Am Abend ruhen die Füße des Kunstflaneurs. Womöglich oben auf dem Mönchsberg, wo man, hinunterschauend, die Festspielgäste zu Salome, Poppea oder Pique Dame eilen sieht und wo die vom Gratis-Opern-Open-Air auf dem Kapitelplatz hinaufwabernde Musik den Blick auf die Stadt festlich werden lässt. Müde sind die Flaneursfüße, haben sich doch die Salzburger Galerien indes weit über die Altstadt hinweg ausgebreitet. Und anders als der Weg zu Ropacs Halle im Industrieareal in Schallmoos ist die Route zu einem neuen Mitstreiter sehr viel vergnüglicher; sie führt vom Rudolfskai flussaufwärts und ist einer der sechs lohnenswertesten Kunstwege des Salzburger Sommers.

Aus- oder Einblicke, wer weiß das schon so genau: Freches von Wieland Schönfelder (Teil der Installation "They Are Waiting for the Chrystal to Glow Again") in der Galerie Ebensperger.
Foto: Galerie Patrick Ebensperger

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Der Berliner Galerist Patrick Ebensperger bespielt noch bis Jahresende – zusätzlich zum permanenten Raum in der Kaigasse – eine Lagerhalle in der Membergerstraße. Die kontemplative, vielleicht doch auch etwas verschlafene Ruhe der lokalen Galerieszene wird hier – sehr unmittelbar – gestört. Für Getöse und nasenkitzelnde Benzindämpfe sorgt ein 280er-Motor eines Mercedes der S-Klasse aus den 60er-Jahren. Mit den 160 PS des Sechszylinders treibt Künstler Alexander Laner einen Plattenspieler an, was nicht nur kraftmeierisch ziemlich "over the top" ist und spritschleudertechnisch obendrein ein luftverpestendes Desaster, sondern auch musikalisch in hohem Maße absurd: Statt aufjaulender Deep-Purple-Gitarren – "I'm a speed king see me fly ..." – beschallt Chopins Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 die Halle. Aber wie fad wäre die Welt ohne Skurrilitäten.

Wieland Schönfelder: "Nebula Interna" (Ausschnitt)
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Played heißt die tatsächlich mit aberwitziger Spielwut angefüllte Schau. Knapp neun Minuten Irrsinn nonstop bietet Augustin Rebetez' Film Liquid Panic. Vom Lkw überfahrene Milchpackerln, Bierdosen-Stunts und Farbexplosionen: Der Schweizer lässt ein paar Spaßvögel Flüssigkeiten variantenreich zu einer exzessiven Sauerei ausbreiten. Das könnte auch als kuriose Interpretation des Festspielmottos "Passion, Leidenschaft, Ekstase" herhalten. Bitterböse auch Wieland Schönfelders zu barocken Orgelklängen tanzender Feuerteufel und seine Grotesken aus dem 3D-Drucker. Fazit: Rotzpippen verleihen der Mozartstadt einen Hauch Berlin.

Das Österreich-Klischee lebt: Kenton Nelson ("Devoir") in der Galerie Nikolaus Ruzicska.
Foto: Galerie Nikolaus Ruzicska

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Ein Kontrastprogramm liefert einen guten Steinwurf entfernt die Galerie Nikolaus Ruzicska. Heldinnen des Wintersports vor blitzblauem Himmel, schmucke Traktoren unter Schäfchenwolken, Dirndlträgerinnen an der Wäscheleine. Instinktiv sucht man nach der ironischen Brechung in der Alpenlandidylle, die der Kalifornier Kenton Nelson in seiner charakteristisch glatten, kontraststarken Vintage-Werbeästhethik gebannt hat. Aber: Fehlanzeige. Das österreichische Auge kann nicht anders, als sich an die im Heimatfilm und Alfons-Walde-Bildern beschworene heile Bergwelt zu erinnern und damit auch an die in der Nachkriegszeit noch unaufgearbeitete Geschichte und den Mythos vom "ersten Opfer".

