Der Ruf nach Patriotismus erreicht Österreichs Lebensmittelregale. Am Sonntag ertönte er auf dem Erntedankfest der Wiener Jungbauern. Bundeskanzler Sebastian Kurz und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (beide ÖVP) forderten die Österreicher dazu auf, vor allem Nahrungsmittel aus dem eigenen Land zu kaufen. Die Konsumenten müssten sich ihrer Macht am Regal im Supermarkt bewusst sein, sagte Köstinger. Sie sollten österreichische saisonale Produkte dem oft günstigeren Import vorziehen. Denn die hohe Qualität der heimischen Waren sei nicht selbstverständlich.

Braucht das Land künftig mehr rot-weiß-rote Einkaufskörbe? Was auf den ersten Blick gut aussieht, appetitlich schmeckt und vielen Landwirten frischen Rückenwind verspricht, hält auf den zweiten nicht das, was es verspricht. Realitätsfern, nicht selten auch verlogen nennen Kritiker wachsenden Konsumpatriotismus. Das Rad der Zeit lasse sich nicht zurückdrehen. Keiner dürfe dazu verdonnert werden, nur das zu essen, was gerade reif ist und Zitrusfrüchte aus dem Speiseplan zu streichen. Wer regional predige, verschließe zudem die Augen vor dem wachsenden Export in alle Welt. Tenor der Lebensmittelbranche: Wer zu viel Regionalität sät, erntet Widersprüche. (Verena Kainrath, 11.9.2018)

Die Diskussion ist emotional stark aufgeladen: Die einen predigen Konsumpatriotismus bei Lebensmitteln, andere halten dies für realitätsfern.
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FÜR

Regional ist nah, und Nähe erhöht Transparenz. Studien zufolge wollen Konsumenten zunehmend wissen, wer ihre Lebensmittel wo und unter welchen Bedingungen erzeugt. Sie wollen Produkte, die eine Geschichte erzählen, sagt AMA-Marketing-Chef Michael Blass. Lässt man Kunden zwischen bio und regional wählen, entscheidet sich die Mehrzahl mittlerweile für Zweiteres.

Das macht Regionalität zum Rettungsanker für die konventionelle Landwirtschaft. Es sei derzeit die Trumpfkarte, die alles andere steche, ist Bioexperte Wilfried Oschischnig überzeugt und spart dabei nicht an Kritik an seiner eigenen Branche. "Der Biolandbau hat den Zug zum Regionalen verschlafen."

Konventionelle Landwirte geraten immer stärker unter die Räder: Verbotene Pestizide senken die Ernteerträge, Förderungen wackeln. Regionalität bietet sich in der Vermarktung daher als Mehrwert für jene an, die von der Umstellung auf Bio absehen.

Überversorgung

An Agrarware Made in Austria fehlt es hierzulande in vielen Bereichen nicht. So kann Österreich den eigenen Bedarf an Milch mehr als decken. Quer über alle Molkereiprodukte liefern Bauern ein Fünftel mehr, als im Inland verbraucht wird, rechnet der Molkereivertreter Johann Költringer vor. Überversorgung gibt es auch bei Frischfleisch und Zucker. Auch an frischen Äpfeln fehlt es in guten Erntejahren nicht. 200.000 Tonnen werden jährlich geerntet, rund 90.000 Tonnen in Österreich frisch verzehrt.

Geht es um Fragen der Wertschöpfung, ist "regional" kaum zu schlagen. An Lebensmitteln aus Österreich hängen Tausende Arbeitsplätze, von Produktion über Verarbeitung und Logistik bis zum Marketing, resümiert Franz Sinabell, Landwirtschaftsexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo. Dass Besitzer chilenischer Plantagen kein Geld in Österreich liegen lassen, liegt auf der Hand.

Die Milchwirtschaft zählt so zu den Hauptsäulen der Landwirtschaft. Allein die Verarbeitung bietet 5000 Jobs. Pro Liter Milch werden aus einem Euro Wertschöpfung hierzulande zwei Euro gemacht, resümiert Költringer. Er verweist zudem auf höhere Standards, die nur österreichische Produkte liefern könnten – betreffen diese nun den Verzicht auf Pestizide, gentechnikfreie Fütterung oder Tierschutz. Wer Wert darauf lege, müsse regional einkaufen.

