Michael Ludwigs Herz schlägt auch im Trachtenspenzer für Wien.

Christian Fischer

Stationen eines Bürgermeisterdaseins: Schäkern mit Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou...

Foto: APA / Georg Hochmuth

...Prosten mit dem freiheitlichen Vizekanzler Heinz-Christian Strache...

Christian Fischer

...Abchecken von SPÖ-Chef Christian Kern...

Foto: APA / Georg Hochmuth

...und Einwässern mit Stadträtin Ulli Sima beim Donauinselfest.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wien – Viele Abendtermine und das eine oder andere Achterl Wein gehören wohl zur Job-Description eines Wiener Bürgermeisters. Selbst wenn Michael Ludwig anders als sein Vorgänger Michael Häupl einen Spritzer nicht als sein Lieblingsgetränk bezeichnet. Der Körper braucht da hie und da Erholung. Ludwig machte in seinem Sommerurlaub heuer eine Diät. "Es ist nicht schlimm, man überlebt es", scherzte er am Rande des Neu stifter Kirtags am vergangenen Wochenende in Anspielung auf seine Kurzzeitaskese. Er verbrachte einige Tage "in Aussee", die restliche Zeit war Ludwig in Wien.

Kein populistisches Politikerpoltern

Am kommenden Freitag sind es hundert Tage, die der Floridsdorfer als Bürgermeister im Amt ist. Davor war er bereits elf Jahre lang Wohnbaustadtrat in Wien. Termine wie jener in Neustift sind kein neues Feld für ihn. Freundlich schüttelt er Kirtagsgästen die Hände. Ludwig beherrscht das Bad in der Menge, der 57-jährige studierte Historiker plaudert mit dem Maurer genauso auf Augenhöhe wie mit der Studentin. Populistisches Politikerpoltern ist nicht zu vernehmen. Wohin es im Sommerurlaub ging, ist das dominante Smalltalkthema bei lockerer Atmosphäre in Lederhose und Dirndl. Mit einem Spritzer in der Hand ernsthaft über das Alkoholverbot am Praterstern zu sprechen wäre auch nicht ganz passend gewesen.

Dabei ist der Alkoholbann Ludwigs bisher wohl bekannteste Tat. Die ersten Monate waren ansonsten mehr von Ankündigungen ohne nähere Details geprägt. So sollen langjährige Wiener von der Stadt bevorzugt behandelt werden – wie bei der Vergabe von Sozialwohnungen. Wo dieser "Wien-Bonus" noch Niederschlag findet, ist offen – ebenso die Umsetzung der Donaubühne für Kulturevents in Wien-Donaustadt oder die geplante Multifunktionshalle.

Strengere Regeln

Das innerparteilich umstrittene Alkoholverbot am Praterstern hat Ludwig noch vor seiner offiziellen Wahl zum Bürgermeister am 24. Mai durchgesetzt. Die Maßnahme hat gezeigt, in welche Richtung die Reise mit Ludwig an der Spitze in der Hauptstadt gehen wird: Die Wiener müssen sich künftig auf strengere Regeln einstellen.

Erst vergangene Woche wurde öffentlich, dass ab Anfang September ein Essverbot ohne Einschränkungen in der U6 gilt. Mitte Jänner 2019 wird diese Vorschrift auf die anderen U-Bahn-Linien ausgeweitet. Interessant ist, dass die neuen Regelungen in den U-Bahnen sowie am Praterstern nicht von Bürgermeister Ludwig, sondern von Ulli Sima verkündet wurden. Unter kritischen Parteifunktionären firmiert Sima bereits unter "Verbotsstadträtin".

Zudem wurde ein Kopftuchverbot in Kindergärten und Schulen innerhalb der Wiener SPÖ kontrovers erörtert. Parteimanagerin Barbara Novak, eine Vertraute Ludwigs, sprach sich klar für ein Verbot – samt Begleitmaßnahmen – aus. Der am Freitag von der Bundesregierung präsentierte Entwurf der Bund-Länder-Vereinbarung zur Kinderbetreuung sieht ein Kopftuchverbot in Kindergärten vor. Bei einer Einigung ist dieses auch in Wien umzusetzen – obwohl sich Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky in seiner Stellungnahme zum Regierungsvorhaben dagegen ausgesprochen hat.

Ordnung und Sicherheit im Fokus

Die Law-and-Order-Mentalität, die die türkis-blaue Bundesregierung vor allem bei Asyl und Zuwanderung an den Tag legt, heißt im Ludwig-Sprech "Ordnung und Sicherheit" und soll in Bereichen, wo der soziale Zusammenhalt gefährdet ist, seinen Niederschlag finden. Weitere Regeln und Verbote dürften unter Ludwig, der eine "Hausordnung für Wien" anpeilt, also kommen. Denn "wenn es Spielregeln gibt, muss es auch Sanktionsmöglichkeiten geben", sagte der Neo-Bürgermeister im Antrittsinterview dem STANDARD.

