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In der Hauptstadt Astana schießen moderne Gebäude in die Höhe – denn Kasachstan will sich als Banken- und Kapitalzentrum Zentralasiens etablieren.

Foto: Reuters / Shamil Zhumatov

Boomtown in der Steppe: Astana wird von einigen Wirtschaftsexperten schon als das neue Hongkong gefeiert. Tatsächlich ist die Entwicklung der Stadt verblüffend. 1998 aus strategischen Erwägungen von Präsident Nursultan Nasarbajew zur Hauptstadt Kasachstans erkoren, um die Abspaltung des mehrheitlich von Russen bewohnten Nordens zu vermeiden, hat sich Astana innerhalb von 20 Jahren von einer kleinen Provinzstadt zur modernen Millionenmetropole aus Glas und Stahl entwickelt.

2017 durfte sie gar die Weltausstellung Expo beherbergen. Ein Jahr später ist nun das Internationale Finanzzentrum Astana (AIFC) in den futuristischen Gebäudekomplex eingezogen.

Damit will sich Kasachstan als Banken- und Kapitalzentrum Zentralasiens etablieren. Schon jetzt ist das Land das mit Abstand wirtschaftlich stärkste in dieser Region. Obwohl Kasachstan nur 18 Millionen Einwohner hat, liegt es mit einem Bruttoinlandsprodukt von gut 160 Milliarden Dollar (140 Mrd. Euro) auf Rang 57 weltweit – und damit auch vor der Ukraine, die mehr als doppelt so viele Einwohner hat.

Die Gunst der Investoren

Natürlich hat der Ölreichtum des Landes zu relativem Wohlstand beigetragen. Insgesamt verfügt Kasachstan geschätzt über vier Prozent der weltweiten Energieressourcen – neben Öl gibt es auch Gas-, Kohle- und Uranvorkommen. Doch Nasarbajew hat mit Reformen in den vergangenen Jahren versucht, die Wirtschaft breiter zu fächern und Investoren ins Land zu locken. So schaffte Kasachstan 2017 die Visapflicht für Bürger der OECD und einiger asiatischer Wachstumsstaaten ab.

Das AIFC seinerseits wirbt mit einer Sonderwirtschaftszone und "angelsächsischem Recht" um die Gunst von Investoren. Die Maßnahmen zeigen einigen Erfolg: Im ersten Halbjahr 2018 ist Kasachstans BIP gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 4,1 Prozent gewachsen und erholt sich damit deutlich schneller als beim Nachbarn Russland.

Doch während Kasachstan ökonomisch zum Sprung ansetzt, ist das politische System weiterhin erstarrt. Nach dem Tod von Islam Karimow ist Nasarbajew nun mit fast 30 Jahren Amtszeit der dienstälteste Präsident innerhalb der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten). Seine Regierungsform erinnert an die aufgeklärter absolutistischer Monarchen. Er betreibt eine liberale Wirtschafts- und durchdachte Außenpolitik, nutzt Chancen wie die Eurasische Wirtschaftszone oder die neue Seidenstraße, die ihm seine stärkeren Nachbarn bieten, ohne sich von Russland oder China vereinnahmen zu lassen.

Innenpolitisch jedoch bleibt alles unter strenger Kontrolle. Nasarbajew selbst lässt sich Elbasy – Führer der Nation – nennen. Die von ihm geführte Partei Strahlendes Vaterland hat faktisch eine Monopolstellung. Im Parlament besetzt sie 84 von 107 Sitzen, daneben konnten bei der Parlamentswahl 2015 nur Ak Schol und Kommunisten je sieben Mandate gewinnen. Beide sind inzwischen allerdings größtenteils staatstragend. Die Opposition wurde schon längst kaltgestellt.

Nur geringfügig besser sieht es bei den Medien aus. "Es gibt noch einige unabhängige Medien in Kasachstan, die die Pressefreiheit verteidigen" – die Lage habe sich zuletzt durch das Entstehen neuer NGOs aufgehellt, meint die Journalistin der Nachrichtenagentur KazTag, Anel Utjegenowa. Doch der russische Zentralasien-Experte Arkadi Dubnow stimmt dieser Einschätzung nur bedingt zu: "Die Pressefreiheit ist auf der Prioritätenliste der zentralasiatischen Staaten insgesamt nicht besonders hoch angesiedelt", sagt er. Selbst wenn es einzelne Verbesserungen gebe, seien diese "nicht wegen, sondern trotz der Obrigkeit" zustande gekommen, so Dubnow. Verleumdungsklagen mit hohen Geldforderungen an Journalisten sind in Kasachstan an der Tagesordnung.

Utjegenowa sieht als Hauptproblem Bürokratie und Korruption. "Daran ist auch das politische System schuld", räumt sie ein. Allerdings sei dieses Denken tief in der Gesellschaft verankert. "Jeder zweite Kasache trägt dazu bei", fügt sie hinzu. Tatsächlich herrscht vielerorts Vetternwirtschaft, auch weil die politische Führungsebene ein solches Beispiel gibt: Das Vermögen des Nasarbajew-Clans wird auf sieben Milliarden Dollar geschätzt.

Nachfolger von Nasarbajew

Und doch deuten sich am politischen Horizont der Steppe gewaltige Veränderungen an: einerseits, weil die von Nasarbajew vollzogene wirtschaftliche Liberalisierung laut Dubnow "unweigerlich auch das gesellschaftliche Klima beeinflussen wird"; andererseits deswegen, weil der Elbasy 78 Jahre alt ist und massive Gesundheitsprobleme hat.

Die Frage nach einem Nachfolger ist daher seit Jahren ein vieldiskutiertes Thema, zumal eine familiäre Lösung nur schwer vorstellbar ist. Nasarbajew hat drei Töchter, die es schwerhaben dürften, sich in der patriarchalischen Gesellschaft an der Macht zu halten. Der einst als Nachfolger gehandelte Schwiegersohn Rachat Alijew brach 2007 mit Nasarbajew und starb, selbst unter Mord- und Geldwäscheverdacht geraten, 2015 unter mysteriösen Umständen in einem Wiener Gefängnis.

Daher wurde in Astana ein neues Machtübergabeschema ersonnen: So könnte Nasarbajew darauf verzichten, bei den nächsten Wahlen 2020 anzutreten, und stattdessen die Führung des nationalen Sicherheitsrats übernehmen. "Er würde dann eine Art kasachischer Deng Xiaoping werden", erläutert Dubnow.

Diese Variante würde es Nasarbajew zumindest erlauben, bis zu seinem Tod, die Macht in der Hand zu halten und einem Präsidenten seiner Gnade die Zügel zu übergeben. Dass dieser weiter in die gleiche Richtung reitet wie Kasachstans Langzeitherrscher, das ist alles andere als ausgemacht. (André Ballin, 15.8.2018)