In Gruppen mit Namen wie Nazileaks sammeln sich Privatpersonen, um Inhalte von Neonazis im Netz zu sammeln und sie anzuzeigen.

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Die Profile innerhalb der Gruppe Nazileaks sind anonymisiert.

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Sie kommunizieren in Codes, organisieren gezielte Hasskampagnen und instrumentalisieren Nachrichten bewusst für die eigene Agenda: Im Netz haben Neonazis in den vergangenen Jahren eine Spielwiese für Propaganda und Hass gefunden. Wer sich bewusst auf die Suche nach ihnen macht, wird vor allem auf Google+ und dem Instant-Messenger Discord fündig. In den USA gilt die App schon länger als beliebtes Vernetzungstool der Alt-Right-Bewegung, hierzulande sammeln sich Gruppen, um Debatten in sozialen Medien gezielt zu vereinnahmen, Hassbotschaften zu verbreiten und ihre Ideologie zu teilen.

Strenge Hierarchien

DER STANDARD hat sich über einige Monate hinweg in mehrere solche Gruppen auf den beiden Plattformen eingeschleust, die gemeinsam über 6.000 Mitglieder zählen. Darin herrschen zumeist strikte Hierarchien. So geben sich die Betreiber klingende Titel wie "Kaiser des Reiches", "Reichspräsident" und "Stratege". Oft gibt es strenge Regelwerke: Etwa dürfen in manchen Gruppen eindeutig rechtlich belangbare Inhalte nur in kleinen Chaträumen, genannt Channels, geteilt werden, denen nur eine kleine Personenzahl gleichzeitig beitreten kann. Als Gesetzesbruch bezeichnen die Neonazis solche Aussagen jedoch nicht – eher sprechen sie von "sensiblen" Themen.

Die Inhalte, die geteilt werden, sind zumeist menschenverachtend und antisemitisch. Zwei der Discord-Gruppen haben Channels, die den Namen "Geschichte" tragen. Darin werden hauptsächlich Reden von Adolf Hitler und verschwörungstheoretische Inhalte geteilt, etwa dass dieser überlebt habe, ein Kind habe und dieses nun in Südamerika lebe.

Solidaritätsbekundungen für Holocaustleugnerin

Andere Videos, die auf Google+ verbreitet werden, rufen zu einer neuen "Lösung" für Migration auf und verweisen auf den Holocaust, ein in derselben Gruppe geteiltes verleugnet wiederum die Existenz eines solchen. Weitere Videos wollen klarmachen, dass es menschliche Rassen gebe. In Nachrichten-Channels werden regelmäßig Fake-News und Verschwörungstheorien verbreitet, beispielsweise hätten 40 Prozent aller Flüchtlings Aids. Das kommentiert ein Nutzer mit: "Vielleicht hält dieser Artikel unsere Frauen davon ab, sich mit diesem D.... einzulassen."

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In mehreren Gruppen wird dazu aufgerufen, Solidaritätsbriefe für die mehrfach verurteilte und inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck zu verfassen. Diese wurden entweder direkt an sie versandt oder von einem Nutzer gesammelt und an sie weitergereicht – Haverbeck soll sich laut einem Posting eines rechtsextremen Blogs, welcher in mehreren der Gruppen geteilt wurde, mit einem Dankesbrief zurückgemeldet haben.

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Neonazijäger zeigen an

Gänzlich ungeahndet bleiben Rechtsbrüche der Neonazis nicht, wie die 48-jährige Aliesa (Name geändert, Anm.) erzählt. Die Altenpflegerin ist eine der Inhaber der Google+-Gruppe Nazileaks, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Nazis im Netz aufzuspüren und, sofern möglich, rechtliche Schritte einzuleiten. "Es geht darum, diesen Neofaschisten im Netz zu sagen: Wir sind da, wir sehen, was ihr treibt. Wir passen auf. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum", sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD.

Ihre Gruppe zählt mittlerweile mehr als 300 Mitglieder. "Unsere Intention ist, dafür zu sorgen, dass solche Profile zur Anzeige gebracht werden und verschwinden. Sie sollen merken, dass eine Gegenwehr da ist. Menschen, die sagen: Stopp, bis hierhin und nicht weiter." Hierfür schleusen sich die Neonazijäger in solche Gruppen ein und sammeln Screenshots von Beiträgen. "Was sie posten, sind aber nicht nur Hitlerbildchen, sondern es geht auch um menschenverachtende Beiträge, wo es normalen Menschen die Gänsehaut über den Rücken laufen lässt. Das sammeln wir alles."

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Doch um Zugriff auf jene Gruppen zu bekommen, wo solche Inhalte offen geteilt werden, muss oft eine "Prüfung" erfolgen. Einem anonymen Profil ohne Beiträge wird zumeist der Beitritt verweigert, da Neonazis sich über die Existenz der "Jäger"-Gruppen bewusst sind. "Da kommen wir aber natürlich auch rein, ohne dass sie das wissen."

