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Proteste und Demonstrationen wie diese Kundgebung in Buenos Aires in der Vorwoche stehen in Argentinien derzeit auf der Tagesordnung.

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Puebla / Buenos Aires – Geplünderte Supermärkte, lange Schlangen vor Wechselstuben – die Bilder aus Argentinien wecken Erinnerungen an den Finanzkollaps vor 17 Jahren. Um ein Fünftel stürzte der Peso seit der Wochenmitte ab, erst am Freitag stabilisierte er sich bei 39 Pesos pro Dollar. Zu Jahresbeginn lag der Kurs noch bei eins zu 18. Für den liberal-konservativen Präsidenten und Unternehmer Mauricio Macri, der Wachstum und mehr Arbeitsplätze versprochen hat, ist dies die schwerste Prüfung seiner bisher dreijährigen Amtszeit. Droht Argentinien ein Kollaps wie zum Jahreswechsel 2001/2002, als der Präsident abtreten, das Land die Währung vom Dollar entkoppeln, Bankguthaben einfrieren und die Zahlungsunfähigkeit erklären musste?

Experten sind uneins. Wohlwollende Kritiker sagen, Macri habe seine Wirtschaftsreformen bloß schlecht erklärt. Pessimisten sehen bereits Unsicherheit, Inflation, wenn nicht einen neuen Default am Horizont. "Die Aussichten sind düster", so Carlos Caicedo, Lateinamerika-Direktor beim Analysehaus IHS Markit. "Der Wertverlust des Peso facht die schon bei 30 Prozent liegende Inflation an, und wahrscheinlich werden höhere Zinsen und die mit dem IWF vereinbarten Haushaltskürzungen zu einer Rezession führen." Märkte und Bevölkerung hätten das Vertrauen in ein konfus agierendes Kabinett verloren.

Ratlosigkeit wie 2001

Die Ratlosigkeit der Regierung erinnere an den Herbst 2001, schreibt der Kommentator Martin Granovsky in der linken Zeitung Pagina12. Doch es stünden noch keine Kongresswahlen an, die wie damals die Mehrheitsverhältnisse umstülpen könnten. Und die peronistische Opposition sei zerstritten und ohne klare Strategie für einen Machtwechsel. "Das gibt Macri trotz des enormen sozialen Unmutes etwas Luft." Die Zentralbank ist außerdem mit 55 Milliarden Dollar Reserven noch gut gepolstert. Doch der Wechselkurs verteuert den Schuldendienst erheblich. Und langsam gehen Macri die Werkzeuge aus, um die Konjunktur zu stützen und den Peso zu stabilisieren. Am Sonntag wurde bekannt, dass er laut Medienberichten bis zu 13 Ministerien abschaffen oder zusammenlegen will.

Der Weltwährungsfonds (IWF) gewährte bereits eine Kreditlinie von 50 Milliarden Dollar, die nun schneller als geplant ausgezahlt werden soll. Aber das Geld ist nicht gratis. Unter anderem verlangt der IWF, dass der Staatshaushalt bis 2020 ausgeglichen sein muss. Ein politischer Kraftakt für Macri, der Kürzungen im Kongress und mit Gouverneuren aushandeln muss. Von Unternehmerseite kommt ebenso Kritik, etwa an der Anhebung des Leitzinses auf Rekordhöhe von 60 Prozent. "So ein Unsinn", kritisiert Cristiano Rattazzi, Chef von Fiat Argentinien, den Schritt. "Solch brüske Eingriffe sind improvisiert und schüren die Unsicherheit", pflichtete der Präsident des Industrieverbandes, José Urtubey, bei.

Rückkehr an FInanzmärkte "ein Fehler"

Ganz andere Töne als zu seinem Amtsantritt, als Macri der Liebling der Finanzmärkte und Unternehmer war. Er tat, was in den ökonomischen Lehrbüchern stand, obwohl es ihm Popularität kostete und die Armutsrate auf fast 30 Prozent trieb: Er strich Subventionen für Strom, Wasser und Transport, um Haushaltsdefizit und Inflation einzudämmen. Er trieb Privatisierungen im Energiesektor voran, senkte Zölle wie die Exportsteuer auf Soja und brachte Argentinien zurück an die Finanzmärkte, von denen das Land nach dem Default 2002 abgeschnitten war. "Das war ein Fehler", so der Ökonom Andrés Asiain. Das habe spekulatives Finanzkapital angezogen, und durch die mit dem IWF vereinbarte Freigabe des Wechselkurses sei der Devisenmarkt zur Zeitbombe geworden.

Auch die Argentinier scheinen den Glauben an ihre Regierung zu verlieren. Seit Wochen demonstrieren Zehntausende – für ein Abtreibungsgesetz oder höhere Löhne. Für den 25. September planen die Gewerkschaften einen Generalstreik. Vertieft wird die Krise dadurch, dass die oppositionelle peronistische Partei in den Startlöchern für den Wahlkampf 2019 steht und Auftrieb bekommt. Das sorgt ebenfalls nicht für eine Beruhigung der Investoren, sind die Peronisten doch bekannt für ein Aufblähen der Staatsausgaben. (Sandra Weiss, 2.9.2018)