Der Moment des Anschlags wurde auf Video festgehalten.


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Es hat keine 30 Minuten gedauert, und die Nachricht von einem Messeranschlag auf den ultrarechten Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro verbreitet sich rund 35.000 Mal im Internet.

Seine Anhänger hatten unmittelbar nach dem versuchten Attentat ein Handyvideo online gestellt, auf dem zu sehen ist, wie der 63-Jährige schmerzverzerrt zusammenbricht und dann in Sicherheit gebracht wird. Bolsonaro und sein Team nutzen die sozialen Medien so sehr, wie sonst niemand im brasilianischen Wahlkampf – selbst wenn es um Leben oder Tod des eigenen Kandidaten geht.

Seine politischen Rivalen sagten nach dem Anschlag umgehend alle Wahlkampfveranstaltungen ab. Auch wenn es niemand offen aussprach: Sie befürchten, dass Bolsonaro jetzt noch mehr Zulauf und einen "Märtyrerbonus" bekommt. Denn Bolsonaro spaltet mit seiner menschenverachtenden Polemik wie kein anderer Politiker die brasilianische Gesellschaft. Bolsonaro, der mehrfach offen zu Gewalt aufrief, ist jetzt selbst Opfer eines Hassverbrechens geworden.

"Nur mehr Feinde"

Nach dem Wahlkampfaus von Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, der wegen Korruption und Geldwäsche zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, führt Bolsonaro mit rund 19 Prozent die Umfragen an. Allerdings werden ihm in einer möglichen Stichwahl wenig Chancen eingeräumt. "Bei dieser Wahl gibt es keine politischen Kontrahenten mehr, sondern nur Feinde", sagte der Politikwissenschafter Fabio Wanderley Reis.

Bolsonaro wurde nach dem Anschlag sofort in einem Krankenhaus in Juiz de Fora im Südosten des Landes notoperiert. Sein Zustand sei stabil, teilten danach die Ärzte mit. "Bedauerlicherweise war es schlimmer, als wir dachten. Auch die Leber, die Lunge und der Darm wurden verletzt. Er verlor viel Blut, erreichte fast tot das Krankenhaus", schrieb Bolsonaros Sohn Flávio auf Twitter.

Der offenbar verwirrte Attentäter wurde bereits von der Polizei festgenommen. Er sei von Gott geschickt worden, sagte er örtlichen Medien zufolge.

"Wer anderen Menschen den Tod wünscht, sollte nicht als Präsidentschaftskandidat antreten", kommentierte Expräsidentin Dilma Rousseff, die jetzt als Senatorin antritt, den Anschlag. Bolsonaro hatte einst gemeint, alle Mitglieder der linksgerichteten Arbeiterpartei PT sollten erschossen werden. Folter hält er ohnehin für legitim und die Militärdiktatur (1964 bis 1985) für die beste Zeit in Brasilien. Auch seine Verachtung gegenüber Homosexuellen und Farbigen hat er mehrfach öffentlich im Parlament kundgetan und dafür Bußgelder auferlegt bekommen. Einer Politikerin der Arbeiterpartei sagte er einst direkt ins Gesicht, sie habe es nicht verdient, vergewaltigt zu werden, "weil sie sehr hässlich ist". (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 8.9.2018)