Organisierte Hasskampagnen

Häufig organisieren die Neonazi-Gruppierungen gezielte Kampagnen im Netz: Etwa wird in einer der beobachteten Gruppen auf ein Twitter-Posting verlinkt, welches von einer deutschsprachigen Nutzerin mit ausländisch klingendem Namen verfasst wurde. Dieses kommentierte offenbar die Ereignisse in Chemnitz kritisch. Sie hat weder viele Follower, noch wurde der Beitrag oft geteilt.

Ein User hohen Ranges auf dem Server bezeichnet sie als "Zecke" und ruft dazu auf, so viele Hasskommentare wie möglich zu hinterlassen, was daraufhin von mehreren Personen mithilfe von zahlreichen Accounts durchgeführt wird. Die Nutzerin löschte ihren Tweet kurze Zeit später. Umgekehrt wird auch dazu aufgerufen, bestimmte Beiträge zu teilen – etwa wird ein Twitter-Posting verlinkt, das die Berichterstattung über rechtsextreme Vorfälle zu einer "der größten Lügen der Mediokratie" erklärt und dazu aufgefordert, es zu verbreiten.

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Offensichtliche Falschmeldungen

Solche Trollnetzwerke seien besonders häufig. "Meistens bringen sie Verläufe gänzlich aus dem Ruder. Es geht über Beschimpfungen, Morddrohungen, wo wirklich der ganze Hass ausgekotzt wird. Irgendwann kannst du diesen Beitrag schließen, wenn du ihn nicht moderierst." Aliesa zufolge seien die Profile aber mit geübtem Auge oft identifizierbar – etwa an dem ähnlichen Schreibstil. Auch würden oft Fake-News weiterverbreitet, beispielsweise mit Bildern von gänzlich anderen Vorfällen, die instrumentalisiert werden. Etwa werde aus einer Frau, die 2010 einen Autounfall erlitten hatte, eine von einem Flüchtling geschlagene Deutsche. "Dabei würde eine einfach Google-Bildersuche reichen", so Aliesa, um zu beweisen, dass das nicht stimmt. "Die prüfen überhaupt nichts." Versucht man, die Personen auf die Realität hinzuweisen, werde der Beitrag gelöscht und das Profil blockiert. "Dann ist von Fake-News, einem linksversifften System und manipulativer Lügenpresse die Rede."

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Nicht jeder darf rein

Discord-Gruppen, die zu solchen Aktionen aufrufen und versuchen, Debatten zu vereinnahmen, sind bei ihrer Mitgliederwahl besonders heikel: Nachdem die Autorin die Gruppe einige Tage lang still beobachtet hatte, ohne selbst Beiträge zu verfassen, wurde sie kommentarlos von einem Administrator entfernt. Andere Gruppen verlangen erst "Bewerbungsgespräche", bis ein Beitritt überhaupt möglich ist. Gerade solche Profile würden aber die radikalsten Inhalte verbreiten.

Einschleusen durch rechtsradikale Inhalte

Damit es möglich ist, sie zu beobachten, erstellen die Neonazijäger zusätzlich zu dem anonymen Account, über den sie sich miteinander vernetzen, weitere Identitäten. Aliesa hat ungefähr zehn Profile, mit drei von ihnen schleust sie sich in Nazigruppen ein. Um echt zu wirken, sei es dabei auch notwendig, rechte Beiträge zu teilen. "Irgendwann habe ich damit aufgehört, weil ich es mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte", erzählt sie. "Ich lese nur noch mit. Mein Körper hat irgendwann verrückt gespielt, ich habe Schweißausbrüche bekommen, mir wurde schlecht. Bloß musste ich so ein Profil betreiben. Wir alle haben sie." Anders wäre es nicht möglich, solche Gruppen aufzuspüren. "Und die begrüßen sich da auch wirklich mit 'Sieg Heil' und '88'. Du liest oft, dass sie sich einen zweiten Führer wünschen, der 'aufräumt'."

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Nach dem Beitritt in solche Gruppierungen sammeln die Neonazijäger die Beiträge. Viele Aussagen der Nazis werden in der gemeinsamen Nazileaks-Gruppe in die Lächerlichkeit gezogen oder bloßgestellt. "Bei den Nazis gibt es immer wieder ein Aufruhr, wenn Verläufe veröffentlicht werden. Sie wissen aber nicht, wer die Maulwürfe sind", sagt Aliesa.

