Bald darf man nicht mehr in den Öffis essen. Im Wald aufs Klo gehen und Alkohol trinken, wo man will, wird auch getadelt. Leben wir in einer No-Go-Gesellschaft?

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Am Anfang waren die Zehn Gebote: JHWH hat sie den jüdischen Texten zufolge auf dem Berg Sinai an Moses übergeben. Inhalt: Gebote und Verbote, um das Zusammenleben zu reglementieren. Diese Gebote – das Tötungsverbot oder die Ehrung der Ehe – waren grundlegend für die Kulturgeschichte der westlichen Welt und prägen sie bis heute.

Fast 3000 Jahre später erlebt die Kulturgeschichte Wiens aufgrund eines erneuten Verbots eine Zäsur: Am 1. September ist es in der U6 nicht mehr erlaubt, Speisen zu sich zu nehmen – und ab 15. Jänner 2019 wird das Essverbot auch in allen anderen U-Bahn-Linien eingeführt. "Du sollst nicht in der U-Bahn essen", heißt es dann für die Wienerinnen und Wiener. Anfangs wollte man noch stinkende Döner und unwohl duftende Leberkässemmeln verbannen, nun greifen die Götter der Wiener Linien härter durch und verbieten gleich alle Speisen.

"Du sollst nicht" anstatt "Du darfst"

Die Verbotskultur fällt in der heutigen Gesellschaft auf immer fruchtbareren Boden. Anfänglich kleine Gebote werden schnell zu drakonisch bestraften Verboten: Alkohol wird generell nirgendwo mehr gern in der Öffentlichkeit gesehen, Hunde dürfen nur mehr an ausgewählten Plätzen geführt werden, Kinder werden von Restaurantbesitzern vor die Tür gesetzt, den Schal darf man seit Herbst vergangenen Jahres nicht allzu weit ins Gesicht geben, Kaugummis dürfen um Gottes willen nicht auf den Boden gespuckt werden, und Burkinis sind in Freibädern ein Schreckgespenst.

Nichts geht mehr, No-Go ist das neue To-Go-Verhalten. Besonders in Städten treiben Verbote ihre Blüten – aber bedarf es überhaupt so vieler, die von Jahr zu Jahr hinzukommen? Klärt nicht der Hausverstand gewisse Probleme innerhalb einer Gesellschaft? Diejenigen, die stinkendes Essen in den Öffis verspeisen, sind nicht die bestimmende Masse, und wenn es fröstelnd kalt draußen ist, warum sollte man sich nicht das Gesicht mit dem Schal verdecken dürfen, bevor die Nase abfriert?

Gesellschaften gibt es seit Anbeginn der Zivilisation – mit mehr oder mit weniger Verboten. Brauchen wir wirklich so viele davon? Machen sie alles besser? Könnte man nicht mit weit weniger Verboten auch gut leben? Vielleicht sollte es ja ein elftes Gebot geben: "Du sollst nicht so viel verbieten!"

Ihre Meinung?

Leben wir in einer Verbotsgesellschaft? Welches Verbot würden Sie sofort abschaffen und welches würden Sie einführen? (rec, 31.8.2018)