Der Griff zu regionaler Ware stärkt in jedem Fall Österreichs Kulturlandschaft – mit ihrer im EU-Vergleich kleinstrukturierten Landwirtschaft. Grüne Wiesen und Almen gibt es nur, wenn diese auch bewirtschaftet werden. Auch für die Industrie seien regionale Zulieferer unerlässlich, sagt Katharina Koßdorff, Chefin des Verbands der Lebensmittelindustrie. "Regionalität ist ein wichtiger Teil der Lebensmittelvielfalt – und sie macht die Regale bunter."

WIDER

Regional ist kein Qualitätsmerkmal, so emotional positiv aufgeladen örtliche Nähe auch sein mag. Weder löse es alle Probleme, noch reiche es an die Standards biologischen Anbaus heran, gibt Martina Hörmer, Chefin der Biomarke Ja! Natürlich der Rewe, zu bedenken. Auch für Franz Sinabell, Experte des Wifo, ist Regionalität kein Garant für höhere Qualität: Die entsprechenden Standards seien in der EU einheitlich.

Ebenso wenig kann ihn das Argument der kürzeren Transportwege überzeugen. Riesencontainer aus Australien seien nicht selten effizienter als teure, energieaufwendige Glashäuser und Lager im eigenen Land.

Generell wird der Anteil der Logistik in der CO2-Bilanz von Lebensmitteln oft überschätzt. Bioexperte Wilfried Oschischnig beziffert sie mit maximal acht Prozent – das ist weit weniger, als Spritzmittel beisteuern. Das führe etwa dazu, dass eine Bio-Freilandgurke aus Spanien eine bessere Bilanz vorweise als eine konventionelle Gurke aus dem Wiener Glashaus.

Sehr große Geschmacksvielfalt bietet die Selbstversorgung nicht. Abgesehen von Rohstoffen, die klimabedingt nicht oder nur in geringen Mengen in Österreich gedeihen: Eier, Butter, Öle, Fette, Gemüse, Obst – die Liste der Lebensmittel, die importiert werden müssen, lasse sich beliebig erweitern, sagt Katharina Koßdorff, Chefin des Verbands der Lebensmittelindustrie. Bei Getreide diene das Gros als Futtermittel, nur ein Fünftel gehe in die Lebensmittelproduktion. Bei Obst und Gemüse decken eigene Produkte, saisonal stark schwankend, 47 bis 57 Prozent des Bedarfs.

Frischwaren saugt der Lebensmittelhandel ab, die Weiterverarbeiter sind auf Importe angewiesen. Gut 180 Länder liefern nach Österreich. Und sie tun dies noch mehr, wenn Erntefälle, etwa die jüngste Rekordhitze, hiesige Mengen gehörig dezimieren. An eigenen Äpfeln fehlt es Österreich zwar nicht. Heuer reichten sie für die Supermärkte nach Frostschäden aber nur bis März. Dann waren die Lager leer. Händler glichen die Lücke durch Kontrakte mit Neuseeland, Chile und Südafrika aus. Ihre Einkaufsmengen waren zu hoch bemessen, viel Übersee-Ware wird daher derzeit trotz frischer steirischer Apfelernte günstig abverkauft.

Starker Export

Wer nur Regionalität trommelt, landet in einer Einbahnstraße: Zwei von drei in Österreich hergestellten Nahrungsmitteln gehen in den Export bis nach China. Die Lebensmittelindustrie erzielt sechs von acht Milliarden Euro Produktionsvolumen im Ausland. Entsprechend viel Geld fließt in internationale Bewerbung österreichischer Produkte. Wachsender Lebensmittelpatriotismus anderer Länder käme der Branche teuer zu stehen.

Wenig Wert legt Österreichs Agrarpolitik auf regionale Futtermittel für die Fleischproduktion. Auch Wirte kaufen überwiegend billig im Ausland ein.