STANDARD: Haben Sie ein Lieblingsbrot?

Chorherr: Ein dunkles Roggenbrot, frisch aus dem Ofen, mit einem Hauch Butter obendrauf. Der Geschmack und der Geruch erotisieren mich.

STANDARD: Sie wollen sich mit Ende des Jahres aus der Politik zurückziehen und eine Bäckerei eröffnen. Warum gerade Bäcker?

Chorherr: Es gibt Urglücksgefühle. Und eines meiner Urglücksgefühle war immer schon das Vorbeigehen an einer Bäckerei. Bäcker zu werden war für mich eines von 298 Projekten, von denen man träumt und von denen man sich sicher ist, dass daraus erst im nächsten Leben was wird.

STANDARD: Ist Politiker auch unter den Top 298?

Chorherr: Politiker war und ist für mich die Nummer eins im Sinne von Gestalten statt Jammern. Aber das war ich jetzt 27 Jahre lang.

Christoph Chorherr: "Es gibt Urglücksgefühle. Und eines meiner Urglücksgefühle war immer schon das Vorbeigehen an einer Bäckerei."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Schon bei Ihren S2arch-Schulprojekten in Südafrika haben Sie versucht, den Biobäcker Helmut Gragger nach Johannesburg zu locken und mit ihm eine Kooperation vor Ort zu starten. Was ist daraus geworden?

Chorherr: Eine gute Freundschaft mit viel Potenzial. Ich wollte mit Heli Gragger vor einigen Jahren schon eine Bäckerei in Zonkizizwe bei Johannesburg eröffnen, von der aus wir Restaurants und Hotels beliefern wollten. Das Konzept war falsch aufgesetzt – und wir waren weise genug, es nicht zu machen. Das Projekt wäre garantiert schiefgegangen.

STANDARD: Ihr Verein S2arch hat Ihnen zuletzt wenig Glück eingebracht.

Chorherr: Durch die Vorwürfe, die letztes Jahr aufgetaucht sind, war es schwierig, das Projekt voranzutreiben und die beiden Schulen in Zonkizizwe sowie in Mzamba an der Wild Coast weiterzubauen. Doch dank der vielen Unterstützer und Studierenden war es möglich weiterzumachen. Die Bauphase ist nun weitestgehend abgeschlossen. Jetzt geht es darum, den Schulbetrieb zu finanzieren und aufrechtzuerhalten.

STANDARD: Für die Errichtung der Schulen haben Sie jahrelang Spenden von Ithuba Capital angenommen. Das Unternehmen gehörte bis 2009 dem Investor Michael Tojner, der das Projekt "Heumarkt neu" entwickelt, das Sie mit Maria Vassilakou von Anfang an unterstützt haben. Das hat Korruptionsvorwürfe aufs Tapet gebracht.

Chorherr: Mein Engagement für Südafrika hat 1996 begonnen. Das war 14 Jahre bevor wir in die Stadtregierung gekommen sind. Ich habe mich immer schon als unternehmerischer Politiker gesehen – mit dem Ziel, gute Dinge in die Welt zu bringen. In den Neunzigerjahren habe ich sogar ein kleines Bauträgerunternehmen geleitet, mit dem wir unter anderem ein innovatives und auch vielfach preisgekröntes Studentenheim entwickelt und errichtet haben. Ich stehe zu meinem Unternehmertum. Wer viel tut, geht Risiko ein.

STANDARD: Zu viel Risiko?

Chorherr: Es hätte eine einzige Möglichkeit gegeben, dieses Risiko nicht einzugehen und mich diesen Vorwürfen nicht auszusetzen – und zwar, wenn ich diese Schulen nicht gebaut und 600 Kindern nicht die Möglichkeit geboten hätte zu lernen. Wenn ich das alles nicht gemacht hätte, würde ich heute keine Schwierigkeiten haben. Ich weiß, dass meine Tätigkeit als Mandatar nicht einen Hauch von irgendwelchen Spendengeldern beeinflusst war. Es gibt keinen einzigen Fall, wo sich dieser Verdacht bestätigt hätte. Es gibt nur bösartige Unterstellungen. Irgendwann wird das Verfahren eingestellt werden, und dann wird man sich fragen: Was war das eigentlich?

Christoph Chorherr über den Vorwurf der Korruption: "Ich weiß, dass meine Tätigkeit als Mandatar nicht einen Hauch von irgendwelchen Spendengeldern beeinflusst war. Es gibt keinen einzigen Fall, wo sich dieser Verdacht bestätigt hätte."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die Melange aus Projektentwickler und Politiker hat einen Schatten auf Ihre Karriere geworfen. Ist das ein Grund für Ihren Rückzug?

