Karmelitische Nonnen singen gegen den Terror der Französischen Revolution an: die Oper "Dialogues des Carmélites" 2008 im Theater an der Wien.

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Der direkte Weg zu unseren Gefühlen führt über Musik. Sie berührt uns, kann uns glücklich machen, zum Weinen bringen, Angst oder Aggression schüren. Ärzte und Therapeuten nutzen Musik inzwischen, um Schmerzen zu lindern oder um bei Demenzpatienten Erinnerungen wachzurufen.

Welch eine zentrale Rolle Musik in der Werbe- und Unterhaltungsindustrie spielt, erlebt man nicht nur beim Einkaufen. Da mit Musik Emotionen erzeugt werden können, wird sie aber auch für politische Zwecke genutzt: Nationalhymnen sollen patriotische Gefühle schüren, Märsche und Kampf- und Protestsongs den Widerstandsgeist stärken. Und Islamisten unterlegen ihre Aufrufe zum gewaltsamen Jihad mit Propagandaliedern.

Vielschichtiges Verhältnis

Schon der erste Blick auf das Verhältnis von Musik und Demokratie lässt erahnen, wie vielschichtig es ist. Von 10. bis 14. August beschäftigt sich eine unter anderem vom Land Niederösterreich geförderte wissenschaftliche Konferenz der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien mit diesem Thema.

Besprochen werden "die Implikationen von Musik als Ressource für gesellschaftliche Transformationsprozesse", berichtet Dagmar Abfalter, eine der Organisatorinnen der Konferenz, die im Rahmen der Internationalen Sommerakademie (ISA) in Reichenau an der Rax über die Bühne gehen wird.

Die thematische Bandbreite der Vorträge ist nicht zuletzt der Interdisziplinarität des sechsköpfigen Organisationsteams zu verdanken: So berichten etwa zwei türkische Musikologen von den Veränderungen der musikalischen Alltagskultur in der Türkei infolge des radikalen Werte- und Strukturwandels, der von der türkischen Regierung vorangetrieben wird.

Mussolini und die Musik

Ein Beispiel dafür ist die Verdrängung von Chopins Trauermarsch, der seit 1932 auf türkischen Militärbegräbnissen gespielt wurde, durch ein traditionelles ottomanisches Lied. In einem anderen Vortrag wird die ideologische Aneignung der Musik Giuseppe Verdis durch Mussolini und die italienischen Faschisten analysiert.

Breiter Raum wird aber auch der Musik als ideeller Waffe im Kampf um Demokratie gegeben. Katerina Kaimaki etwa beschäftigt sich unter anderem mit dem berühmten Beispiel der karmelitischen Nonnen, die in einem letzten Akt des Widerstands gegen den Terror der Französischen Revolution singend das Schafott bestiegen.

In die Musikgeschichte ist dieses Ereignis durch Francis Poulencs tragische Oper "Dialogues des Carmélites" eingegangen. Ein anderes historisches Beispiel für die stützende Kraft der Musik im Angesicht des Todes sind die Frauen von Souli im nördlichen Griechenland, die sich im Jahr 1803 singend und tanzend mitsamt ihren Kindern von den Klippen stürzten, um der Gefangenschaft und Vergewaltigung durch die türkischen Besatzer zu entkommen.

Macht der Streamingdienste

Mit der digitalen Gegenwart wird sich dagegen Keynote-Speaker David Hesmondhalgh von der Universität Leeds beschäftigen. Ist Musik durch die Digitalisierung wirklich demokratischer geworden? "Insbesondere Musik-Streamingdienste wie Spotify, Apple Music, Deezer und Youtube bilden in vielen Ländern mittlerweile die Grundlage neuer Ökosysteme in Sachen Musik", ist der Kulturwissenschafter überzeugt. "Mittlerweile kennen wir die Macht solcher Streamingdienste als 'Torhüter' zu Musik und als Former von Geschmack."

Damit verbunden sei auch die wachsende Bedeutung von oft stimmungsabhängigen Playlists und der Einsatz von Algorithmen, welche die musikalischen "Entdeckungen" der Nutzer bestimmen. "In der Welt der Musik spielen heute gigantische Technikkonzerne und Start-ups eine zentrale Rolle, während der Einfluss von Plattenfirmen auf die Preisgestaltung schrumpft und unabhängige Musiklabels ums Überleben kämpfen."

Diese Systeme arbeiten mit völlig neuen Geschäftsmodellen auf Basis von Datensammlung und -analyse, die weitreichende Folgen für die Privatsphäre der Nutzer mit sich bringen. Gleichzeitig, sagt Hesmondhalgh, haben die Menschen heute Zugriff auf mehr Musik als je zuvor.

Formen des musikalischen Aktivismus

In seinem Vortrag wird sich der Professor für Medien, Musik und Kultur mit einer Reihe von Fragen beschäftigen, die sich aus dieser veränderten Situation von Musikproduktion und -konsum ergeben. Welche neuen Möglichkeiten musikalischer Partizipation könnten daraus entstehen und welche verschwinden? Welche Konsequenzen haben die neuen Bedingungen in Hinblick auf Klassen-, Geschlechter- und ethnische Unterschiede?

Milena Dragicevic Sesic von der Universität der Künste in Belgrad erkundet in ihrer Präsentation unterschiedliche Formen musikalischen Aktivismus: vom Radio-Aktivismus der 1990er-Jahre bis zu partizipativen Aktivistenchören im heutigen Serbien. Musik wird dabei zum Medium einer Widerstandskultur, die von zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie "Women in Black" oder dem "Belgrade Circle" geprägt ist.

Unterschiedliche Perspektiven

Impulse zum Thema Musikpiraterie, Partizipation und Politik sind auch von Marsha Siefert von der Central European University in Budapest zu erwarten, die in ihrer Keynote die widerständische Rolle von Bootlegs (nicht autorisierten Aufnahmen von Konzerten) in der ehemaligen Sowjetunion mit jener in der Opernwelt vergleicht.

Ein Schlaglicht auf die zentrale Bedeutung von Musik in aktuellen Demokratisierungsprozessen wirft auch der Vortrag von Darci Sprengel über ägyptischen Hip-Hop als revolutionäre Kraft im postrevolutionären Ägypten. "Wir haben uns bemüht, das Generalthema 'Musik und Demokratie' von unterschiedlichsten Seiten zu beleuchten", sagt Abfalter. (Doris Griesser, 8.8.2018)