allem die Betreuung des Nachwuchses gesichert sein.

Damit ist längst Schluss. Heute soll der Kindergarten bilden, integrieren, soziale Startnachteile ausgleichen. Sogar der Name des Fachbereichs klingt jetzt irgendwie wichtiger: Elementarpädagogik. Seither vergeht kaum eine Politikerrede ohne Verweis auf die Bildungschancen, die hier bereits im zarten Alter geschaffen werden. Alle wollen nur das Beste.

Das Beste, nur welches?

Gleichzeitig gibt es bei den Kindergärten so viele Zuständigkeiten und Partikularinteressen, dass eine wirkliche Aufwertung schon daran scheitert, dass Bund, Länder und Gemeinden uneins sind, was denn nun das Beste für die Kleinsten der Gesellschaft sein soll – und vor allem: Wer soll es finanzieren?

Raphaela Keller, Vorsitzende der Berufsgruppe der Kindergarten- und Hortpädagoginnen (ÖDHK), kennt das Spiel: "Alle sind für den Kindergarten als Bildungseinrichtung – nur die Rahmenbedingungen für die Arbeit vor Ort passen nicht dazu."

Es geht um längere Öffnungszeiten, kleinere Gruppen, weniger Kinder pro Pädagogin, um deren Ausbildung und Bezahlung sowie das Geschlecht der Betreuer. Es geht um Sprachförderung, um den gelingenden Wechsel in die Schule – und seit neuestem auch um das Kopftuch. Zu tun gibt es also einiges.

Derzeit ist es so: Die vielbeschworenen Bildungschancen eines Kindes hängen stark davon ab, wo es aufwächst. Nicht einmal die Statistik Austria hat ein genaues Bild davon, für wie viele Drei- bis Sechsjährige eine Pädagogin in den einzelnen Bundesländern zuständig ist. Bildungsexpertin Keller weiß: für zu viele.

Betreuungsquote

Dabei ist gerade für den Spracherwerb diese Frage, in der Fachsprache "Betreuungsrelation", von hoher Bedeutung. Wenn den Mitarbeiterinnen die Zeit fehle, Alltagsgegenstände zu benennen oder Tischgespräche zu führen, dürfe sich niemand wundern, wenn Kinder mit Sprachdefiziten in die Schule kommen, sagt Keller. Sprachförderung könne nur gelingen, "wenn wir weniger Kinder pro Pädagogin haben". Die Wunschrelation des ÖDHK: 5:1 bei den Zwei- bis Dreijährigen, 8:1 bei den Drei- bis Sechsjährigen.

Ein Blick auf die Betreuungsquote: Aktuell besuchen 26,1 Prozent der unter Dreijährigen eine Kinderkrippe – das sind immer noch deutlich weniger als das EU-Ziel von 33 Prozent. Obwohl sich die Quote hierzulande innerhalb der vergangenen zehn Jahre mehr als verdoppelt hat.

Bei den Drei- bis Fünfjährigen sieht es mit 93,7 Prozent deutlich besser aus – mit Einschränkungen. Die Anzahl der Tage und Stunden, an denen sie den Kindergarten auf den Kopf stellen, variiert nämlich gewaltig. Eltern, die in Wien Vollzeit arbeiten, haben in 85 Prozent aller Kindergärten bis nach 17 Uhr Zeit, um den Nachwuchs abzuholen.

Auf dem Land werden solche Öffnungszeiten lediglich von 22 Prozent der Institutionen angeboten. Knapp die Hälfte sperrt um 15.30 Uhr oder sogar früher, in der Steiermark sperren rund 50 Prozent bereits um 14 Uhr zu.

Unangekündigte Überprüfungen

Bettina Wachter, Vorsitzende der Plattform Educare, will die Debatte nicht allein in Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit der Eltern führen: "Wir müssen von einem Bildungsrecht des Kindes reden." Erst dadurch würde deutlich, wie die Arbeitsbedingungen vor Ort aussehen müssten.

Immerhin: Auch die aktuelle türkis-blaue Koalition hat zum Thema "elementarpädagogische Einrichtungen" ein paar ambitionierte Ziele ins Regierungsprogramm geschrieben. Vom verbindlichen Einhalten des zwar unter den Ländern akkordierten, in der Praxis allerdings sehr flexibel eingesetzten Bildungsrahmenplans ist da die Rede. Auch der neue Wertekanon und schärfere Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten sind ÖVP und FPÖ ein Anliegen. Das heißt: Künftig können auch Mitarbeiter des Bildungsministeriums unangekündigt zur Überprüfung vor der Tür stehen.

Apropos Ministerium: Endlich scheint in Sachen Zuständigkeit ein erster Schritt getan. So gibt es im Bildungsressort seit kurzem eine eigene Abteilung "Elementarpädagogik" – derzeit bestehend aus einer Mitarbeiterin. Demnächst soll aufgestockt werden. Nach außen hin tritt allerdings immer noch ein anderes Ressort an vorderster Themenfront auf.

So ließ Familienministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) im Juli die Länder wissen, eine neue Vereinbarung mit dem Bund über die Co-Finanzierung des Kinderbetreuungsausbaus werde massive Mittelkürzungen mit sich bringen. Keine zwei Monate später war von der angedrohten Kürzung um 30 Millionen Euro keine Rede mehr. Mehr Geld ist aber auch nicht drin. Das zweite verpflichtende Kindergartenjahr übrigens auch nicht, obwohl groß angekündigt.

Neuaufstellung

Christian Friesl, Sprecher der Bildungsinitiative Neustart Schule und Bereichsleiter für Bildung und Gesellschaft in der Industriellenvereinigung, fordert einen radikalen Umbruch. "Ständig das Gleiche in irgendeine 15a-Vereinbarung zu schreiben bringt wenig", klagt er. Ein Gesamtkonzept fehle. "Ich würde mir wünschen, dass die Kompetenzen für Kindergärten als Bildungseinrichtungen ganz beim Bund liegen", sagt er, "die Frage ist, ob das das föderale Österreich zulässt."

Martina Genser-Medlitsch, die als Verantwortliche beim Hilfswerk, einer der größten privaten Trägerorganisationen, für 230 Kinderbetreuungsgruppen verantwortlich ist, versucht es mit einem ökonomischen Argument: "Investitionen in frühkindliche Bildung zahlen sich nachweislich aus."

Ein investierter Dollar entspreche laut Nobelpreisträger James Heckmann einer Rendite von acht Dollar, bei benachteiligten Kindern betrage diese sogar 16 Dollar. (Peter Mayr, Karin Riss, 16.9.2018)