Es war einmal vor viereinhalb Milliarden Jahren, als sich aus dem kosmischen Schutt, der bei der Entstehung der Sonne angefallen war, ein wirbelnder Klumpen aus Gas und Staub bildete. Der Planet Erde ist geboren, wenn auch nicht in der heutigen Form erkennbar: Weder ist er blau noch rund. Auf ihrer torkeligen Umlaufbahn um die Sonne steht die Erde im Dauerbeschuss von heranrasenden Gesteinsbrocken. Bei den Kollisionen entsteht eine enorme Hitze, und so nimmt der glühende Haufen langsam die Form einer Kugel an.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Galaxienhaufen im frühen Universum.
Foto: Reuters/NRAO/AUI/National Science Foundation

Schon wenige Millionen Jahre später muss der junge Planet um seine Existenz bangen: Mit 36.000 Kilometern pro Stunde rast ein marsgroßer Himmelskörper direkt auf ihn zu. Da es kein Frontalzusammenstoß ist, werden von der Erde nur seitlich einige Teile abgesprengt und ins All geschleudert. Einige Bruchstücke formieren sich zum Mond, der fortan um die Erde kreist.

Erst nach diesem gewaltigen Einschlag kommt die Erde langsam zur Ruhe. Der Mond stabilisiert ihre Bewegung, und sie findet in einer ebenmäßigen, ellipsenförmigen Bahn ihren Platz inmitten der Gestirne. Ihre Größe, ihre Entfernung zur Sonne, ihre Zusammensetzung – all das wird sich als perfekt erweisen, jedenfalls dafür, Leben zu beherbergen.

Ein flüchtiger Fingerschnipp

Vermutlich ist es etwa dreieinhalb Milliarden Jahre her, als sich in den Tiefen der Meere organische Verbindungen bilden, aus denen zunächst Einzeller, später komplexere Lebewesen entstehen. Als die Erde zwei Milliarden Jahre auf dem Buckel hat, kommt es zu einem noch aufregenderen Ereignis: Ihre Gashülle wandelt sich zu einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre. Diese bietet den sich allmählich entwickelnden Landbewohnern Luft zum Atmen. Seit damals explodiert die Artenvielfalt, doch immer wieder erlischt sie beinahe: Fünf Massensterben in den vergangenen 500 Millionen Jahren haben die Erdbewohner teilweise auf ein Minimum dezimiert. Momentan befinden wir uns in der sechsten Sterbewelle.

Selbst im Weltall sind künstliche Beleuchtungen sichtbar. Die Lichtverschmutzung durch den Menschen hat störende Einflüsse auf die Flora und Fauna.
Foto: APA/AFP/esa/nasa/TIM PEAKE

In Zeitabständen von Jahrtausenden und Jahrmillionen oszilliert das Klima der Erde zwischen Warmzeitaltern, in der die mittlere Oberflächentemperatur bis zu 30 Grad Celsius beträgt, und Eiszeiten, während deren Dauer – je nach Definition – einer oder beide Pole vergletschert sind. Demnach befindet sich die Erde aktuell seit 30 Millionen Jahren in einer Eiszeit, seither ist die Antarktis vereist. Nach einer zweiten Definition herrscht seit 2,7 Millionen Jahren Eiszeit, seither ist auch die Arktis eisbedeckt. Die Oberflächentemperatur liegt aktuell im Durchschnitt bei 15 Grad.

Gemessen daran, was die Erde im Laufe der Jahrmilliarden schon alles erlebt hat, und verglichen mit den Größenordnungen und Zeitspannen, die für sie zählen, macht eine der Spezies, die sie beheimatet, aufs Erste einen recht unbedeutenden Eindruck. Homo sapiens bevölkert die Erde seit mickrigen 300.000 Jahren – ein flüchtiger Fingerschnipp für einen Planeten.

Das gleichsam Beeindruckende als auch Beunruhigende am modernen Menschen ist, dass er wie kein anderes Tier die Macht dazu hat, die Welt zu gestalten, wie sie ihm gefällt. Von den Tiefen der Meere bis in hohe Atmosphärenschichten gibt es kein Plätzchen mehr auf diesem Planeten, das nicht von Menschen erkundet, ausgebeutet und verschmutzt, für seinen Zweck zurechtgemacht oder seinem Nutzen unterworfen worden ist.

Das Zeitalter des Menschen

Es war bei einer Konferenz in Mexiko im Jahr 2000, als dem wortgewandten Atmosphärenforscher und Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen plötzlich der Kragen platzte. Vortrag um Vortrag folgte er den Ausführungen seiner Kollegen bezüglich der globalen Umweltveränderungen im Holozän. Dieser Abschnitt der Erdgeschichte hat vor 11.700 Jahren begonnen, er ist jene Epoche, in der wir offiziell leben.