Chorherr: Nein, denn ich habe mir immer schon vorgenommen, dann zu gehen, wenn der Abschied noch schwerfällt und wenn die Freude an diesem Beruf gegenüber der Nichtfreude überwiegt. Wiewohl ich gestehen muss, dass es eine große Überwindung ist, so eine Entscheidung zu fällen und sich aus dieser Rolle zurückziehen. Ich gehe mit einer Träne.

STANDARD: Hat das Heumarkt-Projekt, das zuletzt große Diskussionen bezüglich des Unesco-Weltkulturerbes nach sich zog, den Wiener Grünen Schaden zugefügt?

Chorherr: Ich denke, wir haben weitaus mehr bewirkt, als dies einer 12,5-Prozent-Partei entspricht. Dietmar Steiner, der ehemalige Direktor des Architekturzentrums Wien, hat auf Facebook sinngemäß geschrieben, dass wir in Wien die wirkmächtigste Arbeit aller bisherigen Planungsstadträte hinterlassen haben. Im Herbst 2020 werden wir sehen, wie die Bevölkerung diese zehn Jahre Regierungsbeteiligung beurteilen wird.

STANDARD: Wie wird es mit dem Heumarkt-Projekt und dem Unesco-Weltkulturerbe weitergehen?

Chorherr: Ich gehe davon aus, dass das Projekt realisiert wird. Der Flächenwidmungsplan ist beschlossen. Ich kenne die Diskussion mit der Unesco, und ich bin mir sicher, dass uns das Weltkulturerbe nicht aberkannt wird – allein schon dadurch, dass ein Hochhaus am Rande der Innenstadt bei weitem nicht das Potenzial hat, den Unique Value einer so reichhaltigen Stadt zu beeinträchtigen. In ein paar Jahren wird man Wien wieder von der roten Liste nehmen, und das war's.

Die Aberkennung des Weltkulturerbes wegen der Neugestaltung des Heumarkts hält Christoph Chorherr für unrealistisch: "In ein paar Jahren wird man Wien wieder von der roten Liste nehmen, und das war's."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Das Heumarkt-Projekt ist nicht das einzige, das Ihnen Ärger eingebracht hat. Seit vielen Jahren setzen Sie sich angesichts steigender Bevölkerungszahlen und Immobilienpreise für eine Verdichtung Wiens ein. Das hat zu Konflikten und Bürgerinitiativen geführt.

Chorherr: Wenn man Grünraum in einem übergeordneten Maßstab schützen will und wenn man auf die Reduktion von Verkehr und CO2 setzt, dann ist nicht die Suburbanisierung der Weg, den man gehen muss, sondern die kontinuierliche Verdichtung der wachsenden Stadt. Dann kann es auch einmal sein, dass mitten in der Stadt ein Baum entfernt werden und einem Wohnhaus Platz machen muss. Ich will nicht, dass Wien eines Tages vor demselben Problem steht wie London, Paris oder München, wo sich ein Normalverdiener keine Wohnung mehr leisten kann.

STANDARD: Wien spricht zwar von Wachstum, aber kaum von Verdichtung. Hat die Stadt Wien hier einen wichtigen Informationsauftrag verabsäumt?

Chorherr: Stadtplanung ist nicht Twitter. Stadtplanung ist eine extrem komplexe Materie, die viel Zeit braucht und die wahnsinnig schwer zu kommunizieren ist. Vielleicht tut die Stadt hier zu wenig, um diese Sachverhalte und Wechselbeziehungen der Bevölkerung näherzubringen. Das kann schon sein.

STANDARD: In einigen gründerzeitlichen Vierteln in Wien werden gerade Aufzonungen vorgenommen. Auf bestehenden Gebäudeparzellen wird die Bauklasse verändert und die zulässige Bauhöhe nach oben korrigiert. Die meisten Anrainer laufen dagegen Sturm.

Chorherr: Ich verstehe und respektiere, dass es Anrainer-Interessen gibt, aber das sind eben partikulare Interessen, die nur einen Teil, wenn auch einen durchaus relevanten, des großen Ganzen ausmachen.

Die novellierte Wiener Bauordnung enthält die neue Widmungskategorie geförderter Wohnbau. Christoph Chorherr hat das Gesetz mitverhandelt: "Eigentum an Grund und Boden ist keine Berechtigung, kollektive Interessen und Bedürfnisse zu ignorieren."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Im November soll die novellierte Wiener Bauordnung abgesegnet werden, an der Sie maßgeblich beteiligt waren. Erstmals wird darin geförderter Wohnbau als eigene Widmungskategorie angeführt. In welcher Form sollen bereits gewidmete Grundstücke umgewidmet werden?

