Als jemand, der selbst zweisprachig aufgewachsen ist, weiß ich nur zu genau: Wenn das Thema Ausländer in der Luft liegt, neigt man zu Emotion. Die Kritik an den Deutschförderklassen ist heftig, obwohl der verantwortliche Minister Vizerektor für Forschung und Internationales war und die Klassen nur vorübergehend sind.

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Seit Jahren bezeugen Lehrer wachsende Lese- und Sprachprobleme der Schüler. Experten beharren darauf, dass getrennte Klassen wenig zielführend seien. Kinder würden die Sprache am schnellsten von Gleichaltrigen lernen. Sie tauchen in ein "Sprachbad" ein und saugen die Sprache auf wie einen Schwamm. Aber funktioniert das? Beobachtungen aus der Praxis:

Internationale Sprachbäder? Die Dosis macht das Gift

Ein türkeistämmiger Mann erzählt von seiner Schulzeit in den 90er-Jahren. "In der ganzen Schule waren nur ein paar Österreicher", sagt er. "Alle kannten sich. Alles Verwandte und Bekannte aus dem Dorf." In der Pause würden nur fünf Schüler auf Deutsch reden, sagt eine 14-jährige Schülerin einer NMS in Floridsdorf. Wenn es Kontakt mit den anderen gibt, klingt ihr Deutsch "komisch, wie Rapper reden". Das sind typische Erzählungen von Schülern, die in den vergangenen 20 Jahren in Wiener Haupt- beziehungsweise Neue Mittelschulen gegangen sind. Viele kennen sie.

Ist das Sprechen einer Sprache, die man weniger kompetent beherrscht, vielleicht nicht "cool" in der Pubertät? Klar ist, es gibt günstigere Klassenkonstellationen. Und natürlich kann man stets differenzieren. Je höher die Bildung der Eltern, desto weniger macht die andere Erstsprache aus. Es gibt Schüler mit Migrationshintergrund, die die fleißigsten Musterschüler sind. Die Lage in Wien erleichtert aber auch die Entwicklung des sogenannten Ghettodeutsch. "Machst du Lehre?" Eine reduzierte Sprache mit Fehlern plus Akzent, typisch für die "zweite Generation", die eine Wiener NMS durchlief. Populär beschrieben durch Ex-Lehrer und Autor Niki Glattauer. Auffällig ist, dass es eher Angehörige großer Migrantencommunitys betrifft.

In dieses "Sprachbad" will man Sprachanfänger zu ihrem Wohl schneller eintauchen lassen? Ein Sprachbad, das auch viele junge Frauen durchlebten, die Tätigkeiten mit Kindern anstrebten. Der Bedarf an Personal in Kindergärten, Schulen sowie Deutschkursen war schon 2011 derart groß, dass man Personal direkt aus östlichen EU-Staaten aufnahm. Pro Jahr würden 50 neue Volksschul- und NMS-Klassen sowie 30 neue Kindergartengruppen benötigt, sagte Bildungsstadträtin Sandra Frauenberger 2016. Es ist gut, dass in einer offenen Gesellschaft Herkunft kein Hindernis ist. Doch Sprachvermittlung ist ein heikler Bereich dafür. Speziellere Deutschkurse für die, die Fehler eingelernt haben, wären auch im Sinne der Arbeitsvermittlung nötig. Nicht nur für Sprach-Multiplikatoren.

Überforderung und Unterforderung stressen Schüler wie Lehrer

Lehrer erzählen, Schülern werde schnell fad, wenn sie den Unterricht sprachlich nicht verstehen. Manche schalten ab. Werden sie auch deshalb verhaltensauffällig? Stichwort ADHS & Co. Viele Kinder tun sich schon in ihrer Erstsprache schwer. Manche bräuchten mehr Zeit, sollten öfter wiederholen, aber die Klassen seien voll, heißt es. Erfahrungsgemäß reagieren Schüler auf Langeweile. Oft mit Widerstand. Eltern mit Schulwechsel. Die Sorge um die Zukunft der Kinder führt zu einer "versteckten" Segregation.

Ein NMS-Schüler: "Die Lehrer müssen fünf-, sechsmal etwas erklären." Das demotiviert nicht nur Lernwillige mit deutscher Muttersprache. Natürlich, unterforderte Schüler gab es immer. Lehrer berichten aber von wachsenden Leistungsunterschieden innerhalb der Klassen.

Die Sprachproblematik verschärft auch altbekannte disziplinäre Probleme. Maximale Heterogenität der Schüler trifft auf minimale Autorität der Lehrer. Viele Entwicklungen der letzten Jahrzehnte verstärken die genannten Trends. Die wachsende Zahl an zu Integrierenden in Zeiten einer liberalen, toleranten Gesellschaft. Internet in den Sprachen der Wahl.

Bildungsinteressierte weichen in Privatschulen aus

Manche fordern eine bessere Verteilung der Kinder. In den USA hat man es längst ausprobiert, Schulkinder über Bezirksgrenzen hinweg in andere Schulen zu schicken, genannt "Busing". Es führte nicht zu den erwünschten Ergebnissen, beschleunigte aber die "White flight": Die Mittelschicht wich in Privatschulen aus oder zog in Vororte.

Dementsprechend liest man in Österreich bereits von einem Privatschulboom. Übrigens weichen gerade bildungsinteressierte Zuwanderer dem hohen Ausländeranteil aus. Die typische Erklärung eines Türkeistämmigen: "Meine Kinder gehen auf eine katholische Privatschule, damit sie gut Deutsch lernen." Die Mutter der oben genannten 14-Jährigen schickte ihre Tochter ein Jahr an eine Privatschule. Solche Trends setzen ökonomisch Schwächere unter Druck. Dieses Misstrauen wird genährt. 2010 hieß es, Migranten seien nicht schuld am Pisa-Absturz. 2012 gab es wieder Tests, und alles war anders. Glattauer meinte, die schlechten Pisa-Ergebnisse der Wiener Schulen würden nur bestätigen, "was wir seit Jahren wissen", und schrieb das Buch "Die Pisa-Lüge".

Das bisherige integrative Modell hat Verdrängungsprozesse zumindest beschleunigt. "Ausländerkinder" landen auffällig oft in Sonderschulen. Immer mehr Menschen mit deutscher Muttersprache oder hohem Bildungsinteresse schicken ihre Kinder in Gymnasien oder Privatschulen. Die Neuen Mittelschulen werden von Lehrern offen als "Ausländerschulen" bezeichnet. Wieso wird diese "Segregation" so ruhig hingenommen?

Dabei wäre Schule der beste Ort für Integration. Wo Neuankömmlinge nicht nur von sprachlichen Vorbildern lernen. Vielfalt, Inklusion klingen schön. Doch auch eine Gesellschaft, die von Grenzenlosigkeit träumt, kann an ihre Grenzen kommen. (Margarita Schubert, 10.9.2018)