Crutzen wurde zunehmend unbehaglich dabei, dass all diese Veränderungen, von denen er nun hörte, nur noch wenig mit dem Holozän zu tun hatten, wie es weithin verstanden wird. "Nein", schrie er und sprang auf, "wir sind nicht mehr im Holozän. Wir sind im" – einige Momente Schweigen – "Anthropozän!"

Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen plädiert dafür, das Anthropozän als Erdzeitalter einzuführen.
WERDEN WIR DIE ERDE RETTEN?

Der Begriff war nicht neu, bereits einige Jahre zuvor ist er vom Kieselalgenforscher Eugene F. Stoermer verwendet worden. Schon im 19. Jahrhundert kamen die Begriffe "Anthropozoische Ära" und "Anthropozoikum" auf, die sich allerdings nicht etabliert haben. Spätestens mit einer Publikation von Crutzen im Jahr 2002 im renommierten Fachblatt "Nature" ist das Anthropozän im Mainstream der wissenschaftlichen Debatte angekommen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es allgemein anerkannt ist.

Im Gegenteil: Der Vorschlag hat einen Streit unter Geologen entfacht, ob denn nun der Mensch tatsächlich einen derart wesentlichen Einfluss auf die Erde hat, dass es gerechtfertigt wäre, das Holozän für beendet zu erklären und mit dem Anthropozän das aktuelle Erdzeitalter nach uns selbst zu benennen. Zudem stellt sich die brisante Frage: Wann hätte denn das Anthropozän eigentlich begonnen?

Wachposten der Zeiteinteilung

Die Latte liegt hoch, um ein neues Erdzeitalter ausrufen zu können. In der Regel braucht es dafür jahrzehntelanges Datensammeln, um solche genau definierten Unterteilungen wie Jura oder Kreide belegen und vor der Internationalen Kommission für Stratigrafie verteidigen zu können. Stratigrafen sind Experten der Gesteinskunde und als solche die Wachposten der erdgeschichtlichen Zeiteinteilung.

Alles, was wir über die Geschichte der Erde wissen, verdanken wir Ablagerungen in Gesteinsschichten. Je tiefer die Schicht, umso weiter blicken wir in die Vergangenheit zurück. Als offizielles Erdzeitalter kann nur eine Zeitspanne gelten, der eine bestimmte Gesteinsschicht zugeordnet werden kann, die sich klar von früheren und späteren Schichten unterscheidet. Gesucht wird daher aktuell nach einem sogenannten Golden Spike, also einer charakteristischen Veränderung in den Sedimenten, die den Beginn des Anthropozäns eindeutig markiert.

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine halbe Billion Tonnen Beton ist bislang weltweit verarbeitet worden. Im Bild: eine Straßenkreuzung in Shanghai.
Foto: Getty/JaCZhou

Eine besonders augenscheinliche menschliche Hinterlassenschaft auf dem Planeten sind sogenannte Mineraloide. Es handelt sich dabei um mineralähnliche, allerdings nichtkristalline Stoffe – dazu zählen etwa Glas und Plastik. Während Kunststoffe vor dem Zweiten Weltkrieg nur sehr eingeschränkt verwendet worden sind, ist ihre Herstellung seither rasant angestiegen.

Aktuell werden rund 300 Millionen Tonnen Kunststoff pro Jahr produziert. Ob ihrer Langlebigkeit wachsen die Müllberge stetig – auf dem Land wie auch in den Ozeanen. Die größte Plastikansammlung der Welt treibt mitten im Pazifik vor sich hin, mit fatalen Folgen für Fische und andere Meeresbewohner.

Betonwüsten und veralgte Meere

Bei der Verwendung von Beton spielt der Mensch ebenfalls in geologischen Maßstäben mit. Insgesamt ist bisher rund eine halbe Billion Tonne davon verarbeitet worden, im Schnitt ist das ein Kilogramm pro Quadratmeter der Erdoberfläche.

Insgesamt bewegt der Mensch heute mehr Erdkruste als alle Flüsse und Winde zusammengenommen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Intensivierung der Landwirtschaft. Schon vor 10.000 Jahren haben Menschen Ackerbau und Viehzucht betrieben, doch im 20. Jahrhundert haben sich die Methoden dafür radikal geändert.

