Der dritte Tag des FAQ-Festivals (zu den Blogbeiträgen von Tag eins und Tag zwei) beginnt, der Himmel klart auf und die Kühe haben sich schick gemacht, um sich unter Posaunen und Anfeuerungen zum Almabtrieb durch den Bregenzerwald zu muhen. Ein besonderer Tag also und das nicht zuletzt auch deswegen, weil er durch die Vorfreude auf den Abend geprägt ist: Autor Michael Köhlmeier spricht mit Christian Seiler.

Bühne: Bergkapelle Alpe Niedere.
Foto: Jana Sabo/friendship.is

Wirklichkeit und gefühlte Wirklichkeit

Zuvor aber fahren wir mit dem Lift hinauf zur Bergkapelle Alpe Niedere, von der man weit über den Bodensee schauen kann. Ein bisschen ist das ein Ort fernab der Wirklichkeit und deswegen ist es nur logisch, dass einen die harte Realität ganz schnell wieder einholt: "Wovor fürchtest du dich?", lautet nämlich die Forschungsfrage der nächsten Diskussionsrunde. Wie könne es sein, fragt Moderatorin Alexandra Föderl-Schmid, dass die Kriminalität faktisch zurückgeht, gleichzeitig aber die Angst der Bürger – vor allem beim Thema Zuwanderung – zunimmt?

Soziologe Ferdinand Sutterlüty findet, politische Unzufriedenheit habe nichts mit Angst zu tun und überhaupt, "wir müssen nicht jede Angst akzeptieren", das führe nur zu politischer Instrumentalisierung. Ganz unschuldig seien sicher auch die Medien nicht, fügt Kurt Langbein hinzu, "die gefühlte Wirklichkeit ist eine gemachte". Stimmt, glaubt Franziska Seyboldt von der "taz", aber "die Leute wollen eben Drama", da könne man ja nicht nur Positives berichten. Wie es nach Chemnitz also weitergeht? Vielleicht, so hofft Sutterlüty, setze sich bald "die gewaltlose Kraft des besseren Arguments" durch. So kommt die Diskussion zum Ende und dann verliert sich der harte Boden der Realität langsam wieder unter den Füßen, die Paraglider hüpfen im Minutentakt vom Hang und die Klänge der Band Mynth verleiten zum Träumen.

Köhlmeier spricht mit Seiler
Ian Ehm / firendship.is

Köhlmeier spricht mit Seiler

Die Loks müssen heute draußen bleiben – die Wälderbähnle Remise in Bezau ist pickepacke voll, denn alle wollen den großen Autor Michael Köhlmeier sehen. Von einer gewissen Aufregung kann auch ich mich nicht ganz frei machen. Schmerzlich wird mir bewusst, wie wenig ich von seinem Gesamtwerk bisher gelesen habe. Gleichzeitig der Gedanke: Hoffentlich merkt das niemand. Ein Professor von mir sagte einmal, er gehe nur äußerst ungern in Büchereien, weil da könnte ihn jemand dabei ertappen, wie er einen Klassiker kauft. Verstehe ich. Ich meine, der Wille ist da, aber das Leben steht im Weg, diese ständigen Verpflichtungen. Oder das Internet, ja, das Internet ist schuld, dieses fake Dopamin. Aber Ruhe jetzt im Kopf, es geht los.

Christian Seiler, ehemaliger Chefredakteur vom "Profil", fragt, wie das denn sein könne: ein Autor, der gerne schreibt? Ja, wieso denn nicht, antwortet Köhlmeier, seitdem er 14 war, wollte er Schriftsteller werden, "da wäre ich ja ein Irrer, wenn ich das nicht gerne machen würde". "Schriftstellern ist wie die Verlängerung von im Sandkasten spielen". Wer Kinder dabei beobachte, der finde den gleichen Ernst bei der Sache. Ob er nicht Sorge habe, dass ihm irgendwann der Stoff ausgehe? Nein, "es gibt keinen hier, über den man nicht einen großen Roman schreiben kann". Es gehe weniger ums Thema, da reiche auch eine Autofahrt nach Dornbirn. Wichtiger sei das Können, etwas zu beschreiben und die Empathie mit den Figuren. Tolstoi, Thomas Mann, Philip Roth, das seien Vorbilder, da schaue er hin.

Die Gesprächspartner auf der Bühne.
Foto: Ian Ehm/firendship.is

"Dem Gedenken gerecht werden"

Eine Anekdote hier, ein Späßchen dort, so läuft das auf der Bühne, das Publikum lacht, es wird applaudiert und als einer vom Austreten auf seinen Platz zurück kehrt, ist auch der schmunzelnde Autor erleichtert, dass er ihm nicht weggelaufen ist. Dann wird’s politisch und wie Seiler nicht zu unrecht bemerkt, da ändert sich die Tonlage dann ein wenig. Natürlich geht es um Köhlmeiers Rede vor dem Parlament vom 5. Mai, in der er anlässlich des Gedenktags zur Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen durch amerikanische Soldaten, die "moralische Verkommenheit" der österreichischen Regierungsparteien aufdeckte.

Schon von dem Moment an, als die telefonische Einladung erfolgte, habe er gewusst, wie das werden wird, sagt Köhlmeier. "Was hätte ich denn sonst tun sollen?". Hätte er so tun sollen, als ob? Die ganzen zynischen Kommentare überhören? Dann wäre er sich unanständig vorgekommen. Außerdem: "Viele hier hätten das Gleiche gesagt". Und dass es daran nun wirklich gar keinen Zweifel gibt, das beweist der tosende Applaus, der danach durch die Remise hallt. Zum Abschluss findet das Gespräch dann nochmal den Weg zurück zur alten Leichtigkeit. Es sei an dieser Stelle nur soviel verraten: Witze erzählen kann Michael Köhlmeier auch. Einen erneuten, nicht enden wollenden Applaus, gibt's zum Dank. (Clemens Bruno Gatzmaga, 9.9.2018)

Der FAQ-Festival-Blog ist eine Medienkooperation zwischen DER STANDARD und friendship.is.

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