Max Zirngast lebt seit drei Jahren in der Türkei.

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Die Mutter ist besorgt. Wie gefährlich ist es für ihn jetzt dort, will sie wissen. Denn Max ist ein umtriebiger Mensch – ein junger Mann, der sich in die Türkei des Tayyip Erdogan hineingearbeitet hat und unablässig Recht und Unrecht abwägt.

Es ist der Dezember 2016, ein halbes Jahr nach Putsch und Verhängung des Ausnahmezustands. Max Zirngasts Mutter besucht meinen Türkei-Vortrag in Graz. Von Protestkundgebungen sollte er sich wohl besser fernhalten, lautet mein banaler Rat.

Sie gibt mir seine E-Mail-Adresse, und einen Monat später sitze ich mit Max Zirngast in einem Restaurant in Kizilay, einem Innenstadtviertel von Ankara. Er ist ein baumlanger, sympathischer Steirer, seit 2015 Student der politischen Theorie an der Technischen Universität des Nahen Ostens in Ankara, einer der letzten Hochschulen der Türkei, an denen noch frei gedacht werden kann. Zirngast tut ebendas.

Er analysiert die Türkei des autoritär regierenden Erdogan – die Tradition des despotischen Staates, wie er sie nennt – und die Chancen für die politische Wende. Auf Erdogans einstigen Weggefährten, Ex-Staatspräsident Abdullah Gül, setzt er an jenem Abend. Gül werde aus der Deckung kommen, versichert er. Zirngast wird nicht recht behalten.

Nach dem Essen nimmt er den Nachtbus nach Istanbul, wo seine Freundin wohnt. Er freut sich auf die Reise, er ist verliebt. Man sieht es dem jungen Mann an.

Seit mehr als drei Jahren lebt Erdogans neuer Häftling ständig in Ankara. Der 29-Jährige spricht fließend Türkisch, wird politisch aktiv, hält Vorträge, beginnt für linke Onlinemedien zu schreiben und steht einer kleinen marxistischen Partei im Umfeld der prokurdischen Minderheitenpartei HDP nahe. Einen Sozialwissenschafter mit linker Haltung, gescheit und kritisch, nennt ihn Thomas Schmidinger, sein früherer Dozent am Fachbereich Politikwissenschaften der Universität Wien.

Türkei-Journalisten wie mich hält Zirngast für oberflächlich, auch wenn er viel zu höflich ist, um das so zu sagen. Lieber spricht er von der "kulturalistischen Wahrnehmung" der Türkei in Europa, der Denkschablone von Islam versus Säkularismus, konservativ gegen modern. In Wahrheit habe sich gar nicht so viel geändert, seit Erdogans AKP regiert. Und nur die HDP kämpfe "standhaft gegen die türkisch-sunnitisch-patriarchale Allianz" an.

Am Dienstag nahm Erdogans Polizei Max Zirngast fest. (Markus Bernath, 12.9.2018)