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Der Film "Brokeback Mountain" von ist wohl die populärste Liebesgeschichte zwischen zwei Männern, hier am Teatro Real in Madrid als Oper aufgeführt (2014). "Über das Ziel geschossen" hat man hinsichtlich der Gleichstellung deshalb noch aber noch lange nicht.

Foto: Reuters/PAUL HANNA

Übers Ziel hinaus, und zwar meilenweit. Das ist der erste Irrtum, dem wir seit den ersten Jahren zarterer Akzeptanz von Rechten für Lesben und Schwule oder Frauen oft und an prominenter Stellen begegnen. Der Zweite ist, man dürfe eben diese Meinung, dass das doch schon alles viel zu viel an Gleichberechtigung ist, nicht mal mehr äußern. Ja sogar "geächtet" werde, wer das tut.

Nun, so groß kann die Ächtung für solche Positionen nicht sein, wenn man sie immerhin in einer österreichischen Tageszeitung abgedruckt lesen kann. So schrieb Martin Leidenfrost vergangene Woche in der "Der Presse" einen Kommentar, der ein Paradebeispiel für jene Textsorte abgibt, in der die angebliche Zensur arg konservativer Meinungen beweint und linksliberaler Gesellschaftspolitik die längst übernommene Weltherrschaft zugeschrieben wird. So muss es sich zumindest für Autoren wie Leidenfrost anfühlen, der davon schreibt, Rechte für Homosexuelle wären zur "todernsten Staatsdoktrin" verkommen, dass schwule Ehepaare mit Kindern die "Ikone unserer Zeit" wären, und während man in seiner Jugend "homosexuelle Ehen" noch nicht mal im Kabarett gesehen habe, wäre es – Achtung, jetzt kommt das Zensurargument – heute tabu, etwas dagegen zu sagen. Ist es offenbar nicht.

Massenhaft Progressiv?

Prinzipiell wäre es zu jeder Zeit wünschenswert, dass verschriftlichter Menschenverachtung wie dieser heftig widersprochen werde. Richtig ist aber, dass sich bis heute die Grenzen dessen verschoben haben, was als respektvoller Diskurs über Menschen gilt, die nicht männlich, hetero und weiß sind. Im Grunde ist es erstaunlich, dass das noch immer derart zornig macht, aber seien wir nicht naiv: Rassismus, Frauenverachtung und eben auch Homophobie sind komplexe Phänomene, denen bekanntlich schwer beizukommen sind.

Das größere Rätsel bleibt somit, wie manche Autoren zu der Gewissheit gelangen, Engagement für die Rechte von homosexuellen Menschen oder andere progressive Ideen würden von den Massen getragen und auch von Mächtigen vertreten werden, die sich jeden Widerspruch verbieten würden. Davon scheint etwa auch der britische Philosoph John Gray überzeugt, der vergangene Woche in der "Süddeutschen Zeitung" ebenso von der linksliberalen Hegemonie zu berichten wusste. "Der Liberalismus selbst hat eine Metamorphose hinter sich: von der Philosophie der Toleranz zu einer Orthodoxie, die Abweichler verfolgt."

Gleichstellung in den Kinderschuhen

Es scheint fast so, als ob sich Autoren wie sie ausschließlich in einer linksliberalen Blase bewegen würden, nur Zeitungen lesen, die das Ende von Diskriminierungen etwa durch die Einführung der "Ehe für alle" nicht als ganz schlechte Nachricht präsentieren, sich in einem Umfeld bewegen, das keine überzeugenden Argumente dafür finden kann, gleichgeschlechtliche Liebe wäre gegen "die Natur" oder in Uni-Seminaren zu Queer-Theorien sitzen.

Anders ist diese Einschätzung nicht zu erklären, denn ein paar aufmerksame Beobachtungen auf den Straßen – auch auf jenen europäischer Großstädte – würden genügen, um das wahre Ausmaß der angeblich so dominanten gesellschaftlichen Umbrüche zu erkennen: kaum gleichgeschlechtliche Paare, die sich mit derselben Selbstverständlichkeit in der Öffentlichkeit bewegen wie Heteros, keine massenhaften TV-Schnulzen à la Rosamunde Pilcher, in der sie und sie zueinanderfinden. Und ein Europa, das betreffend der Gleichstellung von Lesben und Schwulen in der Kinderschuhen steckt – von den ständigen Wahlerfolgen rechtspolitischer Parteien, die sich gegen jedwede Gleichstellung stemmen, gar nicht zu reden – oder von dem Wahnsinn, den homosexuelle Asylwerbern erleben.

Wer in der Primetime vielleicht mal über "Brokeback Mountain" stolpert und dahinter gleich den Sieg einer schwulen Kulturindustrie vermutet, hat offenbar ein Problem mit homosexuellen Menschen. Das nennt man übrigens Homophobie. Und die sollte tatsächlich ein Tabu sein. Das wird man wohl noch sagen dürfen. (Beate Hausbichler, 12.9.2018)