2014 schlossen sich in Deutschland etliche junge Politaktivisten zusammen, um gemeinsam gegen rechte und rechtsextreme Aktivitäten im Internet vorzugehen. Unter dem Namen "Hooligans gegen Satzbau" versuchen sie, über die sprachlichen Strategien aufzuklären, mit denen man Hass und Hetze verbreitet. Ihr erstes, aus diesen Aktivitäten resultierendes Buch rangiert hoch oben in den deutschen Bestsellerlisten und hat Promis wie Jan Böhmermann unter den Fans. Weil die "Hooligans" massiv bedroht wurden, agieren sie, wie in diesem Interview, unter Pseudonymen wie "Kiki" oder "Grafikhool".

Foto: Illustration aus dem besprochenem Band

STANDARD: "Der Triumph des Wissens" ist euer erstes Buch. Auf Facebook entlarvt ihr Hass und Hetzerei mit Witz und Ironie. Wie schwer war es, ein Konzept für ein Buch zu entwickeln?

Kiki: Wir hatten schon im ersten Jahr unserer Aktivität Anfragen von Lehrern, ein Buch zu machen. Die fanden die flockige Art gut, wie wir gegen Hass im Internet vorgehen. Wir haben ein Skript von zehn Seiten erarbeitet, das allerdings noch Die Endlösung der Dudenfrage hieß. Damit haben wir uns an einen Schulbuchverlag gewandt, von dem es aber eine Abfuhr gab.

Grafikhool: Dann ist das Ganze erst einmal in der Schublade verschwunden. Wir wussten, dass die Zeit für solch ein Buch kommen wird. Und tatsächlich meldete sich irgendwann Moritz Kirschner vom Kunstmann-Verlag und fragte, ob wir Lust hätten, ein Buch zu machen. Wir haben dann das Skript aus der Schublade geholt. Und Moritz sagte nur: Das ist es. Schließlich ist es kein reines Arbeitsheft geworden, sondern eine Art Mitmachbuch.

STANDARD: Was bedeutet das: ein Mitmachbuch?

Kiki: Es sollte eben kein Grammatik- und Rechtschreibbuch werden, in dem wir Deutschkenntnisse nutzen, um Rechtspopulismus zu entmystifizieren. Es soll häppchenweise Geschichtskenntnisse vermitteln, vor allem aber soll es helfen, die zynische und entmenschlichte Denke der Rechten zu entlarven.

Grafikhool: Wir wollen mitmenschliche Kompetenz vermitteln. Denn genau die ist in den sogenannten sozialen Netzwerken völlig erodiert. Ich stürme ja auch im realen Leben nicht in einen Friseurladen und schreie die Leute da an, beleidige sie oder drohe ihnen gleich Schläge an. Genau das aber passiert auf Facebook oder in den Kommentarspalten der Medien. Wir haben uns mit unserer eigenen politischen Agenda sehr zurückgehalten. Es ist zwar ein großes Wort, aber das Buch soll tatsächlich so etwas wie Werte vermitteln. Das Buch, so haben wir getextet, ist ein "Fackelmarsch der Vernunft in dunkeldeutschen Zeiten". Wir wollen also zur Vernunft zurück. Dazu gibt es in dem Buch ein bisschen Ethikunterricht, ein bisschen was aus der Politikwissenschaft oder aus der Soziologie. Wir zeigen, wie Rechtspopulisten Ängste nutzen und schüren, wie sie Wahrheiten verdrehen, wie man stramm rechten Jargon erkennt, wo freie Meinungsäußerung aufhört.

Kiki: Das machen wir eben spielerisch. So muss der Leser etwa entscheiden, was er auf seiner Flucht mitnimmt, wenn es zu einem Bürgerkrieg in Deutschland kommt. Oder anhand von echten Facebook-Kommentaren erkennen, wann es sich um einen Strafbestand der Volksverhetzung handelt. Wir wollen, dass die Leute sich selbst hinterfragen – gerade diejenigen, die das Deutsche über alles erheben, deren Wissen über die deutsche Kultur aber häufig sehr minimal ist und deren Gebrauch der von ihnen in den Himmel gehobenen deutschen Sprache oft wirklich abgrundtief schlecht und daneben ist.

STANDARD: Warum ist die Sprache im Netz derart enthemmt?

Kiki: Im Netz fehlt komplett die soziale Kontrolle. Es gibt nicht den Nachbarn, der dich kennt und der es deinem Vater steckt, wenn du Mist gebaut hast. Man traut sich unter dem Mantel der Anonymität, viel heftigere Dinge zu sagen. Solche Sachen wie "Du gehörst vergast" sind schneller geschrieben als gesagt, vor allem dann, wenn dich niemand kennt.

STANDARD: Ist die Anonymität also daran schuld, dass manche derart entgleisen?

Grafikhool: Die Anonymität im Netz kann keine Entschuldigung dafür sein, dass man sich wie ein Arsch aufführt. Da muss noch etwas anderes sein, was bei den Leuten schiefläuft.