Chorherr: Eigentum an Grund und Boden ist keine Berechtigung, kollektive Interessen und Bedürfnisse zu ignorieren. Wer also in Zukunft ein Grundstück umwidmen oder verdichten will, um damit den Wert zu steigern und signifikant mehr Umsatz zu generieren, der wird mit der Stadt einen Interessenausgleich aushandeln müssen. Und dieser Interessenausgleich beinhaltet, einen Teil der zu errichtenden Wohnungen als geförderte, für Mieter sehr günstige Wohnungen auszuführen.

STANDARD: Wie viel genau?

Chorherr: Der Mindestanteil in der Widmungskategorie "Geförderter Wohnbau" liegt bei 50,01 Prozent. Der genaue Anteil ist abhängig vom Wertzuwachs und kann auch deutlich höher ausfallen. Das wird man von Fall zu Fall entscheiden.

STANDARD: Ein weiterer Punkt in der Novelle der Bauordnung betrifft den weitestgehenden Verzicht auf fossile Heizungssysteme. Diese sollen durch klimafreundliche Heizsysteme ersetzt werden. Wie konkret?

Chorherr: Das ist ein ganz großer Wurf. Bei Neubauten und Sanierungen wird es in Zukunft keine Ölheizung, keine Gasetagenheizung mehr geben dürfen. In neun von zehn Fällen werden sämtliche Bauten über Umgebungswärme, Fernwärme, Geothermie und solare Energieträger geheizt und gekühlt werden.

STANDARD: Und im letzten verbleibenden von zehn Fällen?

Chorherr: Irgendwer wird immer ein Schlupfloch finden, wenn er deppert ist. Wir hätten es auch radikaler machen können. Aber wer 100 Prozent will, der kriegt null.

STANDARD: Dafür sind Sie zu viel Realo und zu wenig Fundi.

Chorherr: Ja, wahrscheinlich. Realpolitik heißt, graduelle Verbesserungen durchzusetzen und mit den Dingen zu arbeiten, die man hat.

STANDARD: Sind die Differenzen zwischen Real- und Ideologiepolitik der Grund dafür, dass sich das grüne Team in Bund, Land und Gemeinde in den letzten Jahren mehr oder weniger in Luft aufgelöst hat?

Chorherr: Dass Leute kommen und gehen, ist das Wesen dieser Welt.

STANDARD: Sie haben bei Ihrem Rücktritt auch den Neubeginn der Grünen angesprochen. Was muss neu werden?

Chorherr: Vieles. Neubeginn ist Neubeginn. Daher ziehe ich mich demnächst auch zurück. Ich will der nächsten Generation Platz machen.

Christoph Chorherr will einen Neubeginn – für sich und die Wiener Grünen. "Daher ziehe ich mich demnächst auch zurück. Ich will der nächsten Generation Platz machen."
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Warum unterstützen Sie ganz offen den grünen Gemeinderat Peter Kraus als Maria Vassilakous Nachfolger?

Chorherr: Peter Kraus verkörpert für mich etwas, was die Politik jetzt dringend braucht. Er ist jemand, der versöhnt und nicht spaltet, der auf den Andersdenken zugeht, der auch mit jenen Menschen Bündnisse schließt, die anderer Meinung sind als er.

STANDARD: Freuen Sie sich schon aufs Brotbacken?

Chorherr: Ich kann zwar ein bisschen backen, aber andere können's wirklich gut. Doch ich freue mich darauf, eine sozial und ökologisch motivierte, gemeinnützige GesmbH zu gründen, die sich zum Ziel gesetzt hat, hochwertiges Brot aus Biozutaten und nachhaltiger Landwirtschaft herzustellen. Wir unterstützen diejenigen, die in der Biolandwirtschaft zu Hause sind, und geben Älteren, Flüchtlingen und Menschen am zweiten Arbeitsmarkt eine Chance. Dazu werden wir auch mit dem AMS zusammenarbeiten.

STANDARD: Mit welchen finanziellen Mitteln?

Chorherr: Vorerst mit dem eigenen Kapital. Rund um den Jahreswechsel werden wir außerdem eine Crowdfunding-Kampagne starten und die Leute bitten, in unser Projekt zu investieren. Das Geld gibt es zu einem späteren Zeitpunkt zurück. Die Zinsen zahlen wir in Brot.

STANDARD: Wie lauten die Zutaten für das perfekte Chorherr-Weckerl?

Chorherr: Das, was drinnen ist, kennt man. Es schmeckt wirklich gut. Und man weiß, dass man beim Reinbeißen diejenigen unterstützt, die die Welt nicht schlechter, sondern ein bissl besser machen. (Wojciech Czaja, 17.9.2018)