Saisonauftakt im Musikverein, viel Prominenz im Saal (ist es übrigens ein Zeichen der Zeit, dass man hier zwar Altpolitiker sieht, aber kaum aktuelle?) – und ein großer Name auf dem Podium. Andris Nelsons gestaltet heuer einen eigenen, ganz auf seine neuen Positionen zugeschnittenen Zyklus.

Seit diesem Jahr ist der knapp 40-jährige Dirigent aus Riga Chef zweier der international bedeutendsten Orchester, und er nutzt gezielt die dadurch möglichen Synergien (gar nicht unähnlich der Logik globaler Konzerne). Er "schmiedete", wie es in seiner aktuellen Biografie im Programmheft heißt, "sogleich eine einzigartige multidimensionale Verbindung zwischen seinen Orchestern in Boston und Leipzig."

Zweifaches Renommee

Für den ersten von zwei Abenden mit dem Boston Symphony Orchestra im Goldenen Saal brachte Nelsons aus Leipzig die Damen und Kinder aus dem Chor des Gewandhauses mit, um Gustav Mahlers 3. Symphonie zu einem opulenten Gepräge zu verhelfen. Das klang oft brillant, in jedem Augenblick akkurat und zugleich reizvoll. Einem orchestralen Leistungskatalog wäre das höchste Lob zu singen, ebenso wie einem Dirigenten, der durch seine Bühnenpräsenz genauso fasziniert wie durch die Präsenz des Sounds.

Das Können der Orchestermusiker ist genauso enorm wie ihr Wille zum Einsatz. Satt und voll legitimierten auch die Chöre ihre weite Reise, keinen Wunsch offen ließ Alt-Solistin Susan Graham: warm strömend, ausgeglichen, textdeutlich und jede Vortragsanweisung beim Wort nehmend.

Perfektion als Makel

Das Orchester unter Nelsons' Dirigat, das man nur zögernd Leitung nennen mag, eher trifft es das Wort Inspiration, lief dabei über eine gesamte Spielfilmlänge wie das denkbar verlässlichste Uhrwerk. Es lieferte jedoch kaum mehr als eine lange Reihe hinreißender Augenblicke. Die Form des Ganzen blieb aber rätselhaft schematisch. (Daniel Ender, 12.9.2018)