Das Haber-Bosch-Verfahren, das im frühen 20. Jahrhundert entwickelt worden ist, machte möglich, woran zuvor Generationen an Chemikern gescheitert waren: Stickstoff aus der Luft in Form von Ammoniak zu binden und effizient als Düngemittel für Pflanzen nutzbar zu machen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Eine Rapsplantage prägt das Erscheinungsbild von Qingtian in der südostchinesischen Provinz Zhejiang. Mit landwirtschaftlichen und baulichen Tätigkeiten bewegt der Mensch heute mehr Erdkruste als Flüsse und Wind zusammen.
Foto: Picturedesk/Visum/ Cpressphoto

Kunstdünger leistet einerseits einen entscheidenden Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung. Andererseits werden die Dünger in jedes noch so abgelegene Gewässer vertragen. In den Meeren entstehen hunderttausende Quadratkilometer große Todeszonen – die durch den Düngereintrag florierenden Algen lassen große Planktonblüten entstehen, die den Sauerstoff verbrauchen, was für andere Meeresorganismen den Erstickungstod bedeutet.

Mehr als 500 Kernwaffen gezündet

Um einen Golden Spike, also einen Marker für das Menschenzeitalter, zu finden, der quer über der Globus zur selben Zeit in den Sedimenten nachzuweisen ist, eignen sich aber ausgerechnet jene Substanzen am besten, die wie kaum eine andere für Tod und Zerstörung stehen: radioaktive Teilchen. Im Juli 1945 ist die erste Atombombe am Trinity-Site in Los Alamos, New Mexico, im Rahmen des US-Nuklearwaffenprogramms "Manhattan Project" getestet worden. Wenige Wochen später erfolgten die Atombombenabwürfe über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki mit tausenden Toten. Seither wurden zwar keine Atombomben mehr in militärischen Auseinandersetzungen eingesetzt, jedoch detonierten bisher mehr als 500 Kernwaffen zu Testzwecken. Die dabei freigesetzten radioaktiven Teilchen können von Geologen im Boden, Eisbohrkernen oder auf dem Meeresgrund nachgewiesen werden. Hat das Anthropozän also 1945 begonnen?

Das würde insofern sinnvoll erscheinen, als die Bevölkerungszahl seither massiv angestiegen ist – ebenso wie der Energieverbrauch und der Industrialisierungsgrad. Damit verbunden ist ein Anstieg an Beton, Plastik oder Plutonium zu bemerken.

Bild nicht mehr verfügbar.

Um den Beginn des Zeitalters des Menschen festzulegen, sind radioaktive Teilchen, die bei Atombombentests freigesetzt wurden, die stichhaltigsten Marker. Im Bild: Die erste Atombombenexplosion am 16. Juli 1945 am Trinity Test Site in New Mexico.
Foto: AP

Geologisch wäre die Grenzziehung per radioaktive Teilchen solid, aber macht sie auch Sinn? Wie der Geologe Michael Wagreich, Professor für Sedimentologie an der Universität Wien und Mitglied der Anthropocene Working Group, einwendet, ergebe sich dadurch eine paradoxe Situation: Die Menschheit würde in zwei Teile getrennt werden – in jene, die noch im Holozän geboren worden sind, und in jene, die von Geburt an im Anthropozän sind.

Nächste Chance: 2020

Solange kein Golden Spike für das Anthropozän gefunden und anerkannt wird, werden wir jedenfalls offiziell im Holozän leben. Der nächste Zeitpunkt, bei dem das Menschenzeitalter frühestens festgelegt werden könnte, ist eine Konferenz im Jahr 2020. Ihr wahrscheinlichstes Ergebnis ist allerdings, dass die Suche nach Indizien für das Anthropozän fortgesetzt werden soll.

Gleichzeitig ist und bleibt das Anthropozän aber weit mehr als Teil einer geologischen Fachdebatte. Die damit verbundenen Einsichten haben das Zeug dazu, unser Weltbild in ähnlicher Weise zu erschüttern wie die Evolutionstheorie von Charles Darwin oder die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein.

Fangen wir bei Darwin an. Die vereinzelten Geologen, die im 19. Jahrhundert vorgeschlagen haben, die anthropogenen Einflüsse als geologische Faktoren ernst zu nehmen, sind von ihren Fachkollegen höchstens ausgelacht worden. Die Rolle des Menschen sei vernachlässigbar gegenüber den Kräften der Natur, dem Vereisen und Schmelzen der Gletscher, lautete der Tenor.

