Bild nicht mehr verfügbar.

Die Mindestsicherung soll in Zukunft maximal 863 Euro betragen – zu wenig für ein gutes Leben.

Foto: AP Photo/Mindaugas Kulbis

Fritz erinnert sich an seine Kindheit. An seinen Vater, der ihn regelmäßig geschlagen hat, weil es der Abhärtung diene. Wenn er betrunken heimkam, gab es sowieso Schläge, für ihn und die Mutter. Sie hat immer die Messer versteckt, nie gelernt, sich zu wehren, hat viel geweint und konnte ihn nicht verlassen. Es blieb der Alkohol, erst manchmal, dann jeden Tag.

Fritz wäre eigentlich gut im Rechnen gewesen, hat vom Vater aber immer nur gehört, in der Schule lerne man nur Blödsinn. Brachte er einen Fünfer heim, bekam er trotzdem Schläge. Der Mutter war es egal, um das Kind kümmerte sie sich wenig, vernachlässigte die Hygiene so, dass er in der Schule dafür gehänselt wurde. Stets im Abseits fand er kaum Freunde und lernte früh, alleine auszukommen, was ihm zusätzlich den Ruf des Eigenbrötlers einbrachte.

Der Vater hatte ein kleines Gehalt, das meiste Geld wurde für Alkohol ausgegeben, manchmal auch am Spielautomaten. Die Mutter wusste nicht, wie sie durchkommen sollte, von einer ausgewogenen Ernährung konnte keine Rede sein. Auch wenn er nicht hungern musste, wirkte Fritz mit seinen dünnen und schlacksigen Armen und Beinen leicht unterernährt. Im Sport ungeschickt und schnell ermüdet, konnte er auch hier bei den Schulkameraden nicht Punkten, nicht bei den Buben, nicht bei den Mädls.

In der Hauptschule zog er sich mehr und mehr zurück, die Noten wurden noch schlechter, weder Mutter noch Vater halfen bei den Hausaufgaben. Fritz hätte eine Klasse wiederholen müssen, verlor aber im Laufe des Jahres jegliche Lust an der Schule. Daheim gab es Schläge für schlechte Noten, Freunde hatte er nicht, von den meisten Kameraden wurde er verspottet und gemieden, die wenigen Bekanntschaften hielten meist nur für kurze Zeit, von den Lehrern hatte er als schlechter Schüler und Außenseiter nichts zu erwarten. Schulische Erfolgserlebnisse blieben aus.

Fritz ist nicht mehr hingegangen, hat die Schule nie abgeschlossen und auch sonst keine Ausbildung absolviert. Seit einigen Jahren hat er, wenn auch in ärmlichen Verhältnissen, ein Einkommen mit der Mindestsicherung.

Am Rand der Gesellschaft

Jene Mindestsicherung, die die Regierung für Menschen ohne Pflichtschulabschluss so weit kürzen will, dass man davon nicht mehr leben könnte. Ein Politiker der Regierungsparteien äußerte sich dazu so: "Wenn jemand nicht einmal bereit ist, eine Schule abzuschließen, sollte er auch keinen Anspruch auf soziale Unterstützung haben."

Mich schaudert's.

Also was tun? "Von 150 Euro im Monat leben? Ja sicher." Aussagen wie diese sind für eine sinnvolle Lösung wenig hilfreich. Voraussetzungen wären zuerst einmal Respekt und Achtung vor Personen und Gruppen, die am Rand der Gesellschaft leben und mit existentiellen Problemen zu kämpfen haben. Sie sind nicht dort, weil sie dort sein wollen. Niemand will das. Wer im ärmeren Teil der Gesellschaft lebt, wurde entweder hineingeboren, hat geringe persönliche, soziale und materielle Ressourcen zur Verfügung oder landet dort aufgrund von Schicksalsschlägen, Lebenskrisen beziehungsweise Lebensrisiken, die von der Einzelperson nur in geringem Maß beeinflussbar sind. Die Hauptfaktoren sind gesellschaftlicher Natur, daher liegt hier auch der größte Handlungsbedarf.

Keine Qualität

Die derzeitige Höhe der Mindestsicherung ermöglicht zwar das Überleben, allerdings nicht viel mehr. Ein würdevolles Leben mit ausreichender Lebensqualität und Teilhabe an der Gesellschaft sind mit einem Betrag von 863 Euro nicht möglich. Gesunde Ernährung, eine warme Wohnung im Winter, Teilnahme an kulturellen und Bildungsveranstaltungen sind oft nicht leistbar. Ein Kinobesuch oder ähnliche Aktivitäten gehören aber sehr wohl zum üblichen sozialen Leben. Ist die Teilhabe daran über längere Zeit nicht möglich, bedeutet es oft den Weg in den sozialen Rückzug, in dieser Situation genau das Verkehrte.

Braucht man fast die Hälfte des Betrages für die Miete, bleibt nicht viel, so dass bei Lebensmittel, Kleidung, Hygiene und anderen notwendigen Dingen nicht auf Qualität, sondern nur auf den Preis geachtet werden muss. Tendenz: Durch steigende Mieten, Gebühren und Lebenserhaltungskosten bleibt immer weniger.

Angesagt wäre also nicht eine Kürzung, sondern eine Anhebung der Mindestsicherung, nach aktuellem Stand auf wenigstens 1000 Euro. Ohne es hier genauer auszuführen behaupte ich, rein budgetär wäre es leicht umsetzbar, da der Anteil der Mindestsicherung an den Sozialausgaben weniger als ein Prozent beträgt. Nach einer Anhebung, je nach Höhe, wären es vielleicht zwischen ein und zwei Prozent.

Wir würden alle profitieren

Last not least ist es auch eine Frage der Gesundheit. Ausreichende Qualität der oben angesprochenen Faktoren (Einkommen, Wohnen, Ernährung, Bildung, Teilhabe – für die arbeitende Bevölkerung natürlich auch die Arbeitsbedingungen) wurden in der Ottawa Charta 1986 als Grundvoraussetzungen für Gesundheit definiert. Ein gesundes Leben führen zu können ist entscheidend für die Lebensqualität und auch für die Lebenserwartung.

Was noch viel mehr als bisher zu tun wäre: Gesundheitsförderliche Lebenswelten in ganzheitlichem Sinn zu schaffen, einen gesellschaftlichen Rahmen, der
würdevolles und sinnerfülltes Leben für alle ermöglicht. Das österreichische Sozialministerium rühmt sich auf seiner Website, bereits viel im Sinne der Ottawa Charta unternommen zu haben. Weiter so! Anstatt Profit und Gewinnmaximierung könnten wir soziale Verantwortung und Lebensqualität für alle Personen und Gruppen an die erste Stelle unserer Werteskala stellen. Wir würden davon profitieren. (Stephan Burgstaller, 14.8.2018)