Ahmad Mansour will "Klartext" zur Integration – ohne Panikmache, aber auch ohne falsche Toleranz.

APA/dpa/Maurizio Gambarini

Die gesamte Integrationsdebatte scheint vor allem in den Außenbezirken der politischen Links-rechts-Landschaft stattzufinden - als ob es keine Mitte mehr, auch für den politischen Diskurs darüber, gäbe. Der Psychologe Ahmad Mansour, in einem arabischen Dorf in Israel aufgewachsen und seit 2004 in Deutschland lebend, will mit seinem neuen Buch "Klartext" über die Integration reden und das Thema in die Mitte der Gesellschaft holen. Nicht zur Freude aller: "Einen Araber wie mich mögen manche Leute nicht mehr." Die Drohungen gingen so weit, dass er zeitweise unter Polizeischutz stand.

STANDARD: Rechte oder populistische Parteien nutzen das Thema Integration – nicht unerfolgreich – als Mobilisierungsmotor, linke Parteien wiederum tun sich irgendwie schwer damit. In Österreich etwa kämpfen in der SPÖ zwei Flügel um den Stellenwert des Migrationsthemas in der Parteiagenda. Wie erklären Sie diese Gemengelage?

Mansour: Zuerst will ich ganz klar sagen: Europa hat ein Rassismusproblem, und es hat ein Problem mit Rechtsextremismus. Aber nicht alles, was als rechts reklamiert wird, ist auch rechts. Es gibt eine absolut legitime Kritik, die man äußern darf und muss, und ich finde es sehr gefährlich, dass jegliche Kritik an der Migrations- und Integrationspolitik als rechts oder rassistisch bezeichnet wird. Das haben wir in Deutschland gerade erlebt, was passiert, wenn jemand "Rassismus! Rassismus!" schreit. Dann ist man nicht mehr in der Lage, sachlich und zu Recht über Mesut Özils Foto mit einem Diktator, dem türkischen Präsidenten Erdogan, zu reden. Fatal finde ich auch, dass diese Debatten von den Rändern der Gesellschaft geführt werden und man nicht mehr differenziert über das Thema reden kann.

STANDARD: Wie würden Sie den Begriff "Integration" jemandem, der noch nie davon gehört hat – sagen wir einem nichtalphabetisierten jungen Mann aus Afghanistan, der nach Österreich gekommen ist -, erklären?

Mansour: Ich glaube nicht an Integrationskurse mit Frontalunterricht. Da sagt die Lehrerin etwas, und alle nicken. Mein Team und ich haben alle Migrationshintergrund, wir kennen die Themen und Ängste dieser Menschen und versuchen sie anzusprechen. Es geht vor allem um vier Themen, die Schwierigkeiten in der Integration bereiten, wo die meisten Probleme haben: patriarchalische Strukturen und Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit, Antisemitismus und Religionsfreiheit und ihre Grenzen.

STANDARD: Was ist das Ziel?

Mansour: Wir müssen Dialogplattformen schaffen, wo den Menschen die Ängste genommen werden sollen, wir ihnen aber auch klarmachen, was wir von ihnen erwarten. Wir erwarten nicht, dass sie ihre Kultur aufgeben, aber dass sie ihre patriarchalischen Strukturen aufgeben. Überspitzt formuliert will ich überall auf den Flüchtlingsrouten Plakate haben, auf denen steht: "Herzlich willkommen in Europa! Ihre Rechte sind A, B, C und D. Das alles können Sie hier machen, und wir werden Ihnen helfen, sich zu integrieren. Aber passen Sie auf: Sexuelle Selbstbestimmung ist auch Teil von Europa, nicht nur Sozialhilfe, Religionsfreiheit, eine Wohnung oder Arbeitslosengeld. Ihre Tochter, lieber Mensch, darf mit 18, wenn sie das will, Sex haben, ohne verheiratet zu sein. Sie dürfen sauer sein, aber sie dürfen nicht verhindern, dass ihre Tochter ihr selbstbestimmtes Leben lebt." Wo findet diese klare Kommunikation derzeit statt? Nirgendwo.

STANDARD: Sie plädieren für ein System mit Belohnungen und Sanktionen.

Mansour: Vorweg klargestellt: Ich bin nicht für einen Polizeistaat. Ich bin dankbar, in einer Demokratie zu leben, wo ich mit Polizisten reden kann und nicht mit einem Stock geschlagen werde. Aber wir dürfen die gesellschaftlichen Sozialisationen der Menschen, die zu uns kommen, nicht vergessen. Leute aus Afghanistan oder Syrien sind in Kulturen aufgewachsen, wo die Familie und das Regime die Gesellschaft absolut patriarchalisch und sehr autoritär dominieren. Dann kommen sie hierher und merken, dass der Staat ganz anders funktioniert. Das führt bei vielen dazu, dass sie uns als sehr schwach wahrnehmen. Erinnern wir uns an die Kölner Silvesternacht 2015. Da stand jemand vor Polizisten und sagte: "Du kannst mich mal." So geht das nicht. Diese Menschen sollen dankbar sein, dass sie endlich in Europa sind. Das zu ändern bedeutet nicht, einen Polizeistaat einzuführen, aber unsere Gesetze so auszuschöpfen, dass die Leute merken, dass ihr Verhalten Konsequenzen hat. Wir brauchen, wenn es um Einbürgerung geht, nicht nur ein gewisses Deutschniveau, den Besuch eines Integrationskurses oder einen Test, für den 300 Fragen auswendig gelernt werden wie in Deutschland, sondern ich will schauen, ob der Vater eines Kindes kooperativ mit der Schule arbeitet, ob seine Tochter am Schwimmunterricht teilnimmt, und wenn nicht, müssen wir ihn sanktionieren. Während wir Menschen, die sich Mühe geben, die Sprache zu lernen, die arbeiten als Vorbilder belohnen müssen, indem sie einen Aufenthalt bekommen. Jetzt werden oft die Falschen abgeschoben, nur wegen ihrer Herkunft, etwa weil sie aus Afghanistan kommen. Wir brauchen Wege aus dem Asyl für jene, die eine Integrationsleistung erbringen.