Melden bringt oft nichts

Google+ reagiere auf Meldungen solcher Postings fast gar nicht. "Ich kenne niemanden, der Erfolg dabei hatte, dass ein Profil über Google gelöscht wurde. Holocaustleugnung ist bei diesen Plattformen offenbar kein Problem, siehst du aber eine nackte Brust, wird es zensiert. Ich weiß zum Beispiel von einem Fall, wo einmal jemand auf Facebook ein Foto von ausgehungerten Kindern aus einem Konzentrationslager geteilt hat. Es wurde wegen Nacktheit gelöscht."

Anzeigen oder an Meldestellen weitergeben

Nazileaks bringt viele der rechtsextremen Profile selbst zur Anzeige, leitet aber auch Fälle an Meldestellen weiter. Aliesa verweist auf die Meldestelle Respect im deutschen Baden-Württemberg, welche sie regelmäßig kontaktiert. "Die leiten das selber an Behörden weiter, da braucht man sich um nichts mehr kümmern." Zudem habe man einen direkten Ansprechpartner und werde auch über Resultate informiert. "Manchmal", erklärt Aliesa schmunzelnd, "schreiben die Nazis in privaten Gruppen auch noch Beiträge, so in Richtung: 'Ja, ich hab Post vom Staatsanwalt bekommen, hier wird die Meinungsfreiheit beschnitten!'" Es sei ein Erfolgserlebnis, wenn daraufhin mehrere Profile verschwinden.

"Man hat das Gefühl, man macht etwas"

"Als Hobby würde ich es nicht direkt beschreiben, aber Spaß hast du schon daran. Gerade wenn es von Erfolg gekrönt ist", erzählt Aliesa. Ihr Motiv beschreibt sie so: "Nicht jeder hat die Zeit, täglich auf Demonstrationen zu gehen. So hat man das Gefühl, dass man etwas macht. Und man muss etwas dagegen machen. Wir alle müssen das." Es sei wichtig, Faschismus zu bekämpfen. "Ich denke, dass uns unruhige Zeiten bevorstehen. Sollte das wieder salonfähig werden, was damals abgelaufen ist, haben wir alle nichts mehr zu lachen."

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Massive Wellen an Hass

Nazileaks existiert seit 2016, Aliesa hat aber schon Jahre zuvor begonnen, solche Profile zu melden und Screenshots der Beiträge öffentlich zu machen. Dadurch hatte sich auf Google+ eine Gegenbewegung entwickelt. Aliesa bekam ein großes Following – und auch Nazis bekamen ihre Arbeit mit. "Ich war lange Zeit eine der meistgehassten Frauen auf Google+. Mein Name war in der rechten Szene weitreichend bekannt – das ging über Morddrohungen bis hin zu Vergewaltigungswünschen. Angst hatte ich zwar nicht, aber ich dachte mir: Na ja, wer weiß? Deswegen habe ich mich zeitweise über ein VPN-Netzwerk eingeloggt, um eine andere IP-Adresse zu haben." Zwischendurch hatte sie eine Pause eingelegt, während der sie nicht mehr so aktiv tätig war. Die Gruppe habe sich aber zu einem Selbstläufer entwickelt.

Beispiel der Hasspostings, denen die Nazileaks-Eigentümerin ausgesetzt ist.
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Auf Anfrage des STANDARD erklärte ein Sprecher der Meldestelle Respect, dass im heurigen Jahr bis Mitte September insgesamt 1.424 Meldungen eingelangt sind. 281 von ihnen sind noch offen, weil eine Anzeige läuft, 743 wurden aufgrund von fehlender Relevanz geschlossen. Vier Mitarbeiter prüfen die jeweiligen Fälle einzeln. Wenn sie einen potenziellen Rechtsbruch erkennen können, leiten sie die Informationen an die zuständige Polizeidienststelle oder die Staatsanwaltschaft weiter. Sollte keine rechtliche Relevanz bestehen, informieren sie Betroffene, wie sie weiter handeln können, etwa werden Opfer von Hasspostings an den Verein #ichbinhier weiterverwiesen.

Mehrere Meldemöglichkeiten in Österreich

Respect betreut Fälle von Wiederbetätigung und Verhetzung durch deutsche Staatsbürger. Der Sprecher erklärte, dass Nutzer informiert werden, wenn beschuldigte Profile sich im Ausland befinden. In Österreich gibt es für solche Vorfälle im Netz mehrere Anlaufstellen: etwa die App Ban Hate der Antidiskriminierungsstelle Steiermark, mit welcher auch Respect in der Vergangenheit kooperiert hat und die sich vor allem mit Hasspostings befasst. Im Falle von Wiederbetätigung ist es möglich, die Meldestelle NS-Wiederbetätigung des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu kontaktieren, alternativ gibt es auch die Meldestelle Zara. In allen Fällen ist das auch anonym möglich. (Muzayen Al-Youssef, 30.9.2018)