Beispiele sind ein Alkoholverbot rund um den Floridsdorfer Bahnhof, strengere Regeln auf dem Reumannplatz oder schärfere Kontrollen von (islamischen) Kindergärten. Das Kalkül dahinter: das Thema Sicherheit nicht Türkis-Blau zu überlassen – und Wechselwähler anzulocken.

Kritik am "Stilbruch" mit der Häupl-Ära

In Teilen der Partei, in der nach der Kampfabstimmung zwischen Ludwig und Andreas Schieder noch immer die Wunden geleckt werden und Harmonie quasi ein Fremdwort ist, stößt der Fokus auf Ordnung und Sicherheit auf Unverständnis. Von einem "Stilbruch" mit der Häupl-Ära ist im geschwächten linken SPÖ-Flügel die Rede, ein Funktionär spricht hinter vorgehaltener Hand von einer "Angry-White-Men-Politik". Junge, urbane, weltoffene Wähler würden vergrault werden. "Von einer Einigkeit der Partei ist keine Spur."

Auf der Gegenseite heißt es hingegen, dass es mehr ordnungspolitische Regeln in Wien brauche. "Die Leute wollen das." Ludwig habe mit seinen Schwerpunkten und der Auswahl seines neuen Teams "alle Teile der Partei mitgenommen". Nach der Präsentation im Mai kam viel Lob – etwa für die unkonventionelle Veronica Kaup-Hasler als Kulturstadträtin oder Peter Hacker als Sozial- und Gesundheitsstadtrat.

Gemeinsamer Widersacher heißt Türkis-Blau

Dass die schütter verdeckten Gräben in der Wiener SPÖ zumindest öffentlich nicht wieder aufbrechen, ist dem gemeinsamen Widersacher des linken und rechten Parteispektrums, der türkis-blauen Bundesregierung, zu verdanken. Die Taktik Ludwigs unterscheidet sich aber gehörig von bisherigen Häupl’schen Gepflogenheiten. So prostete Ludwig im Trachtenspenzer beim Neustifter Kirtag auch Heinz-Christian Strache, dem freiheitlichen Vizekanzler und Wiener FPÖ-Chef, vor Fotografen freundlich zu. Symbolische Abgrenzung sieht anders aus.

Die hat der stets zuvorkommende Ludwig im Umgang mit Funktionären aller Couleurs aber auch nicht im Sinn. Mit Walter Ruck, seit 2014 Chef der Wiener Wirtschaftskammer, pflegt der Stadtchef seit mehr als zehn Jahren eine gute Zusammenarbeit. "Ludwig ist sehr konsensorientiert", lobt Ruck das Tun des Bürgermeisters. Während hochrangige ÖVP-Politiker in Wahlkämpfen gerne das Bild von Sodom und Gomorrha für Wien zeichnen, sagt Ruck dem STANDARD: "Wien ist eine wunderbare Stadt. Ich möchte in keiner anderen leben."

Rot-grüne Probleme

Bei großen Infrastrukturvorhaben wie dem Lobautunnel oder der dritten Piste am Flughafen Wien-Schwechat oder dem Nein zur City-Maut sind Rot und Schwarz sowieso auf einer Linie – was freilich den grünen Regierungspartner von Ludwig vor erhebliche Probleme stellt. Denn dieser vertritt einen völlig anderen Standpunkt als Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou.

Plangemäß wird zwar erst 2020 gewählt. Die Krise und die damit verbundene Neuaufstellung der Wiener Grünen könnten aber zu einer Eigendynamik führen und die Koalition frühzeitig sprengen. Das würde auch so manche Rote vor allem in den Flächenbezirken freuen, die mit den Grünen lieber heute als morgen Schluss machen wollen. Noch hält Ludwig dem Pakt aber die Treue: Er sieht "keinen Grund, die Koalition frühzeitig zu beenden", sagte er vergangene Woche. Auch Ludwig hat noch genug Arbeit vor sich, die Partei hinter sich zu einen und Wahlkampfpower aufzubauen.

Nötig ist dafür auch die Unterstützung der Bundes-SPÖ. Diese sucht derzeit ihre Rolle in der Opposition. Beim Richtungsstreit auf Bundesebene hält sich Ludwig bis jetzt zurück. Ludwig kann aber besser mit Hans Peter Doskozil als mit Christian Kern, so viel steht fest. Der Burgenländer sitzt in einer Landesregierung mit den Blauen.

Mit Strache verbindet Ludwig zumindest schon der körperliche Abspeckplan. Der gab beim Neustifter Kirtag nämlich ebenfalls an, auf Diät zu sein. (David Krutzler, Rosa Winkler-Hermaden, 25.8.2018)