STANDARD: Dass Sie für ein Kopftuchverbot für Kinder sind, wissen unsere Leserinnen und Leser, seit Sie 2016 im STANDARD-Interview sagten: "Ein Kind mit Kopftuch ist Missbrauch." Was aber entgegnen Sie einer Frau, die selbst Kopftuch trägt und sagt: Ich mache das freiwillig, ich empfinde es als Bevormundung, wenn mir ein Mann, egal ob Muslim oder nicht, oder wer immer, vorschreiben will, was ich anziehe, oder wenn sie es als Teil ihrer religiösen Freiheit argumentiert?

Mansour: Religiöse Freiheiten haben auch Grenzen. Wo das Wohl des Kindes beeinträchtigt ist, darf der Staat das letzte Wort haben. Kein Vater kann sagen: Im Koran steht, dass ich mein Kind schlagen darf. Da wird niemand sagen, das sei Teil seiner religiösen Freiheit. Das Kopftuch schränkt Kinder in ihrer Entwicklung absolut ein, indem ihre Haare und ihr Körper zu einem Sexualobjekt werden, den man bedecken soll. Ich höre das mit der Freiwilligkeit täglich, aber dann soll mir diese Mutter bitte sagen, wieso sie Kopftuch trägt. Nicht nur aus Identitätsgründen, das ist vor allem sehr klar argumentiert in ihrer Religion, dass die Frau ihre Reize bedecken soll, und wenn sie das nicht tut, ist das eine Sünde. "Freiwillig" ist auch, wenn nicht der Mann oder Vater das erzwingt, sondern ein patriarchalisches Gottesbild. Als in Deutschland viele Männer auf #NichtOhneMeinKopftuch twitterten, hat sich interessanterweise niemand aufgeregt, dass Männer Frauen sagen, was sie zu tragen haben.

STANDARD: Sie fordern eine mutige innerislamische Debatte. Welche Rolle spielt dabei Religionskritik in der Tradition der Aufklärung? Ist sie der neuralgische Punkt, an dem sich die schärfsten Konflikte entzünden?

Mansour: Es entsteht keine Demokratie und keine Aufklärung, wenn keine Religionskritik ausgeübt wird. Religionskritik ist kein Rassismus. Religionskritik ist Teil der DNA Europas und seiner Entwicklung. Die Leute kommen zu uns, weil sie Sicherheit, Wohlstand und bessere Gesundheitssysteme suchen, Technik nutzen und die besten Handys haben wollen, vergessen aber, dass das alles Errungenschaften der Aufklärung sind. Die entstand, weil Menschen Kritik an Autoritäten und der Kirche geäußert haben. Und jetzt kommen die gleichen Leute, die eigentlich in der linken Szene Vorreiter der Religionskritik und der sexuellen Aufklärung waren, und ticken aus, wenn man einen Text nicht gendert, und wollen uns Burka und Kopftücher als Feminismus und Ausdruck von Freiheit verkaufen. Das ist Doppelmoral und ist nicht die Linke, die ich schätze. Diese Entwicklungen bringen Europa nicht weiter in der Aufklärung, sondern werfen es wahrscheinlich hunderte Jahre zurück, wenn es so weitergeht.

STANDARD: Welche Rolle können oder sollen die Moscheen und muslimischen Verbände im Integrationsprozess spielen? Es heißt ja auch oft, nach der Flucht seien Moscheen für viele auch Zufluchtsorte, die Vertrautheit bieten.

Mansour: Mir ist kein anderer Kontinent, kein anderes Land bekannt, das seine Gegner so reichlich finanziert. Diese Gemeinschaften sind verantwortlich für die Entstehung von Parallelgesellschaften und Radikalisierung – und die sollen Neuankommenden integrieren? Da ist die Katastrophe vorprogrammiert. Die starken Moscheevereine sind jene, die von außen gesteuert und finanziert werden, aus der Türkei, Saudi-Arabien, Katar. Die predigen kein fortschrittliches Islamverständnis. Die sind kein Partner in der Integration. Sie sind Mittäter. In den meisten Moscheen gibt es ein konservatives Islamverständnis, das die Menschen nicht zu Demokraten und vor allem nicht mündig macht. Wir brauchen aber mündige Menschen, sie sind das Immunsystem gegen Radikalisierung. Man vergisst immer die 70 Prozent der Muslime, die unter uns leben und nicht von den Moscheen und islamischen Verbänden vertreten werden. Diese Menschen haben in der Islamdebatte keine Stimme mehr. (Lisa Nimmervoll, 22.8.2018)