Alles ist relativ

Dem diametral entgegengesetzt wurde die Bedeutung des Menschen lange Zeit in der Biologie eingeschätzt. Als Darwin im 19. Jahrhundert seine revolutionären Thesen vorstellte, galt der Mensch als unumstrittene Krönung der Schöpfung: fundamental verschieden und nicht zu vergleichen mit sämtlichen Tier- und Pflanzenarten. Umso bemerkenswerter ist Crutzens Vorschlag aus dem Jahr 2000. Damals hat der Mensch gerade einmal gute 100 Jahre dafür Zeit gehabt, sich daran zu gewöhnen, nur ein Tier unter vielen zu sein. Just da kommt der Vorschlag auf, ihn als erdgeschichtlichen Gezeitengeber anzuerkennen.

Einige Jahrzehnte nach Darwins Ausführungen "Über die Entstehung der Arten" hat uns ein unkonventioneller Patentbeamter im Schweizer Bern die nächste naturwissenschaftliche Revolution beschert. Wir schreiben das Jahr 1905, und diesmal geht es ums Eingemachte in der Physik: Was ist Raum? Was ist Zeit? Laut Albert Einsteins Relativitätstheorie handelt es sich bei beidem um keine absoluten Größen, sondern sie werden durch Massen gekrümmt und unterscheiden sich je nach Beobachtungssituation. Raum und Zeit sind nicht mehr länger die unveränderliche Bühne, auf der sich das Weltgeschehen abspielt.

Seit 1945 hat sich die Produktion von Plastik vervielfacht. Die Müllberge wachsen, auch in den Meeren wie nahe der Küste der Karibikinsel Roatán.
Foto: APA / AFP / Caroline Power

"Das Anthropozän konfrontiert uns mit einem ähnlichen radikalen Umdenken", schreiben der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn und der Kulturwissenschafter Bernd Scherer in ihrem 2015 erschienen Band zu dem Thema. "Die Erde ist keine stabile Umwelt, keine Kulisse und bloße Ressource unseres Handelns mehr, sie ist Teil eines umfassenderen Dramas, an dem Menschen und Dinge gleichermaßen Anteil haben."

Keine andere wissenschaftliche Anstrengung hat aktuell eine global drängendere Brisanz als jene, die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf den Planeten zu analysieren und entsprechende Handlungsanweisungen abzuleiten. Diesbezügliche Überlegungen treffen geradezu ins Herz der Anthropozän-Debatte.

Diese Spuren hinterlässt die Menschheit auf der Erde
DER STANDARD

Denkfehler und Faulheiten

Vernünftige Empfehlungen etwa für einen gemäßigten Ressourcenverbrauch gäbe es schon zur Genüge. Einziger Makel: Die Menschen befolgen diese schlicht nicht. Aber warum eigentlich? Es gibt wohl kaum jemanden, der die Erde bewusst zerstören und mit seinen Taten die letzten Exemplare einer Art ausrotten oder das Klima bis zum unkontrollierbaren Kipppunkt erwärmen will. Was den Klimawandel antreibt, sind en gros die unbeabsichtigten Nebenwirkungen unserer Bequemlichkeit, Gier und Unachtsamkeit.

Es gibt unzählige Ansätze, wie diese Auswirkungen gemildert werden könnten, doch keine zentrale Entscheidungsinstanz, die ihre globale Durchsetzung herbeiführen könnte. Eines der Hauptprobleme der Klimapolitik lautet: Wir Menschen sind wahnsinnig schlecht darin, Wahrscheinlichkeiten realistisch einzuschätzen. Der Grund, warum Lotteriebetriebe florieren, steckt auch hinter unserem Unvermögen, auf Prognosen der globalen Erderwärmung adäquat zu reagieren.

Bild nicht mehr verfügbar.

Durch die Erwärmung der Antarktis verändert sich der Lebensraum von Pinguinen radikal, was den Überlebenskampf verschärft.
Foto: REUTERS/Pauline Askin

Klimaforscher warnen vor einer globalen Erwärmung von 1,5 bis fünf Grad Celsius bis 2100, wenn wir unser Verhalten nicht ändern. Bei einem Anstieg von vier Grad und mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass abrupte und unwiderrufliche Veränderungen im System Erde Einzug halten, genannt Kippeffekte. Aber wer kann sich darunter schon etwas vorstellen? Risiken wie Hungersnöte, Wasserengpässe oder Massensterben bleiben abstrakt, solange man selbst (noch) nicht betroffen ist.

Was den leichtsinnigen Umgang mit dem Planeten und seinen Ressourcen zusätzlich antreibt, hat mit unserer Art zu denken zu tun: Wir sind gewöhnt, uns in menschlichen Skalen zu bewegen. Nie zuvor in der Evolution kam einer Spezies die Verantwortung zu, in den eigenen Taten die möglichen Folgen für Jahrhunderte oder gar Jahrtausende zu berücksichtigen. Heute ist genau das gefragt. (Tanja Traxler, 21.8.2018)