Blasenkrebszellen besitzen Riechrezeptoren für Sandelholfzduft, Darmkrebszellen reagieren auf den Duftstoff Troenan.

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Bochum – Der Mensch ist ein Augentier. Etwa 80 Prozent der Informationen nehmen wir über den Sehsinn wahr. Der Rest entfällt auf das Hören, Schmecken, Fühlen und Riechen. Vor allem der Nase sollten wir mehr Aufmerksamkeit widmen, ist der Geruchsforscher Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum überzeugt.

Die Nase ist pausenlos im Einsatz, warnt uns vor Gefahren und entscheidet, ob wir jemanden sprichwörtlich gut riechen können. Doch nicht nur das: 2003 wies Hanns Hatt erstmals nach, dass Duftrezeptoren auch in Geweben außerhalb der Nase vorkommen und wichtige Funktionen erfüllen. Konkret fanden der Geruchsforscher und sein Team in mehr als 20 verschiedenen menschlichen Geweben solche Duftrezeptoren, die auch ein diagnostisches Potenzial besitzen.

Die Wissenschafter der Ruhr-Universität Bochum konnten nachweisen, dass pro Gewebe zwischen fünf und 80 verschiedene Arten von Duftrezeptoren zu finden sind. "Duftrezeptoren außerhalb der Nase haben allerdings nichts mit Riechen im eigentliche Sinne zu tun. Wir sollten deshalb allgemeiner von Chemorezeptoren sprechen", erklärt Hatt.

Duftrezeptoren in Krebszellen

Aktiviert ein Molekül einen solchen Rezeptor, kann das die Zellen anregen, sich vermehrt zu teilen, zu bewegen oder bestimmte Transmitterstoffe freizusetzen. Auch auf den Zelltod haben die Rezeptoren Einfluss. Das breite Muster an zellbiologischen Wirkungen beruht auf der besonderen Fähigkeit der Duftrezeptoren, sehr unterschiedliche Signalwege in Zellen anzuschalten.

So sind etwa in Krebszellen häufig Duftrezeptoren in großen Mengen zu finden. Allerdings unterschieden sich diese Rezeptortypen meist von denen in gesunden Zellen. Demnach könnten die Duftrezeptoren als spezifische Marker für Tumore und ihre Metastasen dienen. Auch für die Krebstherapie sieht Hanns Hatt Potenziale: "Vor allem bei Tumoren, die gut von außen für Duftstoffe zugänglich sind, wie etwa Darm- oder Blasenkrebs."

Mit Ligusterblütenduft gegen Darmkrebs

Der Geruchsforscher konnte bereits zeigen, dass sich das Wachstum von Darmkrebszellen mit einem Duftstoff bremsen lässt, der auch Ligusterblüten ihren typischen Geruch verleiht. Zunächst entdeckte der Wissenschafter in Tumorzellen aus dem Enddarm den Riechrezeptor OR51B4. Danach wurde geprüft, welcher Duftstoff den Rezeptor aktiviert. Es war das Molekül Troenan.

Um zu untersuchen, wie der Duftstoff auf die Tumorzellen wirkt, entnahmen Hatt und sein Team Gewebeproben von Tumorpatienten. Nachdem die Krebszellen mit dem Ligusterblütenduftstoff in Kontakt gekommen waren, starben sie entweder ab oder wuchsen nicht mehr so schnell. Auch die Streuung wurde abgeschwächt. Das könnte laut Hatt die Bildung von Metastasen erschweren.

Um diese Laborbefunde zu bestätigen, führten die Wissenschafter Experimente mit gentechnisch veränderten Mäusen durch, die menschliche Darmkrebszellen ausgebildet hatten. Auch hier konnte der Krebs erfolgreich mit dem Duftstoff bekämpft werden.

Mit Sandelholzduft gegen Blasenkrebs

Auch in der menschlichen Blase fand der Bochumer Forscher einen Riechrezeptor, der für die Therapie und Diagnose von Blasenkrebs nützlich sein könnte. In Zellkulturstudien konnte nachgewiesen werden, dass der Rezeptor in Blasenkrebsgewebe häufiger vorkommt als in gesundem Blasengewebe.

Was die Experimente noch zeigten: Der Duftrezeptor OR10H1 im Blasengewebe reagiert auf Sandelholzduftstoffe wie Sandranol. Konkret veränderten die Blasenkrebszellen bei Kontakt ihre Form, sie wurden runder. Außerdem teilten sie sich seltener und waren weniger beweglich. "In unseren Zellkulturstudien konnten wir das Tumorwachstum mit Sandelholzduft signifikant hemmen", sagt Hanns Hatt. Das klingt zwar alles vielversprechend, klinische Studien fehlen allerdings noch. (red, 8.8.2018)