Kiki: Ich glaube, dass viele das nicht mehr empathisch verstehen, wenn sie im Netz jemanden beleidigen, wenn sie Gewalt androhen oder zum Mord aufrufen. Die hauen im Affekt alles raus. Dazu werden sie von rechten Politikern ermutigt, die die sprachliche Hemmschwelle immer weiter nach unten drücken. Zudem wird der Diskurs von Trollen verschärft. Die Hetzer im Netz glauben, dass man Wörter rumschubsen kann, wie man will, dass sie von ihrer ureigenen Bedeutung abgekoppelt werden können. Was natürlich Blödsinn ist. Die Leute, die sich so im Netz benehmen, sind erschreckend abgestumpft.

Grafikhool: Und es besteht die Gefahr, dass sie manche Abgestumpftheit und manchen Hass, die sie im Netz kultiviert haben, in die reale Welt tragen und ein Flüchtlingsheim anzünden. So geben wir auch eine spielerische Hilfestellung, wie man zu dem Geschriebenen nicht nur eine inhaltliche Beziehung herstellen kann, sondern vor allem eine emotionale.

STANDARD: In der Zeit vor dem Internet hat man das soziale Miteinander ganz normal zu Hause bei den Eltern, auf der Straße oder in der Schule gelernt. Müssen die Älteren heute ran, um den Jüngeren auch das soziale Miteinander im Netz stärker zu vermitteln?

Kiki: Wir treffen im Netz auf viele ältere Leute, vor allem im Umfeld der AfD. Und die – so unsere Erkenntnis – lernen gerade von den Jüngeren, wie man richtig trollt, wie man sich im Netz danebenbenimmt, wie Hasspostings möglichst effektiv verfasst werden.

Grafikhool: In diesem Umfeld ist das Netz eine Lernstube für das asoziale Miteinander – und zwar generationsübergreifend. Das kann man auf Facebook gut nachverfolgen, wenn man sich durch die offenen Profile klickt und feststellt, dass nicht nur Papa hetzt, sondern auch Sohn oder Cousine.

STANDARD: Ihr habt 2016 den Smart Hero Award zurückgegeben, weil ihr der Meinung wart, dass Facebook nicht genug gegen Hetzer und Hass tut. Hat sich da mittlerweile etwas geändert?

Kiki: Sicher kann Facebook noch viel mehr machen. Auch das Löschen von Kommentaren oder das Sperren von Profilen sollte transparenter sein. Es kann auch nicht sein, dass Facebook, ein Unternehmen, die Regeln für die Meinungsäußerung setzt und kontrolliert. Aber hier fängt das Problem an: Was ist Hate-Speech, was ist nur eine Meinungsäußerung? Wir sind es vor allem, die einen echten sozialen Umgang im Netz lernen und kontrollieren müssen.

Grafikhool: Es gibt die Gesetze, an die sich Facebook halten muss. Die müssen auch nicht verschärft werden. Wenn auf der Straße irgendwelche Gangs einen zusammenschlagen, haftet auch nicht der Straßenbauer. Die Streife ist zuständig, dass es keine Gewalt auf der Straße gibt. So sollte es auch im Netz sein. Für justiziable Sachen wie Holocaustleugnung oder Mordaufruf gibt es eine ganz klare Handhabe, die bei Staatsanwaltschaft und Polizei liegt.

STANDARD: Verdient ihr mit den "Hooligans"?

Kiki: Wir machen das voll und ganz ehrenamtlich. Wir kommentieren vom Klo aus, in der Bahn, zwischen der Kindererziehung. Wir haben nie öffentliche Projektgelder in Anspruch genommen. Geld verdienen wir über unsere normalen Jobs.

STANDARD: Ist eure Maskierung eine Schutzmaßnahme?

Grafikhool: Gerade am Anfang haben wir nicht nur Hass-Mails, sondern auch handfeste Drohungen erhalten. Man wisse, wo wir wohnten, in welche Kita unsere Kinder gingen. Die Hass-Mails sind weniger geworden. Mittlerweile erhalten wir viele Mails von sogenannten besorgten Bürgern, die tatsächlich so etwas wie Orientierung suchen. Aber unsere Vermummung bleibt. Man weiß nie, wer da draußen so rumläuft.

STANDARD: Ihr konzentriert euch vor allem auf den deutschen Polit- und Netzraum. Gab es schon einmal Ideen, eine Filiale in Österreich aufzumachen?

Kiki: Wir hatten schon Anfragen aus den Staaten, aus China, aus Italien oder Frankreich. Wir wissen aber nicht, ob andere Seiten nach unserem Konzept auch umgesetzt wurden. Österreich wäre sicher eine gute Idee. Schließlich hat die FPÖ ja so etwas wie eine "Vorreiterrolle", wenn es um die "Verrechtisierung" von Sprache und Politik geht. Wer weiß, vielleicht werden wir irgendwann ja mal expandieren. (Ingo Petz, 18.8.2018)