Kenton Nelson: "The Course"
Foto: Galerie Nikolaus Ruzicska

Nelson aber ist davon unbeleckt. Wenn es um Nazis geht, denkt er an Uniformen und Stahlhelme. Sein Schönheitsverständnis ist geprägt von den statuenhaften 40er- und 50er-Jahre-Beauties, die US-Fotografin Louise Dahl-Wolfe für Harper's Bazaar inszeniert hat, und von Autoren wie F. Scott Fitzgerald. Die Malerei des 64-Jährigen ist Ausdruck seiner Liebe für diesen auch mit gesellschaftlichem Benehmen verbundenen Gentlemen-Stil längst vergangener Tage. 2016 besuchte er Salzburg und sah sich in seinen Sound-of-Music-Klischees bestätigt. Vielleicht macht gerade das die Arbeiten trotzdem reizvoll. Die Albertina hat jedenfalls für die Sammlung Batliner angekauft.

Ein kostspieliges Käferchen: Alexander Calders "Bug of Course" (1963) in der Galerie Thomas Salis.
Foto: Galerie Thomas Salis

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Zum Glück ist Herbert Batliner in puncto klassische Moderne bereits gut aufgestellt, denn bei Thomas Salis müsste er etwas tiefer in die Tasche greifen. Salis hält für die kaufkräftige Klientel am Mozartplatz nicht nur eine von Chagall über Ernst, Miro und Nolde bis Picasso reichende Auswahl bereit, sondern begeistert insbesondere mit dem Meister der Mobiles, Alexander Calder. Ein Besuch im Planetarium soll Calder zu den beweglichen Skulpturen inspiriert haben. "Nichts ist starr. Jedes Element kann sich bewegen, sich regen, pendeln, kommen und gehen in Beziehung zu den anderen Elementen seines Universums", schrieb der mit Formen Malende. Niemals sah man eine bezauberndere Wanze in der Luft herumrudern (Bug of Course, 1963), allerdings traf man auch selten ein kostspieligeres (2,85 Millionen Euro) Käferchen.

Schaukelnde Linienschiffe von Ferro ("21:34", 2015) in der Galerie Mauroner.
Foto: Galerie Mauroner

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Mobile-Begeisterten kann jedoch geholfen werden: Auf der anderen Seite der Salzach hinaufspaziert, findet man im Garten der Mauroner-Villa zwei Arbeiten des deutschen Bildhauers Ferro. Eines seiner Linienschiffe, wie die aus Stahlrohren gefügten Mobiles heißen, schaukelt unter der großen Fichte, ein anderes verwandelt sich bei Regen in ephemere Schnüre aus Wasserperlen. Black Mirror heißt die in der Residenz fortgesetzte Schau der Galerie Mauroner. Besonders fasziniert das Objekt des Trios LAb[au]: ein illuminiertes, kinetisches und schier unendlich variierendes Minimosaique.

LAb[au]: "MiniMosaique" (2018)
Foto: Galerie Mauroner
Einfach mal abtauchen: Stefan Zsaitsits ("Deckchen", 2018) in der Galerie Trapp.
Foto: Galerie Trapp

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Vom fünften zum sechsten Tipp ist es nur ein kleiner Hupf, auch technisch, denn es geht um Zeichnerinnen und Zeichner. Bei Trapp in der Griesgasse staunt man regelrecht mit offenem Mund vor Stefan Zsaitsits' Nachtgestalten: Kopfwesen, die ihre Innenwelten auf den Schultern spazieren tragen, und surreale Traumszenerien mit vermenschlichten Häusern. Famos.

Alexandra Kontriner: "Kleinspecht" (2015)
Foto: Galerie Curtze

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Noch zartere Striche findet man einen kurzen Spazierer entfernt bei Heike Curtze gegenüber dem Festspielhaus. Alexandra Kontriner schenkt filigranen Insekten – Hirschkäfern, Heupferdchen, Schnaken -, die sie am Wegesrand aufliest, noch ein Nachleben in der Zeichnung: eine berührende Geste. Tierisch sind auch die Modelle von Ramona Schnekenburger. Das Frappierende an ihren in einer Mischung aus Bleistiftzeichnung und Ölmalerei entstehenden Bilder von Vögeln und Nagern ist aber der psychologisierende Effekt. Charaktertiere! (Anne Katrin Feßler, 18.8.2018)

"Marabufrau" aus Ramona Schnekenburgers Vogel-Parade (2018) in der Galerie Curtze.
Foto: Galerie Curtze